Eine Kritik von Blade Runner (Bewertung des Films: 5 / 10) eingetragen am 10.10.2003, seitdem 2618 Mal gelesen
Im Vorfeld schon mit Lorbeeren überhäuft, sollte Scorseses „Gangs of New York“ DAS Kinoereignis 2002 werden. Nach etlichen Querelen mit den Produzenten und verschiedenen Schnittfassungen bleibt dabei aber die Frage, ob die nun veröffentlichte Fassung wirklich die Wunschfassung des Regisseurs ist. Zu bezweifeln ist es, denn das Ergebnis will nie so ganz flüssig und vollständig wirken.
Allerdings muss man zugeben, dass Scorsese weiss, wie man eine Vision umsetzt, denn was optisch geboten wird, ist erstklassig. Mit dezenter Unterstützung von CGI lässt er das längst vergangene New York auferstehen und lässt den Zuschauer so in eine Welt blicken, wie er sie in der Filmgeschichte nur selten zu sehen bekam. Detailverliebt und mit Gefühl für Atmosphäre ist der Film ein historisches Werk, dass seinesgleichen sucht und ein hohes Maß an Realismus in Bezug auf die Bauten und Kostüme zu bieten hat.
So wird man zu Beginn auch gleich ins kalte Wasser geworfen, ohne zu wissen, worum es eigentlich geht, auch wenn dabei sofort klar wird wer hier vermeintlich gut und böse ist. Die Schlacht im Stadtteil „Five Points“ ist ein brutales Fest von hacken und zerhackt werden, macht aber leider auch schnell deutlich, dass Scorsese nicht durfte, wie er wollte. Brutale Szenen werden oft nur angedeutet, zu schnell geschnitten oder durch Unschärfe das Skandalpotential genommen. Kein Vergleich mit der rohen, etwas plakativen Gewalt seiner früheren Werke. Musste der Mann sich etwas dem Mainstream beugen?
Man darf es zumindest vermuten, denn für ein Epos, dass „Gangs of New York“ eindeutig sein will, fehlt ihm einfach ein ordentliches Drehbuch. Die Story um den jungen Amsterdam (Leonardo DiCaprio), der sich an William Cutting alias Bill the Butcher (Daniel Day-Lewis) rächen will, der einst seinen Vater tötete, ist für fast drei Stunden viel zu wenig. Die etwas zusammenhanglos hinzugefügte Lovestory mit der Diebin Jenny (Cameron Diaz) wirkt dabei schon fast wie fremder Einfluss und Zugeständnis ans Publikum.
Immerhin schaffte man es aber viele, schillernde Charaktere im Film unterzubringen und eine einzigartige Atmosphäre zu erzeugen. Nie wurde deutlicher, wie roh, brutal, hart und kriminell es in New York zuging, obwohl man sich für so zivilisiert hielt. Leichte Kritik an der Politik, Rassismus und Korruption könnten dabei eine zu penetrante Parabel auf heutige Zustände des „Big Apple“ sein.
Für eine Zeitspanne von eindrucksvollen 150 Minuten ist das aber viel zu wenig und spätestens nach 45 Minuten (Ich weiss, ich bin einer der wenigen…) beginnt mich das bunte Treiben in New York zu langweilen. Amsterdam trifft alte Freunde, schaut sich die Szene New Yorks an und beginnt schließlich in Bills Gang einen steilen Aufstieg, bis der ihn schon fast als Sohnemann akzeptiert. Nebenher wird noch eifrig Politik gemacht, auf Einwanderern rumgehackt und illegale Geschäfte gemacht. Dabei gerät der Erzählfluss aber arg ins Stocken, denn neben der losen Abhandlung verschiedener Ereignisse mutiert Amsterdam zum Attentäter, der kurz darauf ein weiteres Mal, wie schon sein Vater zuvor, alle Gangs gegen Bills „Natives“ vereinen kann, um in den finalen Kampf zu ziehen, der sich als zu schnell beendet erweist.
Trotz dieser Mankos wird auf schauspielerischer Ebene jedoch überzeugt. Leonardo DiCaprio, den ich selbst bisher kaum ausstehen konnte, macht seine Sache als Rächer sehr ordentlich, verabschiedet sich endlich vom Mädchenschwarmimage und beweist später sogar Mut zur Hässlichkeit. Daniel Day-Lewis darf als Butcher endlich mal wieder Leinwandpräsenz zeigen, agiert over the top, bleibt aber in seiner Entwicklung stecken und etwas zu undurchschaubar. Überhaupt fragt man sich, warum Amsterdam so sauer sein soll, bringt Bill doch Verständnis für den, in einem mehr oder weniger fairen Kampf, getöteten Rivalen und dessen Ziele auf. Für diese Unschlüssigkeit wird aber nicht er, sondern das Drehbuch verantwortlich sein. Cameron Diaz ist da zwar noch eine nette Dreingabe, passt aber genau so wenig in „Gangs of New York“ wie Heather Graham in „From Hell“, da beide zu sauber und hübsch für das Szenario daherkommen.
Als Problem erweist sich der Overkill an Schauplätzen, Figuren, Nebenhandlungen, Ereignissen und Kämpfen, die oft so dicht aneinander geklatscht worden sind, dass man sich den Film mehrmals anschauen muss, um den ganzen Output auch verarbeiten zu können. Interesse wird dabei leider recht wenig geweckt, so dass die Verbindungen zwischen Aufstand, Politik und dem Duell der Rivalen zwar eine nette Verbindung zugeschrieben wird, diese aber wie der gesamte Film unausgegoren und gekürzt wirken. Mr Scorsese, haben sie vielleicht noch einen Director’s Cut im Safe? Wenn ja, dann bitte her damit. Das jetzige Werk konnte mich dramaturgisch nicht überzeugen.
Fazit:
Visuell eindrucksvolles Werk, dass den Zuschauer in die Geschichte New Yorks eintauchen lässt und dessen schmutzige, brutale Straßenatmosphäre schnuppern lässt. Obwohl die Schauspieler größtenteils gut spielen bleibt aber das mulmige Gefühl, man bekommt hier nur einen Happen von Scorseses Vision zu sehen, da der Plot zu zusammengestaucht und die Action oft nachbearbeitet wirkt. Schade….
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