Eine Kritik von holgocop (Bewertung des Films: 7 / 10) eingetragen am 10.08.2011, seitdem 736 Mal gelesen
„Das Produktionsdesign lässt sich dabei am ehesten als gestalterische Diarrhöe beschreiben, bei der wahl- und willenlos alles aus dem Fundus auf der Leinwand landet: Japanische Mangas, das prätentiöse cinema du look der achtziger Jahre und altbackene Pin-up-Phantasien sind nur einige der visuellen Versatzstücke, die sich in dem Kuddelmuddel finden.“
So festgestellt von Spiegel-Redakteur David Kleingers. Und diese Meinung schien sich durch sämtliche Feuilletons der deutschen Presselandschaft zu ziehen, als Ende März diesen Jahres der erste eigenständige Film von Zack Snyder seinen Auftritt in den deutschen Lichtspielhäusern hatte. Eigenständig, weil es sich bei „Sucker Punch“ um den ersten Film in Snyders Oeuvre handelt der weder Remake (der großartige „Dawn oft the Dead“), Buchverfilmung (der von mir bisher verschmähte „Die Legende der Wächter“), noch ein Comic zur Grundlage hatte (der maue „300“ sowie der großartige „Watchmen“, beide im Übrigen extrem nahe an den Vorlagen. Wer also sein Problem mit den Filmen hat, darf dies gut und gerne den Herren Miller und Moore ankreiden). ABER: Ein Werk frei von Einflüssen der Comic-, Film- und Videospielkultur ist es beileibe nicht geworden. Wie interessant eigentlich, hat doch Snyder in seinem Hollywoodeinstand „Dawn oft he Dead“ noch gezeigt, wie eine Gesellschaft funktioniert, der nach und nach alle Medien genommen werden – so lange bis man sich nur noch per handgeschriebener Schilder unterhalten konnte. Hier bringt er, ganz im Gegenteil, die volle Dröhnung medienverseuchter Fanboy-Träume.
Jedoch, bei Blick auf all die missgünstigen Kritiken, muss das denn schlecht sein? Ist es verboten, Fanservice zu liefern, schöne Bilder mit (fast) nichts dahinter? „Sucker Punch“ hat eine Handlung, die jedoch nur marginalst ausformuliert wurde. Sie ist der Rahmen, nichts weiter. Sie ist da, weil ein Film nun mal Handlung braucht, damit das Groß der Zuschauer nicht überhastet den Saal der Vorführung verlässt. Und so sehr diese Handlung auch bis zum Schluss in den Hintergrund tritt, so sehr bin ich froh, dass nicht mit dem Holzhammer versucht wurde, einen überambitionierten Drehbuchautor für das Ganze zu ver(sch)wenden. Eine gute Geschichte kann sich als Positiv für einen Fantasyfilm herausstellen (etwa bei del Toros „Pans Labyrinth“), versucht in vielen Fällen aber, dem Werk eine Bedeutung zu kommen zu lassen, der es nicht gerecht wird, die es nicht erfüllen kann. Bevor die Kritiker diverser Presserzeugnisse also wieder auf dem allzu gern ausgekosteten Kritikpunkt der Zurschaustellung halbnackter Mädchen im Kampf gegen übertrieben designte Monster, ohne Sinn und Verstand, herumreiten – was hatten wir denn bisher für Alternativen, die so viel besser gewesen wären? Mir fällt als erstes „Tomb Raider“ mit der mir unsympathischen und definitiv überschätzten (und demnach überbezahlten) Angelina Jolie ein. Ein filmgewordenes Etwas von einem Konsolenspiel. Ein hirnloser Spaß für die allseits begehrte PG-13-Generation. Was konnte man damals nicht alles in den Zeitungen lesen. Ein wichtiger Schritt in Richtung Emanzipation der Frauen im Genre des Actionfilms sei hier gelungen. Die erste Actionheroine sei geboren (vernachlässigend, dass in wirklich guten Filmen á la „Nikita“ um einiges überzeugendere und geerdetere Heldinnen ihren Gegnern auf professionelle Art und Weise den gar ausmachen konnten. Diesen Fall erwähne ich extra, weil hier die Frau das starke Wesen und die Herren eher weichliche Staffage waren). Und diese Kritiker wollen mir jetzt erzählen, dass die Frauen in „Sucker Punch“ nur der voyeuristischen Ausbeutung durch ihren Regisseur dienen?
Man könnte diese Kritik geflissentlich ignorieren und einfach auf die Rehabilitation des (meiner Meinung nach verachtenswerten) „I spit on your grave“ verweisen, der für den Chicago Sun-Times Kritiker Roger Ebert (zusammen mit dem Remake) zu den schlechtesten Filmen aller Zeiten gehört. Wer sich den Gefallen tun möchte, und das Review des gute Mannes einmal durchliest wird Parallelen zu der Diskussion bezüglich Snyders Film finden. Die Ausbeutung der Ware Frau zum Zwecke männlichen Wohlgefallens. (Genauso angekreidet wurde, schizophrener Weise die Freude einiger im Publikum befindlicher Damen an der Rache der Hauptdarstellerin. OK, OK, für die Unwissenden unter euch Lesern: „I spit on your grave“ bzw. „Day oft he woman“ von 1978 thematisiert die grundlose Vergewaltigung ein er jungen Schriftsteller durch einige ziemlich miese Landeier. Im Glauben sie getötet zu haben, wundern sich ihre Peiniger Tage später, dass sie von der quicklebendigen Dame einer nach dem anderen auf grausame Weise zu Tode gebracht werden. Die klassische Definition eines „Rape and revenge-Streifens“). Tja, im Jahre 1992 fand auch dieser Film eine neue Lesart. Als nämlich in einem (von einer Frau verfassten) Buch über die Beziehung Man und Frau im modernen Horrorfilm plötzlich festgestellt wurde, das dieser Flick ganz und gar feministisch zu sehen sei. Auch Männer würden mit der Hauptdarstellerin leiden und wären glücklich über die anschließende Katharsis. Unterstützt von einigen Alice Schwarzers wurde dem Film plötzlich das Etikett des „Frauenfreundlich“ aufgedrückt.
Dieser kleine Exkurs nur, um zu zeigen wie sich doch im Laufe der Zeit die Sichtweisen ändern können. Ob sich dies im Falle von „Sucker Punch“ auch so zeigen wird, ist fraglich, denn längst besitzt er nicht die selbe schockierende Relevanz des 70er Sickos. Dennoch: „Sucker Punch“ mag vieles sein, aber auf die Ausbeutung seiner Darstellerinnen ist er nicht aus. Zu züchtig, zu verhalten (manche werden nun „Ambivalent!“ schreien) gibt sich die Metahandlung im Stripclub in den sich unsere kleine Baby Doll träumt um die bevorstehende Lobotomie zu verdrängen. Gleichzeitig wagt Snyder es dennoch harte Themen anzuschneiden. Ob die Lobotomie, eine der schlimmsten Erfindungen der Neurowissenschaft, die Ausbeutung (minderjähriger?) Prosituierter, die gewaltsame Entjungferung. Das sind alles gar nicht so übliche Themen in einem reinen Geekfilm. Und das war es dann wohl auch, an dem sich die Herren (und Damen) Kritiker gestoßen haben. Hirnlose Action, Musicalszenen, süßliche Kindfrauen auf der einen, die eben angesprochenen, aber nur kurz am Rande zum Tragen kommenden, Themen auf der anderen Seite.
Ist das jetzt also verboten? Darf man nicht ein CGI-Feuerwerk auf die Menschheit loslassen und gleichzeitig dann doch für Sekunden erwachsen werden? Es gab in den letzten Wochen eine ähnliche, dennoch anders verlaufende Diskussion zu einem weiteren Film. Die Rede ist von dem neuen – und ich hoffe inständig letzten – Harry Potter Filmevent. Ja, heutzutage müssen Kinoreleases ja immer ein Event darstellen. Hier wurde einhellig von der Kritik festgestellt, wie mutig sich der gute Potter auch erwachsenen Themen annimmt. Wie er im Laufe der Reihe mit seinem Publikum gewachsen sei. Ich freue mich, in diesem Zusammenhang einen einzigen (!) Text gelesen zu haben, der eine andere, meiner Meinung nach treffendere Sichtweise auf den kleinen Zauberlehrling offenbart (für Interessierte: http://www.artechock.de/film/text/kritik/h/hapou6.htm). Herr Suchsland, den ich im Allgemeinen sowieso sehr gerne lese, erläutert hier auf gelungene Art und Weise, wie die heutigen Feuilletons auch den trivialsten Filmen plötzlich eine bedeutungsschwangere Metaebene hinzudichten. J.K. Rowling ist aber nunmal kein J.W. Goethe und ja auch Zack Snyder ist kein William Shakespeare (wenn dieser denn je existiert haben sollte). Was ist aber nun der Unterschied zwischen diesen beiden Filmen (wer möchte kann Harry Potters Abenteuer auch durch den ebenso überschätzten „Avatar“ ersetzen)?
Ich finde, „Sucker Punch“ ist der ehrlichere von Beiden. Warum? Snyder gibt einen Rahmen vor, bringt auch ein paar kleine erwachsenere Themen, im Endeffekt ist jedoch der Teil zwischen der Einlieferung in das Sanatorium und dem Ende, also die 1 ¾ Stunden dazwischen, die sich komplett im Bordell und auf dem Schlachtfeld abspielen, nichts anderes als eine selbstbewusste Zelebrierung moderner technischer Filmmöglichkeiten. Ein auf mehr als 2 Stunden ausgewalztes Musikvideo (nicht umsonst häkt Snyder nicht damit hinter dem Berg, dass er seine Filme stehts nach der Musik ausrichtet - bei SP war das noch stärker der Fall als sonst). Ohne die verlogene Behauptung sehr viel mehr als das zu sein (vgl. die absolut verdammenswert, verlogene Technikkritik eines „Avatar“). Dramatik oder gar Spannung im klassischen, fingernägelkauenden Sinn, gibt es hier nicht. Ist aber auch nicht nötig. Denn das Gehirn hat gar keine Möglichkeit so etwas wie Emotionen jenseits von „Wow, da sieht beeindruckend aus!“ zuzulassen. „Sucker Punch“ ist ein einziger Sinnesrausch und in diesem Punkt eventuell noch am ehesten vergleichbar mit Tarsem Singhs „The Fall“. Dieser besaß auch kaum Handlung, allerdings muss man der Fairness halber erwähnen, das er viel mehr Empathie gegenüber den Protagonisten ermöglichte. „Sucker Punch“ jedoch schöpft seine Attraktivität aus Film- oder Spielzitaten, die man in dieser form nie zu Gesicht bekam und hier, wenn auch aus dem Kontext gerissen, wie ein Best-of der 90er und 00er Jahre auf einen hernieder prasselt. Nazi-Zombies in Uniformen der Wolfsbrigade („Jin Roh“), Orks und Drachen (tausendmal besser gemacht als im überschätzten „Herr der Ringe“, der im Übrigen ein ähnliches Nichts an Story bot), Roboter in einer Mischung aus „I, Robot“, „Final Fantasy“ und „Vidocq“. Und dazwischen leichtbekleidete Mädels. Wie kann man in diesen Szenen überhaupt darauf kommen eine tiefere Bedeutung zu suchen? Welche Aussage soll denn hier getroffen werden? Dabei hat es der Zuhälter bzw. Anstaltsfiesling doch schon ziemlich früh klar gemacht: „… enjoy the show!“
„Sucker Punch“ soll nicht zum Nachdenken anregen. Die Metaphern sind so offensichtlich, dass selbst ein Prekariatskind aus einem dieser verwahrlosten Berliner Stadtteile sie verstehen sollte. Sexuelle Penetration vs. Lobotomie. Ich bitte euch! Nein, dieser Film ist reines Eyecandy, ähnlich etwa Noes „Enter the Void“. Er hat eine Story, weil nicht jeder auf anstrengende Kost wie „Koyaanisqatsi“ steht. Und im Gegensatz zu Filmen, die so tun als wären Sie ach-so-intelligent, versucht Snyder diesen Eindruck nie aufrecht zu erhalten. Wie er es selbst formulierte: “Who doesn't want to see girls running down the trenches of World War One wreaking havoc?”
Nein, “Sucker Punch” ist kein Autorenkino, aber er ist wahr in seiner Einfachheit. Im Grunde das Äquivalent zu „Call of duty“. Toll anzuschauen, technisch fesselnd, aber inhaltlich ein wenig leer. Und auch wenn manche auf Grund des fehlenden Fadens ab einer gewissen Zeit Langeweile empfinden mögen, ich habe Baby Dolls Trip in die eigenen Vorstellungen genossen, sehr viel mehr als etwa im ähnlichen „Alice im Wunderland“.
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