Eine Kritik von Moonshade (Bewertung des Films: 8 / 10) eingetragen am 14.10.2011, seitdem 2134 Mal gelesen
Während die europäische Union in einer ihrer schlimmsten Wirtschaftskrisen überhaupt steckt und die USA praktisch zahlungsunfähig sind, während also der gesamte Erdball rotiert, ist der große Finanzcrash von 2008 jetzt endlich auch mal in Hollywood angekommen.
"Margin Call", bei uns mit dem Untertitel "Der große Crash" näher am eigentlichen Thema dran, ist dann aber doch nicht die große Abrechnung mit der inhumanen Finanzwelt geworden, die man ggf. von Filmemachern wie Oliver Stone hätte erwarten können, der ja mittels "Wall Street" selbst schon einen filmischen Aufsatz über die Gier in der Aktienwelt abgeliefert hat.
Stattdessen ist J.C. Chandors Film ein kleines, intimes, aber brisantes Kammerspiel geworden, ein praktisch abgefilmtes Theaterstück, dessen Spielzeit einen Zeitraum von etwa 24 Stunden umfaßt.
Im Zentrum: Menschen, nicht Maschinen oder Finanzprodukte. Und dennoch gelingt es Chandor die Mechanismen des "Wie konnte es nur so weit kommen?" recht praktitabel ans Publikum weiter zu transportieren, ohne jetzt allzu tief in die Details von Papieren, Geschäften, Instrumenten einzutauchen.
Tatsächlich wirkt der Auslöser der weltweiten Finanzkrise, die hier nachgestellt initiiert wird (und tatsächlich dem wahren Grund für den 2008er-Crash entspricht), eher wie ein MacGuffin, der die Dinge ins Laufen bringt. Nicht zu viele Details, bloß nicht zu unverständlich werden, das ist die Maxime - und sie ist hilfreich, denn ein wesentlicher Kernpunkt der Handlung ist eben, daß es mit dem Verständnis von modernen Finanzprodukten nicht eben besonders weit her ist, je weiter man in der Firmenhierarchie der Brokerfirma oder Investmentbank (wie das Unternehmen heißt und was es von der Geschäftsform her ist, wird nie benannt) nach oben rückt.
Tatsächlich stellt sich die Decouvrierung der monetären Notsituation praktisch als absurde Tragödie dar, die immer lächerlicher wird, je länger man ihr zuschaut.
Am Anfang steht eine Reihe von Entlassungen in der Folge von Einsparungen, was zumindest auch den Kopf der Abteilung "Risikomanagement" denselben kostet. Stanley Tucci gibt als ins Mark enttäuschter Mitarbeiter eine zutiefst emotionale Performance und doch setzt er NACH seiner Entlassung die Dinge unwissentlich in Gang. Obwohl ihm das ganze Management zutiefst verhaßt sein dürfte, gibt er sein letztes Projekt an einen Untergebenen (Zachary Quinto aus "Star Trek" und "Heroes") weiter und damit der Firma die Gelegenheit, den Fehler in ihrer Risikoplanung zu entdecken. Das wiederum führt zu dem verzweifelten Bemühen, den eigenen Kopf aus der Konkursschlinge zu ziehen, was wiederum eine weltweite Finanzkrise nach sich zieht.
Diesen Weg vom kleinsten zum größten Nenner vollzieht sich auch beim Entscheidungsprozeß, was im Augenblick der Krise zu tun ist. Im Laufe einer Nacht wandert das Problem vom zynischen Kollegen und Semi-Vorgesetzten (Paul Bettany als abgebrühter Hai, der auf alles eine Antwort, aber keine Motivation zur Rettung anderer hat) zum neuen Vorgesetzten (Kevin Spacey als Verbindungsmann zwischen Firmenspitze und Personal, der allerdings gleichzeitig Dutzende Entlassungen durchzieht, den Rest des Teams motiviert und echte Gefühle nur bei seinem todkranken Hund zeigt) und dann die Treppe hinauf zu den sich bekriegenden nächsthöheren Ebenen: Demi Moore als nicht gehörte Mahnerin und "Mentalist" Simon Baker als eiskalter und aalglatter Scheißkerl, der zwar nicht nach oben buckelt und nach unten tritt, aber dafür auch nicht die geringste Emotion in der Krise zeigt.
An der Speerspitze schließlich der Firmenchef, eine Paraderolle für den zuletzt viel zu oft unsichtbaren Jeremy Irons, eine Mischung aus gespielter Jovialität, Piranha und Hai, der keine Gefangenen macht. Seine Geschäftsmaxime "Sei der Erste, sei schlauer oder betrüge!" gibt schließlich in einem Konstrukt der Abhängigkeiten den Ausschlag. Betrogen wird nicht, stattdessen ist man halt der Erste, der das Problem bemerkt hat - und so setzt er sich auch als Erster ins Rettungsboot, während er selbst noch dabei ist, das Schiff zu versenken.
Wie die Tragödie enden wird, steht dabei von Anfang an fest, wichtig ist an Chandors Geschichte mehr, wer was macht oder eben nicht und warum er das tut. Die Figuren sind dabei nicht nur Typen, sie sind aber auch nicht individuell ausgeformt, stehen aber für gewisse Charakterzüge, die im Finanzgeschäft offenbar unabdingbar sind.
Fachwissen ist dabei kaum von Bedeutung, ironischerweise ist Quintos "Peter Sullivan", der den gewaltigen Fehler im System überhaupt entdeckt, eigentlich Raketentechniker, jemand der eben gut mit Zahlen umgehen kann. Sein jüngerer Kollege verkörpert die schon nächste Generation, die die Eiseskälte im Geschäft mit dem Geld erst noch lernen muß, während er ständig nach den Gehältern der Höhergestellten fragt.
Bettany wiederum steht gar nicht so weit über ihnen, ist aber schon mit allen nötigen Wassern gewaschen, ein glatter Aal, der nicht pro und nicht contra ist, der Informationen nur auf Anforderung herausgibt, während er vortäuscht, durch blanke Anwesenheit teilzunehmen. Während er unruhig auf seinen Nikotinkaugummis herummalmt, spürt man die Verachtung, den puren Abgrund, jedoch die Unfähigkeit, sich noch aus diesem Spiel herausnehmen zu können.
Zermahlen wird zwischen den Steinen wiederum Kevin Spacey, ein treuer Mitarbeiter einerseits, der jedoch zwei Welten gerecht werden muß und dies mit seinem Privatleben, seine Ehe, seiner Würde und seinem Selbstbildnis bezahlen muß.
Wenn er die Leute feuert und den Rest beglückwünscht, eben besser gewesen zu sein, dann ist das hohle Phrase des amerikanischen Traums mit Fratze, denn an seinem Schreibtisch in der Nacht, ist er so einsam wie müde - ein Mann, der weitermacht, weil er das Geld braucht und weil das letzte Gefühl noch nicht abgestorben ist.
Darüber kommt Demi Moore etwas zu kurz, die sich, halb Karrierist, halb letzter Posten finanzieller Kompetenz ausgerechnet an der übermächtigen Konkurrenz abarbeitet. Sie ist ohne Chance, denn Simon Baker spielt den eiskalten Manager, den stillen Killer, den Unangreifbaren, mit so lässiger Nonchalance, das ihm einfach nicht beizukommen ist. Er ist der wahre "Patrick Bateman", auch wenn er nicht killt, so ist er doch bar jeder Emotion und nur das läßt ihn gegen seinen Chef wiederum bestehen.
Der schließlich fordert den eingeschüchterten Sullivan schließlich in der nächtlichen Sitzung auf, ihm das Problem so zu erklären, als wäre er ein Dreijähriger - schließlich säße er nicht wegen seiner Intelligenz auf diesem Stuhl. An diesem Punkt hat die Wahrheit den Film längst ein- und überholt, schon mehrfach haben die Zwischenetagen der Firmenhierarchie zugegeben, nicht zu verstehen, was auf den Händlerbildschirmen wirklich läuft. Allein die Tatsache, daß das Risikomanagement für so eine Firma nur drei Personen umfaßt, spricht Bände.
So ergeht sich "Margin Call" dann auch nicht in Selbstzerfleischung, sondern es herrscht zumeist Weltuntergangsstimmung, stets tritt das Schlimmste ein, das zu befürchten wäre und nicht jeder der Anwesenden wird seinen Job am Ende des Films noch haben - und diejenigen, die es tun, werden sich kaum noch im Spiegel ansehen können. Schlußendlich will oder muß jeder seine Schäfchen ins Trockne bringen, egal, was es kostet, selbst Tucci wird fürstlich entlohnt, nur weil er während der entscheidenden 24 Stunden innerhalb der Zentrale anwesend ist und still hält, während der Plan zur Rettung der Firma die Welt erschüttern wird.
Hinterher ist man als Zuschauer sicherlich nicht schlauer über die Abläufe der komplizierten Hochfinanz, hat aber sicherlich eine Ahnung davon, wie es zu so etwas kommen konnte. In stillen, wortkargen Szenen voller Symbolkraft muß das betretene und betroffene Schweigen das erreichen, was Diskussionen angesichts der Stati und Kompetenzen nicht mehr können. Inhalte sind out, Umsätze sind in, während die Sonne auf- und wieder untergeht, hinterlassen eine Stimmung wie nach dem ersten Atombombenabwurf.
Manchmal köchelt diese Stimmung ein bißchen zu lange im eigenen Saft, wird der Zuschauer ungeduldig, weil es eben keine Verbindungs-, keine Identifikationsperson gibt. Alle wollen ihren Status, ihre Macht, ihr Geld und am besten mehr als sie jetzt schon haben. Dazu sind sie in diese Knochenmühle gesprungen und wer es überlebt, macht ein Vermögen.
Die Figuren wirken so in den gewaltigen Büros noch kälter, noch isolierter, bleiben allein mit ihren Emotionen, während sie auf die Neonwelt New York hinunter starren.
Vielleicht hätte etwas mehr Drive, etwas mehr Finesse im Dialog dem Film gut getan, aber dann wäre es auch geskripteter, filmischer herüber gekommen. Universeller wirkt es auf diese karge, asketische Art und Weise, die so theaterhaft wie allgemeingültig ist. Banker werden sich in diesem Film vermutlich wie zuhause fühlen, auch wenn auf das Lebensgefühl, das Stone noch transportierte, verzichtet wird.
"Margin Call" ist kein Sequel zu "Wall Street", aber es ist amerikanischste Entwicklung, die zu Werken wie "Glengarry Glen Ross" etwa zu haben war. Und die Botschaft, die liefert Jeremy Irons gleich hinterher, denn die ist von Stone: die Gier wird es immer geben, Crashs gab es schon zuhauf, aber lernen tut niemand etwas daraus. (8/10)
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