Eine Kritik von Carbusters (Bewertung des Films: 8 / 10) eingetragen am 18.08.2008, seitdem 1703 Mal gelesen
„Fingered“ von Richard Kern; USA; 1986; Super 8; 26 Minuten.
Achtung: SPOILER!
Punk-Heroine und Hauptdarstellerin Lydia Lunch schrieb sogar das Drehbuch (Richard Kern wird nur als Co-Autor genannt); falls „Fingered“ frauenfeindlich sein sollte, so liegt das vielleicht an Lydia L’s Drehbuch. Aber wieso überhaupt frauenfeindlich? Lebt die Heldin denn nicht ihre Sexualität aus? Oder sehen wir doch nur Fantasien männlicher Pornographen? Vielleicht leistet der Inhalt einen Beitrag:
Auftritt Lydia Lunch. Ich nenne ihre Figur jetzt mal der Einfachheit halber „LL“. Man sieht sie, immer angemessen schwarz geschminkt, im kurzen Schwarzen und in Netzstrümpfen, bei der Ausübung ihres Berufs. Telefonsex. Barsch erklärt sie einem lästigen Freier, daß ohne Kreditkartennummer nichts läuft. Der Freier ist einfacher Natur, erregt sich durch Flüche, und ist auch nicht weiter wichtig: Ein schwarzer Umriß im grellen Gegenlicht; die harten Kontraste zeigen sein unaufgeräumtes Zimmer, in dem unruhig eine helle Katze umherspringt. Erst sieht man nur ihren Schwanz schwingen, sie selbst ist noch vom Freier verdeckt. Der beschimpft LL, die nach den vereinbarten fünf Minuten den Hörer auflegt.
Um ihren Typ anzurufen. Da macht ihr das Telefonat mehr Freude. Beide onanieren am jeweiligen Hörer, schwarz im harten Seitenlicht, so daß dem Zuschauer allzu explizite Einblicke erspart bleiben.
Später treffen sie sich in persona, es kommt zu reichlich Sex, inkl. Lecken, Poppen und schließlich Fingern (das „Fingered“ des Titels). Die Deutlichkeit erinnert an Hardcore, die Aggression in körnigen Schwarzweiß bietet aber nur wenig Vergnügen.
Daß die zwei auch eher spaßlose Figuren sind, zeigt sich im weiteren Verlauf.
Vor dem Haus parkt ihr Auto. Sonnig ist der Bürgersteig (die hellste Szene des Films). Ein dicker, typischer „Ami“ im weißen Hemd betatscht LL’s Hintern. LL selbst schimpft & flucht nur kurz, aber ihr Typ schneidet dem Dicken kurzerhand die Kehle durch. Blut spritzt. Schimpfend steigt das traute Paar ins Auto.
Er steuert, sie ist genervt. Er soll nicht so ein Aufsehen veranstalten. Müde sei sie, will nach Hause. „Nein“, erwidert er, ganz Macho trotz hippiemäßiger Langhaarfrisur. Die Fahrt gehe zu ihm.
Bzw. zu einem Freund, den man, im knappen Unterhemd, Gewichte stemmend im Freien antrifft. An einer staubigen Hofeinfahrt, sandige Straße, zwischen Gebüsch und niedrigen Bäumen. Zweifelsohne ist das Pärchen nun „im Grünen“ angelangt. Der Gewichtestemmer findet gleich Gefallen an der extrovertierten Rockerbraut. Und sie an ihm. Er hebt sie auf die Hüfte und sie scherzen munter rum, baldigen Sex erwägend. Das schmeckt ihrem Macker nicht; er rammt sein Messer in des Muskelmannes Oberschenkel. Blut spritzt. Der Typ staucht LL ins Auto zurück, beide beschimpfen sich. Der Bodybuilder hängt sich fluchend an die Stoßstange und wird noch ein Stück mitgeschleift.
Immer wieder sehen wir Totalen: Das Auto des Pärchens fährt durch buschbestandenes Hügelland; ich vermute, es handelt sich um die Wüstengegend vor Los Angeles. Schnitt ins Innere des Wagens: Beständig fluchend und schimpfend analysieren die beiden ihre Partnerschaft. Vor allem LL ist angepisst über das asoziale Betragen ihres Freundes. Der läßt sich ungern blöd anreden. Nach diversen Backpfeifen und Handgemenge fummelt er einen Trommelrevolver mit langem Lauf aus dem Handschuhfach, was LL aber nicht zum Schweigen bringt. (Eine emanzipierte Frau?) Ihr Text besteht meist aus „Fuck you!“.
Bis es dem Typen zu bunt wird. Er hält, zerrt LL aus dem Auto und „besorgt es ihr von hinten“ auf der Kühlhaube, unablässig von ihr beschimpft, doch nicht abgewehrt. Sie scheint das eher als nervige Zumutung zu empfinden. Als er sich dem Ende nähert, scheint sie ihren Widerwillen aufgegeben zu haben. Die auf der Kühlerhaube liegende Pistole benutzt sie jedenfalls nicht, um ihn aus sich raus zu holen, sondern feuert sie mit orgiastisch wirkenden Schüssen leer.
Sie fahren weiter. LL ist jetzt wesentlich entspannter, lehnt wie angekuschelt an ihrem Mann. (Stand by your man!) Halb im Scherz stellen sie fest, wie lästig und ungehobelt er sei, daß sie das für guten Sex aber in Kauf nehmen müsse.
Am Straßenrand steht eine junge Anhalterin (Lung Leg), im zerrissenen kurzen weißen Kleid mit bauschigem Rock, ein rechter Engel, wedelt hektisch mit beiden Armen. Sie klagt ihr Leid, ist wohl überfallen worden. Das freundliche Paar nimmt sie hilfsbereit mit, lehnt aber den Wunsch des Anhalterengels ab, sie „heim“ zu fahren. Längst schon befummelt der Typ, den Arm über LL’s Schultern, die Anhalterin am Genick. Sie will aussteigen und flieht, als das Auto am Trailerheim des Pärchens hält.
LL jagt sie, wirft sie zu Boden, hält ihr den Mund zu und ermahnt sie zur Ruhe. „Stay calm“ wird jetzt ein sehr häufig geäußertes Wort. Kein Wunder, die Anhalterin wehrt sich gegen die Verwaltigung durch den Typen, der mit offener Hose vor ihr steht und wirft auch LL ab, die sich (zur Beruhigung?!? „Stay calm!“) auf sie gelegt hat.
So wird der Typ sauer, verfolgt seinerseits die Anhalterin, haut sie (plötzlich ist die Kamera direkt über den beiden) gegen eine Wand und schlägt heftig auf das am Boden liegende Mädchen. Die Kamera wechselt mehrmals zur subjektiven Sicht der Anhalterin und bekommt so hautnah seine finalen Faustschläge sowie sein wiederholtes „I kill you!“ mit.
Erstaunlicherweise kann sie sich nachher noch bewegen, liegt voller Blut und Staub am Boden, sieht ein paar Mal jammervoll in die Kamera, kann sich aber nicht mehr aufrappeln. In den Staub getreten.
Unser unbekümmertes Gangsterpaar will gerade schimpfend abgehen, da ertönt aus dem Off ein Ruf, den ich, des Englischen nicht mächtig genug, nicht mehr verstanden habe. Sie fahren so hastig und fast erschrocken um, daß ich zu der Annahme neige, es handelt sich bei dem Ruf um eine polizeiliche Aufforderung zur Übergabe. Versprechen möchte ich aber nichts, trotz zweimaligem Ansehens.
Wie auch immer man den Film versteht: Schäbig, aggressiv, billig, simpel, nervtötend, politisch unkorrekt ist er auf jeden Fall. Eine triebgesteuerte Sex- und Gewaltphantasie über einen „Bonnie & Clyde“ -Verschnitt ohne Pardon, ohne Wiedergutmachung, ohne Hoffnung oder Entlastung. Ein Liebespaar, füreinander geschaffen, aber ohne Anmut, ohne Harmonie, ohne „Sinn für das Schöne“.
Aber ist Schönheit nicht ohnehin nur eine Fiktion, um die Massen vom Denken abzuhalten?!
(Bei der Betrachtung von Richard Kerns Homepage im August 2008 http://www.richardkern.com/photogalleries/index.html
ist allerdings von der düsteren „Häßlichkeit“ des „Fingered“ nur wenig zu sehen: Bunte Bilder nackter, sauberer Mädchen, teils in „wunderschönem“ Gegensonnenlicht, in „üppiger“ Natur, gern wie minderjährig, erinnernd an Britney Spears‘ Bild in „Not a girl - not yet a woman“. Sollte „Fingered“ eher ein Werk von Lydia Lunch 1986 als von Richard Kern 2008 sein? Dazu müßte ich beide genauer studieren.)
„Fingered“ bietet eine Liebesgeschichte, wie sie zu einer Welt von Staub, Bodybuilding, Autos, Sex als Ware und Belästigung paßt. Vielleicht überspitzt dargestellt, aber der Realität angemessen. Denn Realität ist stets subjektiv (haha...).
Unser News-Bereich wurde überarbeitet und wird in Kürze weiter ausgebaut werden, damit Sie stets aktuell über alle Neuigkeiten rund um die Welt des Films informiert sind.