Well we all shine on Like the moon and the stars and the sun (John Lennon) Was lässt sich nach über 40 Jahren noch sagen über einen Film, der zumeist als anfangs verkanntes Meisterwerk eines Meisterregisseurs gilt und von Filmkritiker(innen), Filmwissenschaftler(innen), dem Fandom und den Fans der Literaturvorlage in jede erdenkliche Richtung auf jedes noch so unscheinbare Detail hin abgeklopft worden ist? Was auch immer man sagt, man sollte es zumindest nicht so tun wie in Rodney Aschers "Room 237" (2012), wo einerseits hinlänglich Bekanntes grob verkürzt anhand neuer in den Blick geratener Details mit andererseits manch Neuem als Konglomerat verschiedenster Ansätze aufgetischt wird, von denen so einige noch zudem recht fragwürdig sind: Wenn man schon nahezu zwanghaft nach der Zahl 42 in "The Shining" sucht, um in Verbindung mit einer deutschen Schreibmaschine und dem – immerhin auch als Wappentier der USA dienenden – Adler den Holocaust thematisiert zu sehen, wäre die naheliegende Frage, was "The Shining" denn nun genau über den Holocaust zu sagen hätte... ganz zu schweigen davon, dass das Suchen nach Zahlen(spielen) wie auch eine Konzentration auf Anagramme ein hohes Maß an problematischer Beliebigkeit mit sich bringt, das sich spätestens dann als fatal erweist, wenn "Room 237" – am besten noch als (unfreiwilliger?) Dokumentarfilm über den Eklektizismus und die unsägliche Beliebigkeit von Verschwörungstheoretiker(innen) funktionierend – auch gleich noch den seit den 80er Jahren kursierenden Verschwörungstheorien über Kubrick und das Apollo 11-Programm Raum bietet, derer sich William Karel in der mockumentary "Opération lune" (2002) einst angenommen hatte... Man kann sich, wenn man nur noch auf Details blickt und nach verschlüsselten Botschaften suchen will, ganz gehörig verzetteln, weit vom Weg abkommen und die Details nicht mehr sinnig zusammenbekommen.
"Room 237": Das war vor neun Jahren, als die Suche nach halbwegs neuen Bezügen in Zeiten sinnbefreiter Wiki- & IMDb-Trivia und -connections das einzige Mittel zu sein schien, um "The Shining" nochmals irgendwie aufbereiten zu können.[1] Heute ist das nach knapp vier Dekaden vielleicht etwas einfacher als damals nach knapp drei Dekaden, da "The Shining" nunmehr wieder eine einigermaßen offenkundige Aktualität besitzt. Und das sogar auf zweierlei Weise: Einmal – und das ist weit weniger relevant – hat die Corona-Pandemie samt der Lockdowns und der Quarantäne-Bestimmungen und Home Office-Regelungen dazu geführt, dass das Eingeschlossen- und Abgeschnittensein der Familie Torrance wie auch das thematisierte Trapperfieber heute für viele nachvollziehbarer sein dürfte als jemals zuvor. Eine andere Art von Aktualität ist da aber weit interessanter.
Diese Aktualität hängt eng zusammen mit dem hashtag activism, der sich ab 2013 mit #BlackLivesMatter und ab 2017 mit #MeToo Bahn brach und bald ein gemeinsames Feindbild gefunden hatte: den alten weißen Mann. Und "The Shining" ist in gewisser Weise der Film über den alten weißen Mann par excellence, was sich leicht zeigt, wenn man noch einmal auf die altbekannten Auslegungen von "The Shining" zurückblickt und sie durch die heutige Post-Hashtag-Brille betrachtet.
Der Inhalt (des Films) sollte bekannt sein: Jack Torrance, ein Ex-Lehrer und trockener Alkoholiker, dem seine Gewaltausbrüche seinen Lehrerposten kosteten, nimmt mit seiner Frau Wendy und seinem Sohn Danny über die Wintermonate einen Hausmeisterposten im Overlook Hotel in den Rocky Mountains an, um dabei in Ruhe der Schriftstellerei nachgehen zu können. Danny verfügt über eine Art zweites Gesicht, Shining genannt. Vom farbigen Hotelkoch Dick Hallorann, der selber über das Shining verfügt, wird er darüber aufgeklärt. Im schnell entleerten Hotel, das – auf indianischer Begräbnisstätte erbaut (wie sie später bei King auch in "Pet Sematary" (1983) eine Rolle spielen wird) – Spuren der Vergangenheit birgt, zeigen sich die Geister dieser Vergangenheit zunächst Danny und Jack, der daraufhin auch wieder zum Alkohol zu greifen beginnt. Zu diesen Geistern gehören auch der ehemalige Hausmeister Delbert Grady und seine Töchter – keine Zwillinge, aber aussehend wie solche –, die er wie seine Frau unter Alkoholeinfluss im Trapperfieber erschlagen hatte. In dessen Fußstapfen tritt Jack schließlich, der getrieben vom Alkohol, vom Trapperfieber und von den Geistern des Hotels oder auch vom Geist des Hotels selbst mit der Axt auf Frau und Sohn losgeht. Erschlagen wird er jedoch nur den aufgrund seines Shinings zur Rettung eilenden Hallorann: Seinem Sohn in das eingeschneite Labyrinth vor dem Hotel nachstellend, verirrt er sich anders als Danny in ebendiesem – und erfriert. In der Hotelhalle ist auf einer Fotografie an einer Wand Jack Torrance zu sehen – aufgenommen während einer Independence Day-Party des Jahres 1921: Jack, der sich im Overlook Hotel schnell heimisch fühlte und für immer und immer bleiben wollte, war womöglich schon immer dort; und Grady womöglich gar sein Beeinflusster, nicht allein sein Beeinflusser.
Vom Roman weicht der Film bekanntlich in vielen Punkten ab: Wendy wird im Film erst sehr viel später auf die Geister des Hotels aufmerksam als im Roman; und Jack reflektiert im Roman wesentlich stärker seinen Alkoholismus, seine eigenen Erlebnisse mit einem gewalttätigen Vater – der ihn hier in einem heftigen Alptraum zum Mord an seiner Familie anstiftet – sowie seine Rolle als schwächstes Glied der Familie bezüglich der Angriffe des monströsen Hotels selbst. Im Overlook Hotel, vor dem statt eines Labyrinths einige Heckentiere stehen, die sich später in Bewegung setzen werden, ringt er im Finale dann auch kämpferisch mit den von ihm besitzergreifenden Mächten – und kann (als Selbstopfer leistender Held) ein vernichtendes Feuer entfachen, dem er wie das Hotel zum Opfer fällt, derweil Hallorann mit Wendy und Danny, zu deren Rettung er hier erfolgreicher geeilt war, fliehen kann.
Der Film liegt bekanntlich in zwei Versionen vor, die sich teils entscheidend voneinander unterscheiden: einer kürzeren für den europäischen Markt, einer 24 Minuten längeren für den amerikanischen Markt. Über "A Clockwork Orange" (1971), den Kubrick für den amerikanischen Markt um ein paar Nacktheiten erleichterte, schrieb Amos Vogel einst: "Indem Kubrick sich nach der Erstaufführung unerwartet bereit erklärte, allzu handgreifliche Sexszenen zu streichen [...], wirft er unabsichtlich die Frage auf, ob diese Szenen ursprünglich nicht eher um ihrer schockierenden Wirkung willen gedreht wurden als aus künstlerischer Notwendigkeit; damit untergräbt er die ideologische Basis des Films."[2] Auch im Hinblick auf "The Shining" ließe sich attestieren, dass Kubrick nach den recht verhaltenen Reaktionen der Filmkritik seinerzeit wohl vor allem aus kommerziellen Überlegungen heraus nicht bloß zwei Minuten für den amerikanischen Markt aus der Voraufführungs-Version sondern auch weitere 24 Minuten für den europäischen Markt herausschnitt. Natürlich könnte man auch von gelungenen Straffungen sprechen, aber angesichts der Mehrwert-Einbußen, die diese Schnitte mit sich brachten, müsste man schon sehr viel Wohlwollen aufbringen.
Zu den altbekannten Auslegungen gehört: die Betonung indigener und afroamerikanischer Schicksale. "Das Indianische und das Schwarze scheint überall in dem Hotel auf, und es droht, dem weißen Mann Frau und Kind zu nehmen" [3], schrieben Georg Seeßlen und Fernand Jung vor 20 Jahren – als erst nach Kubricks erstem (und wie sich zeigen sollte: letztem) Film nach zwölfjähriger Pause und sodann auch nach Kubricks Tod die Literatur zum vielbewunderten Regie-Wunderkind einen mächtigen Schub erlebte. Und sie geben Beispiele für diese These, charakterisieren nicht bloß Jack als gleichsam impotenten – da suchterkrankten und von seinem Beruf befreiten – Mann, dessen Unfähigkeit als Schriftsteller sich zudem zunehmend vor den Augen seiner Frau manifestiert, sondern betonen auch, dass "Overlook [...] auf einem indianischen Friedhof errichtet [ist] [...], und [es] in dem Hotel selbst [...] Hinweise auf indianische Ornamentik [gibt]"[4], "daß auch Wendy gelegentlich indianische Zeichen in ihrer Kleidung zitiert"[5], dass in den Vorratsräumen gut sichtbar Calumet-Backpulver verwahrt wird, dessen Verpackung als Logo den Kopf eines Indianers aufweist... und dass diese Küchen- und Vorratsräume an diesem Ort – an dem die Mitglieder der Donner Party, die Siedler rund um George Donners, im Jahr 1846 aus Nahrungsmangel zum Kannibalismus griffen – von einem Farbigen, dem "schwarze[n] Küchenmeister"[6], überwacht wird. Zu den von Seeßlen und Jung erwähnten Kleidungsstücken gehören insbesondere Mokassins sowie eine indianische Jacke. Auch Frank Schnelle ist das zur selben Zeit nicht verborgen geblieben, der auch noch darauf verweist, dass sich Wendy bald "Indianerzöpfe geflochten"[7] haben wird. Und Schnelle kennt natürlich den richtungsweisenden Aufsatz "The Family of Man" (1987) von Bill Blakemore, den dieser seinerzeit im San Francisco Chronicle veröffentlicht hatte. Dort schrieb Blakefield: "But The Shining is not really about the murders at the Overlook Hotel. It is about the murder of a race – the race of Native Americans – and the consequences of that murder."[8] So richtungsweisend Blakefields Aufsatz für spätere "The Shining"-Exegeten auch sein sollte, so wenig war es jedoch der erste Text, der diesen Aspekt thematisierte. Hierzulande reichte schon ein Blick in den Kubrick-Band aus Hansers Reihe Film, wo sich die These findet, dass der Film im Rahmen einer "Amerika-Kritik"[9] mehrfach seine zahlreichen "indianischen Motive[]"[10] einbringe (wobei in der amerikanischen Version des Films auch Mr. Ullman bei einer Führung durch die Räumlichkeiten des Hotels explizit auf die Motive der Navajos und Apachen verweist). Und auch Thomas Allen Nelson konstatiert zu Beginn der 80er Jahre etwas zurückhaltender und vorsichtiger, dass "[i]n Kings Version [...] die Familie [...] sowohl vom Vater (ihrem Schöpfer und Zerstörer) als auch vom Hotel (Amerikas jüngerer Vergangenheit) bedroht [wird]"[11], um zu erwähnen, dass "das Overlook [...] (in den Jahren 1907-09) über einer indianischen Begräbnisstätte errichtet worden [sei], was uns zu der falschen Erwartung verführt, die überlebensgroßen Geistertänzer aus der Imitation eines Navajo-Sandbildes über dem Kamin in der Colorado-Halle [...] könnten zum Leben erwachen und die Familie Torrance heimsuchen"[12], und das Vorhandensein eines "Navajo-Kreisornament[s]"[13] in Schlüsselszenen des Films zu betonen. Gelb werde, so Nelson, "in der Navajo-Kunst meistens dem Mann zugeordnet"[14] und "in der Mythologie mehrerer Indianervölker [...] mit dem Tod"[15] in Verbindung gebracht. Nelson unterscheidet sich in seiner Betonung der "Allgegenwart indianischer Motive im Overlook-Hotel und d[er] Erwähnung der indianischen Begräbnisstätte"[16] somit von vielen späteren Kommentatoren des Films, indem er weniger den Genozid an den Ur-Einwohner(inne)n betont, sondern "sowohl Jacks Wahnsinn als auch die Vergangenheit des Overlook mit einem entschieden Maskulinen Ethos assoziiert"[17].
Indem Nelson also vor allem auf Maskulinität zu sprechen bekommt, auf den damit eng verknüpften "sexistischen Drang zur verbalen Degradierung Wendys"[18] – die Jack am drastischsten (allerdings nur in der amerikanischen Version) als "old sperm bank" bezeichnet –, ist vor allem auch eine andere altbekannte Auslegung präsent: das Konstrukt der Familie und dessen Bedrohung. Auch in den oben zitierten Äußerungen von Seeßlen und Jung spielt dieser Aspekt eine Rolle. Seeßlen und Jung wählen eine Lesart, die weit verbreiteter ist als diejenige Nelsons: Bei ihnen werden Danny und Wendy (ganz zurecht) als mit dem Indianischen (dem sich Wendy kleidungsmäßig annähert, dem sich Danny im Finale mit seinem "old Indian trick"[19] des Rückwärtsgehens und Spurenverwischens annähert) und dem Schwarzen (mit dem sich Wendy die Küche als Refugium teilt, mit dem sich Danny das Shining teilt) verbunden präsentiert, derweil Jack, der weiße Mann, mit dem Indianischen (und dem Schwarzen) um Frau und Kind konkurrieren zu müssen glaubt. Man kann in diesem Zusammenhang noch darauf verweisen, dass (der niemals zudringliche) Hallorann an seinen Schlafzimmerwänden erotische Akte beherbergt und den Vornamen Dick trägt: rassistisch motivierter Sexualneid, der dem Schwarzen übergroße Potenz zuschreibt und infolgedessen um die (vermeintlich: eigene) weiße Frau bangt, wird durchaus assoziiert in "The Shining".
Wenn Jack dem – nicht zuletzt von Filmstars und US-Präsidenten frequentierten – Overlook Hotel erst einmal verfallen ist, wird er (oder: es) also drei Stellvertreter unterschiedlicher sozialer Gruppen attackieren: den Schwarzen, die Frau, das Kind.[20] Diese Attacken finden statt in einem Kontext gesamtgesellschaftlicher US-amerikanischer Gewalt, der am sichtbarsten den Genozid an den Ur-Einwohner(inne)n betrifft: Über den Indianer-Friedhof ist der Tod dieser Kultur bereits ins Spiel geraten; die Hinweise des Hoteliers, man habe sich einstmals beim Bau des Hotels auf ebendiesem geheiligten Gebiet gegen Angriffe der Indianer wehren müssen, bringen diese Ausrottung stärker ins Spiel; und die Aneignung indianischer Kunst und Motivik durch die Weißen im Hotel selbst bringt den Diskurs über (Trophäen und) Aneignungen, über cultural appropriation, ins Spiel, der 1980 kaum populär war, heutzutage jedoch hitzig diskutiert wird. Dass Jason Zenor, Associate Professor der State University of New York at Oswego, 2019 auch das Calumet Baking Powder neben Cigar Store Indians –die übrigens in Michael Gornicks "Creepshow 2" (1987), einer anderen King-Verfilmung, Thema sind –, Spirit Cigarettes, Land O'Lakes oder dem Crazy Horse Strip Club als stereotype Darstellung der native americans in der Werbung problematisiert, ist exemplarisch für die Aktualität, welche dieses Aneignungsthema heutzutage besitzt.[21]
Die Diskussion über cultural appropriation hat in den 10er Jahren in den sozialen Medien einen Boom erlebt, der parallel zum Erfolgszug des bereits erwähnten hashtag activism erfolgte. Und hier bildet "The Shining" nach #BlackLivesmatter und #MeToo mit seinem alten weißen Mann, der vor dem Hintergrund der Geschichte des US-amerikanischen Genozids an den native americans einem Afroamerikaner, seiner Frau und seinem jungen Sohn nach dem Leben trachtet, einen nunmehr recht zeitgeistigen Film.
Es könnte sich die naheliegende Frage stellen, wie alt der alte weiße Mann in "The Shining" denn eigentlich ist. Hauptdarsteller Jack Nicholson, Jahrgang 1937, war zur Zeit des (langwierigen) Drehs 41-42 Jahre alt; Stephen Kings Jack Torrance ist im Kosmos von "The Shining" (1977) und "Before the Play" (1982) indes Jahrgang 1947 (wie King selber, der sich hier nicht zum letzten Mal mit autobiografischen Zügen einer Figur einschreibt). Ob man in Kubricks "The Shining" nun einen 30-Jährigen, einen 33-Jährigen oder einen 41-/42-Jährigen sehen mag, ist eigentlich unerheblich: wirklich alt ist all das erst einmal nicht. Aber wenn man den seit der letzten Dekade vielzitierten alten weißen Mann – die jüngste Kategorisierung einer repressiven, bevorteilten Elite nach dem WASP (oder dem DWEM) – nicht als einen Mann begreift, der seine midlife crisis bereits seit Langem hinter sich hat, sondern als einen Mann, der in den genannten 10er Jahren alt gewesen wäre und seine Prägung innerhalb der ganz und gar nicht progressiven Nachkriegszeit erlebte (in der Frauen in den spießigen 50er Jahren wieder ihre zugewiesene und ausgeübte Rolle hinter dem Herd und am Bügeleisen einnahmen, derweil die Schwarzen noch nicht auf gleiche Rechte hoffen konnten), dann ist Jack Torrance allemal ein alter weißer Mann (so wie man dann auch heutzutage mit 20 solch ein alter weißer Mann sein könnte, wenn man so wirkt, als wäre man in der unmittelbaren Nachkriegszeit aufgewachsen – ohne dann noch von der 68er-Bewegung und der kurz darauf aufgekommenen Frauenbewegung geprägt worden zu sein; oder umgekehrt diese geprägt zu haben).
Eine weitere Frage, die sich aufdrängt, wäre die: Reicht die im Kampf mit native americans bewerkstelligte Errichtung des Schauplatzes auf einer ehemaligen indianischen Begräbnisstätte samt Aneignung indianischer Kunst, Mode oder Motivik aus, um die Geschichte eines (alten) weißen Mannes, einer Frau, eines Schwarzen und eines Kindes als eine Geschichte des alten weißen Mannes als (a)soziale Gruppe zu verstehen? Und noch eine naheliegende Frage: Was sollte der alte weiße Mann eigentlich gegen den (weißen) Jungen haben?
Letztgestellte Frage ist natürlich leicht erklärt, wenn man den bereits erwähnten psychic link des Jungen zum Schwarzen berücksichtigt sowie seine (allerdings von Jack Torrance selbst gar nicht mehr registrierte) Nähe zum Indianischen über die Kunst, die eigene Fährte verwischen und eine falsche Fährte legen zu können. Genau in dieser Nähe zum Anderen liegt ja auch die Begründung für den Mordauftrag, den Jack Torrance von Delbert Grady erhält, der ihm diesen als notwendige 'Korrektur' verkauft: "'Did you know, Mr. Torrance, thet your son is attempting to bring an outside party into this situation? Did you know that?' 'No.' 'He is, Mr. Torrance.' 'Who?' 'A nigger.' 'A nigger?' 'A nigger cook.' 'How?' 'Your son has a very great talent. I don't think you are aware how great it is. That he is attempting to use that very talent against your will.' 'He is a very willful boy.' 'Indeed he is, Mr. Torrance. A very willful boy. A rather naughty boy, if I may be so bold, sir.' 'It's his mother. She, uh, interferes.' 'Perhaps they need a good talking to, if you don't mind my saying so. Perhaps a bit more. My girls, sir, they didn't care for the Overlook at first. One of them actually stole a pack of matches and tried to burn it down. But I corrected them sir. And when my wife tried to prevent me from doing my duty, I corrected her.'"[22] Der alte weiße Mann muss also 'korrigieren', was der nigger beeinflusst hat; und – so wird es zuvor und danach impliziert – was erzogen wird von einer Frau, die mit einem nigger sympathisiert und sich kleidungs-, schuhwerk- und frisurmäßig den ausgerotteten Rothäuten anpasst. Zumal die Frau, deren Bedürfnisse Jack Torrance in Kubricks "The Shining" (anders als Jack Torrance in Kings "The Shining") von Anfang an missachtet und die er verbal später drastisch herabwürdigt, schon als Frau an sich suspekt ist: Die Abscheu des heterosexuellen Sexisten vor der Frau, deren Reizen er nicht widerstehen kann (und die ihm so seine Schwäche offenbaren), zeigen sich in Kubricks "The Shining" (anders als in Kings "The Shining") wundervoll in Zimmer 237, in der ein nacktes Model frisch der Badewanne entsteigend Jack Torrance erst zur Umarmung verführt, um ihm sodann als aufgedunsene, faulige, feuchte alte Wasserleiche zu erscheinen. Das ist quasi der Ekel des soldatischen Mannes vor dem Breiigen, Schlammigen, Schleimigen, Sumpfigen, der Vagina als dem "Meer der Meere"[23], den Klaus Theweleit aus seiner Lektüre der Freikorps-Literatur herauskristallisierte.
Das ist übrigens ein Aspekt, der bei King nicht so recht präsent ist: "Shelley Duvall ist keine sexuell attraktive Frau und betont in ihrer Darstellung mehr Wendys beschützende Mütterlichkeit als ihre (im Roman dominierende) Rolle als Jacks erotische Partnerin"[24], attestierte Nelson in für Duvall nicht gerade schmeichelhafter Weise; und die Beziehung zwischen Jack und Wendy erscheint in der Tat denkbar asexuell, zumal Jack als Mann ohne Beruf und ohne sonderliche Willenskraft ohnehin als recht impotente Figur eingeführt wird. Und so sucht die Sexualität beide Figuren in Form denkwürdiger Erscheinungen heim: bei Jack ist es die reizvolle Frau, die ihn sodann als modriger Tümpel abstößt, bei Wendy ist es eine Fellatio-Nummer zweier Erscheinungen, bei der ein hinterbackenfreies Tierkostüm die schon durch die Körperhaltung gegebene erniedrigende Note unterstreicht, welche im Kontext des Films als abstoßende Perversion erscheinen muss.[25] Das Overlook, so scheint es, überblickt die Innenleben seiner Gäste und verschafft jedem die passende Erscheinung.
Man muss "The Shining" nicht mit Blick auf den Vater-Sohn-Konflikt schauen, der für Michel Ciment einst so interessant war, sondern man kann den Film gerade heute sehen als Film über alte weiße Männer, die eine progressivere Jugend, die auch im Denken nicht weiß genug zu sein scheint, einen inkorrekten Nachwuchs, der die korrekte Zukunft der Vereinigten Staaten gefährdet, korrigieren müssen – und die Farbigen und die nicht völlig gefügigen Frauen gleich mit... und sei es mit Gewalt – wie vor wenigen Jahren in Charlottesville im Zusammenhang mit der Unite the Right rally samt der perfiden car attack... Die Aktualität scheint heute größer als in den 80er Jahren, in denen Jansen in "The Shining" bereits "das Drama der amerikanischen Ehe, des Patriarchalismus, vor dem Frauen, Kinder, Neger gleichermaßen zum Opfer bestimmt sind" [26], sah: indes, dieses Drama wird heute lärmender aufgeführt. Und zugleich hat ein Bewusstsein von Intersektionalität heute noch mehr dazu geführt, dass sich die angefeindeten Gruppierungen zu solidarisieren beginnen und dass das, was Jansen als Patriarch bezeichnete, heute als alter weißer Mann bezeichnet wird.[27]
Zur Beantwortung der ersten der gestellten zwei Fragen – danach, ob die Geschichte mehr sei(n könne) als nur ein Einzelschicksal – sei kurz eine weitere (nicht ganz so bekannte, aber durchaus bereits dagewesene) Auslegung von "The Shining" erinnert: die – nur in der amerikanischen Variante gegebene – Präsentation des Fernsehapparats als "beispiellose[s] Kommunikationsmittel populärer amerikanischer Kultur."[28]
Jansen geht auf diesen Aspekt leider bloß recht fragmentarisch, kurz und unzusammenhängend im Rahmen einer längeren Inhaltsangabe ein, veranschaulicht dabei allerdings, wie stark er aus der europäischen Version des Films getilgt worden ist. Gleich drei Fernseh-Szenen fehlen dieser kürzeren Version (wenn man von einer vierten Szene absieht, in der ein Cartoon auf dem Mini-Bildschirm eines Leihwagenhändlers im Hintergrund zu sehen ist): a.) Bevor Danny vor Zimmer 237 die Grady-Töchter antrifft, prasseln im Fernsehgerät der Küche schlimme Nachrichten auf Wendy ein: die lebenslängliche Strafe eines nach einer Schießerei im Jahr 1968 Verurteilten ist noch Thema, da folgt auch schon eine Vermisstenanzeige, ihrerseits gefolgt von einer Unwetter-Ansage. b.) Bevor Danny seinen Vater antriebslos auf seinem Bett sitzend vorfindet und sich erkundigt, ob dieser ihm oder Wendy jemals etwas antun würde, schaut er mit seiner Mutter Robert Mulligans Film "Summer of '42" (1971). c.) Bevor Wendy baseballschlägerbewaffnet Jacks Schreibplatz in der Colorado Lounge aufsucht, schaut sie mit Danny einen Road Runner-Cartoon, der für das Publikum indes nur hör-, nicht sichtbar ist.
Hinzu kommen einige Fernseh-Szenen, die auch in der eruopäischen Version enthalten sind: d.) Während Jacks Bewerbungsgespräch sitzen Danny und Wendy in der Küche in Boulder, wo Wendy "The Catcher in the Rye" (1951) liest, während Danny – auch hier nur hörbar – einen Road Runner-Cartoon sieht, nach dem im Anschluss kurz ein Western zu sehen sein wird. e.) Während ihrer Anreise zum Overlook Hotel sprechen Dannys Eltern über die Donner Party, woraufhin Danny – als sich seine Mutter sorgt, er könne sich ängstigen – erwähnt, dass er bereits im TV eine Sendung über Kannibalen gesehen habe. f.) Während seiner Axt-Attacke zitiert Jack – jedoch nicht in den meisten nicht-englischen Synchronfassungen – die "Tonight Show Starring Johnny Carson" (1962-1992) mit den Worten "Here is Johnny!"
Das Fernsehprogramm ist der Familie in Fleisch und Blut übergegangen – und übermittelt vor allem Gewalt: Kannibalismus (hier im Zusammenhang mit der Donner Party angesprochen), den Zweiten Weltkrieg (im Robert Mulligan), den (bei King explizit erwähnten) Korea-Krieg (via Widmung im Robert Mulligan)[29], Schießereien, lebenslängliche Haftstrafen, Vermisstenanzeigen, Naturgewalten, Cartoon-Gewalt. Der Fernseher – im Overlook neben einem Fernsprecher das einzige, wenngleich einseitige Kommunikationsmittel – holt im Laufe der ersten Nachkriegsjahre (und im Laufe der Zeit für immer mehr Haushalte) Gewalt in die Alltäglichkeit und die eigenen (bzw. fremden) vier Wände. Gewalt ist mit dem Siegeszug des Fernsehens eine verlässliche Konstante im Leben seit Ende des Zweiten Weltkriegs – auch weil die aktuellen Nachrichten wie auch die in Spielfilmen oder Dokus verarbeitete Weltgeschichte reich an Gewalt sind. In "The Shining" sind es auch zwei Kriege, welche auf dem Bildschirm die gewaltgesättigte Geschichte der USA nach den Indianerkriegen fortschreiben (ehe am Ende noch der Unabhängigkeitskrieg assoziiert wird; über die Independence Day-Party des Jahres 1921: gerade einmal einen Monat nach den heftigsten Rassenunruhen in den USA im angrenzenden Bundesstaat Oklahoma). (Keine Frage, das Eingreifen in den Zweiten Weltkrieg war sinnvoll und notwendig und sehr zu begrüßen, der zunächst waltende Isolationismus legte sich aber freilich erst nach Pearl Harbor; und auch angesichts des eigenen US-amerikanischen Antisemitismus und der teils reichlich rassistischen, zumindest aber häufig simplifizierenden Propagandafilme während des Zweiten Weltkriegs sollte man darin nicht schlicht das Walten reiner moralischer Überlegenheit sehen.) Dass "Summer of '42" erst einmal ein Coming of Age- und Beziehungsdrama mit recht sanften Männerfiguren und kein Kriegsfilm ist, ändert daran wenig; im Gegenteil: das kleine Drama vor dem großen unsichtbaren Drama im Hintergrund in "Summer of '42" erweckt bloß noch einmal so richtig das Gespür dafür, dass das Drama der Torrances (und des Overlook Hotels) nicht im luftleeren Raum stattfindet.
In einem Kontext von (vornehmlich männlicher) Gewalt, die in Kriegszeiten mit simplifizierenden Feinbildern arbeitet – die Nazis in einem "Education for Death: The Making of the Nazi" (1943) haben Kirchen, nicht etwa Synagogen attackiert, damit das US-Zielpublikum umso eher mit Abneigung reagieren konnte! –, derweil die US-Armee selbst mit Prinzipien der Rassentrennung arbeitete, ist die Geschichte von Jack Torrance zu sehen, die damit nicht mehr für sich allein steht, sondern männliche Gewalt und Rassismus stets im Hintergrund herumgeistern lässt: niemals übermäßig deutlich, aber doch mehrfach mitschwingend.
Mag man in "The Shining" einen mittlerweile wieder hochaktuellen Film über den alten weißen Mann sehen, so verwundert es auch nicht, dass Kubricks Klassiker in letzter Zeit unvermittelt wieder recht en vogue war und sowohl in Steven Spielbergs "Ready Player One" (2018) als auch in Mike Flanagans "Doctor Sleep" (2019) umfangreich zitiert worden ist: das ist nicht bloß Folge der grassierenden Retro-Welle – welche die 80er Jahre hochhält, in die der 1978/1979 gedrehte Film nur teilweise wegen seines Uraufführungsdatums hineinfällt –, etwas mehr schon eine Folge des generellen Stephen-King-Booms, der seit Kings vielbeachtetem "11/22/63" (2011), dessen TV-Serien-Verfilmung "11.22.63" (2016) und dem King-Size-Filmjahr 2017 (der Hit "It" (2017), der Flop "The Dark Tower" (2017), der Net-flick "Gerald's Game" (2017), die TV-Serie "Mr. Mercedes" (2017)) wieder so richtig ins Rollen gekommen ist; vor allem aber ist es auch dem Umstand zu verdanken, dass sich Kubricks alter-weißer-Mann-Stoff recht gut in Spielbergs (gar nicht einmal so bisslose) Dystopie und in Flangans – um Ausgewogenheit in Sachen Alter, Hautfarbe, Ethnie, Geschlecht usw. bemühtes – Sequel zu Kubricks Hit einfügt (auch wenn Flanagan seinen Ansatz bewusst oder unbewusst unterläuft, wenn er den Eindruck erweckt, Klassismus hätte mit Rassismus oder Sexismus nichts zu tun).
Wäre die – nun aber wirklich! – allerletzte (wenngleich eine lange Antwort fordernde) Frage: Warum hat Kubrick diesen alten-weißen-Mann-Stoff als übernatürlichen Horrorfilm angelegt? Oder eher: Warum hat er bei der Lektüre von Kings Roman gedacht, dass das eine gute Idee wäre? (Und natürlich ist Kubricks "The Shining" letztlich übernatürlich: wegen Dannys Hellsichtigkeit zu Beginn, wegen Halloranns Hellsichtigkeit, als Gefahr droht, wegen Jacks Befreiung durch Gradys Geist, wegen Jacks Erscheinen auf dem Foto der Unabhängigkeitsfeier der frühen 20er Jahre...)
King selbst mochte den Film bekanntlich nicht; und auch manche King-Puristen lehnen den Film ab – wie manche Kubrick-Verehrer den Roman Kings, der Kubricks Verfilmung diametral entgegenzustehen scheint: organische, lebendige Heckentiere dort, ein steriles, geometrisches Heckenlabyrinth hier; der Feuertod dort, die Erstarrung in Eis und Schnee hier; King setzt auf Emotionalität, Kubrick aufs Konzept. Aber das Horrorgenre dürfte zunächst einmal eine verlockende Fingerübung dargestellt haben, zumal er beinahe schon durchgängig auf Helligkeit und Symmetrien setzt, derweil er klassisches Spukhaus-Ambiente (mit Spinnweben, Dunkelheit und Skeletten) nur in einigen wenigen Sekunden verwendete, die er zudem für die europäische Version tilgte.
Weshalb war nun gerade Kings "The Shining" der geeignete Stoff? Zum einen war es natürlich ein Bestseller: nachdem Kubrick bei "Lolita" (1962) bereits von einem Bestseller und bei "Dr. Strangelove or: How I Learned to Stop Worrying and Love the Bomb" (1964) von einem heißen Thema profitierte, nachdem ihn bei "A Clockwork Orange" zumindest die Extravaganz der Vorlage von Anthony Burgess und bei "Barry Lyndon" (1975) William Makepeace Thackerays interessante Hauptfigur und die Möglichkeiten in Sachen beschaulicher Landschaftsfilmerei und bestechender Ausstattung gereizt haben dürften, war ein King-Bestseller eine gute Möglichkeit, das Repertoire zu erweitern und dennoch seinem Faible für Literaturvorlagen mit Alleinstellungsmerkmal treu zu bleiben. Zum anderen aber bot Kings Roman die Möglichkeit, mit nur geringfügigen Modifizierungen die conditio humana zu verhandeln, die Kubrick in all seinen Filmen thematisierte, insbesondere sicherlich in den vorangegangenen drei Filmen "2001: A Space Odyssey" (1968), "A Clockwork Orange" und "Barry Lyndon". Im Fall von "The Shining" ist Kings eigentümliche Auffassung von Phantastik dabei sehr hilfreich...
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