Das Weiße Haus in Washington wird überrannt und sein Personal als Geisel genommen. Das wird so manchen alteingesessenen US-Kritiker an seinen letzten feuchten Traum erinnern, denn so viel Glück kann man in Wahrheit doch gar nicht haben. Aber alles ist möglich. Mit Antoine Fuqua, dem Regisseur von „Training Day" (2001) und „Shooter" (2007). Der lässt es nämlich mal wieder so richtig krachen im örtlichen Lichtspielhaus. Doch keine Vorfreude. Wer sich hier einen hochkarätigen Politthriller als Fernrohr zu den globalisierten Schwelbränden dieser Welt erhofft, wird ebenso wenig Spaß haben wie der kleine Peter mit seinem zwar angenehm warmen, doch recht kratzigen Wollmützchen von Omi. „Olympus Has Fallen" ist nämlich nichts anderes als ein waschechter, lupenreiner und überaus kompromissloser Actionbeitrag orchestriert in heute beinahe klassisch anmutendem Erzählduktus.
Es haben sich wieder einmal die Pforten der Hölle geöffnet in Hollywood. Und wer krabbelt da diesmal recht behänd hoch ans gleißende Licht der Erdoberfläche: Richtig fiese nordkoreanische Terroristen. Und die sind hier dermaßen hitlermäßig böse, dass die schlitzäugigen Landsleute aus dem aktuellen „Red Dawn" (2012) - in dem ebenfalls nordkoreanische Kommunisten überaus suizidgefährdet über die USA und Chris Hemsworth herfallen - geradezu dufte Kerle sind. Anführer Kang Yeonsak (Rick Yune), der Amerika ungefähr so gern mag wie Alice Schwarzer Männer, animiert jedenfalls die ohnehin schon passioniert groben Jungs und Mädels seines fernöstlichen Himmelfahrtkommandos, als das Weiße Haus erst einmal gestürmt und besetzt ist, zu einer Schufterei nach der nächsten. Denn nach dem fulminanten Eröffnungsspektakel - bei dem das halbe Stadtzentrum der amerikanischen Kapitale in einen erweiterten Arlington-Friedhof verwandelt wird - benötigt der Oberschuft von den gefesselten Geiseln die Zugangscodes zum, was sonst, amerikanischen Kernwaffenarsenal. Spätestens hier würde übrigens in Wirklichkeit neun von zehn zunächst schadenfrohen Zeitgenossen doch ein wenig mulmig werden, denn wer will schon dass die gesamten USA zu einem „radioaktiven Ödland" verglimmen, deren Fegefeuerqualm dann um den ganzen Erdball zieht? Super übrigens, dass die Codes für das Raketenprogramm „Cerberus" nicht auf ein, sondern auf drei Mitglieder der Regierung verteilt sind, denn so hat man mehr vom Foltern. Die restliche Zeit versüßt man sich, indem man in regelmäßigen Abständen den unbrauchbaren Rest des Kabinetts vor den Augen der Weltöffentlichkeit live exekutiert - zumindest offiziell wenigstens so lange, bis die Siebte US-Flotte aus ostasiatischen Gewässer weggeschippert und die Bahn frei ist für die vor sechzig Jahren unterbrochene Eroberung des koreanischen Südens durch die Lametta behangenen Neandertaler im Norden. Man sollte jetzt meinen, dass das Pentagon mit seinem Latein am Ende ist, doch ein Ass hat das Betonfünfeck noch im Ärmel: Den ehemaligen Green Beret, CIA, Navy Seal, Marine Corps Allroundrecken Mike Banning (Gerald Butler). Der ehemalige Leibwächter des Präsidenten ist nämlich während des Stahlgewitters zu Beginn unbemerkt ins zunehmend weniger behagliche und bald völlig abgeriegelte Weiße Haus geschlüpft und beginnt nun damit, im Alleingang die Parasiten im Pelz des Präsidenten (Aaron Eckardt) auszurupfen.
Wer hier unweigerlich an das erste Abenteuer von Bruce Willis als Tarzan vor der Wolkenkratzerkulisse Los Angeles‘ denkt, denkt schon richtig. Eine skrupellose Geiselnahme, verlogene Forderungen, überforderte Verantwortliche und eine im Gebäude wütende Ein-Mann-Armee mit dem Gemüt einer Wasserstoffbombe erinnern an die guten, alten Achtziger mit den noch gut gebauten Arnolds, Sylvesters und insbesondere an John McTiernans Actionmegahit von 1988. Irgendeine der damals verwendeten Mehrwegmatrizen muss sich Antoine erworben haben, um diesen bluttriefenden Knaller an Genrefilm in Bilder zu gießen. Und wie in der überwiegenden Mehrzahl der Fälle, lässt sich das Resultat des afroamerikanischen Regisseurs sehen.
Der Mehrwert von Fuquas „Olympus Has Fallen" liegt nämlich nicht im Einfallsreichtum der Inszenierung, sondern in deren handwerklichen Qualität. Soll heißen, der geneigte Genrefan wird hier bedient, nicht der ohnehin abgeneigte Politfreund. Weder wird sich hier in manieristischem Mummenschanz so mancher Comicverfilmung neueren Datums ergangen, noch wird verkopft nachgedacht über das doch Offensichtliche. Gerald Butlers Spitzbubenhürdenlauf durchs Weiße Haus ist Erwachsenenunterhaltung pur und will auch gar nicht mehr sein. Und wenn der ehemalige Personenschützer bereits überwundenen Gegnern nonchalant den letzten Rest per Kopfschuss gibt, statt sie der Justiz zuzuführen, dann adaptiert Fuqua die realitätsverlorene Gnadenlosigkeit heute zu kultigem Spaß mutierter, einstiger Feuilletonzielscheiben. Das kann man mögen oder nicht. Der Actionregisseur fungiert hier quasi als Ombudsmann einer totgeglaubten, aber nicht totzukriegenden Sucht nach einfachen filmischen Lösungen und schnell greifenden unbürokratischen Konzepten, die sich in den 70ern, 80ern und beginnenden 90ern als eigenständiges Genre manifestierte. Mit dem Ende des Kalten Krieges schwand beim Publikum zwar das Interesse an solchen, im Lichte der tristen Wirklichkeit doch trügerisch simplifizierenden medialen Botschaften. Also flüchtete sich Hollywood zunehmend, so möchte man meinen, ins vermeintlich gänzlich unpolitische Feld der Comicverfilmung, wo der Realitätsbezug so zweifelsfrei apokryph ist, dass man ganz unbekümmert drauf los ballern kann. Doch hebt sich immer wieder ein weiterer Kopf der althergebrachten Krachfilm-Hydra, um ihr Revier auszuloten und neu abzustecken. Und nicht zu Unrecht, wie man angesichts des die Erwartungen übertreffenden Einspielergebnisses sieht. Der Actionfilm lebt. Einzig die in die Jahre gekommenen Recken aus seinen frühen Tagen kämpfen derzeit um ihr Überleben.
Fuqua gelingt es, seinen Fokus geschickt zu justieren und genau das ins Licht zu rücken, was den Unterhaltungswert eines inhärent nicht um Authentizität bemühten Films wie „Olympus Has Fallen" ausmacht: Zweikämpfe, die nicht von der Kamera - wie jahrelang im Trend gewesen - verwackelt werden, malerisches Geballere aus allen Rohren bis die Luft brennt und choreographierte Einlagen, die nicht zu Zirkus Krone, sondern zu einem Actionfilm passen. Butler muss, um seine Widersacher zu zerlegen, keinen doppelten Rittberger oder fünffachen Salto mortale aufs Parkett legen, sondern prügelt eben so lange auf seinen Kontrahenten ein, bis der kaputt ist. Dabei bewegt sich der Grad seiner Anteilnahme am Schicksal der von ihm ins Gesicht geschossenen oder just zu Klump gehauenen Gegner ungefähr auf dem Niveau eines Steven Seagal, der uns beim Töten exakt den gleichen Gesichtsausdruck wie beim Salatmampfen präsentiert, nämlich gar keinen. Und so will man das sehen. Hier wird sich nicht überkreativ im Plot verheddert oder die Komplexität des Lebens mumifiziert. Hier wird geschossen bis das Magazin leer ist. Und dann ist der Fall abgesch(l)ossen. Papierkram gehört aufs Klo.
Warten wir mal, was uns Roland Emmerich demnächst mit „White House Down" vorsetzt, der eine ähnlich gestrickte Geschichte um den Wohn- und Arbeitsplatz des amerikanischen Präsidenten erzählen wird. Da man aber damit rechnen darf, dass der Deutsche sein Werk für ein erweitertes Zielpublikum ins Auge fassen wird, wird ihm wohl die Schärfe Fuquas Film abgehen, der sich nicht einmal um die zurecht anbrandende Kritik an seinem kitschigen Schluss schert, wo wieder einmal zu viel die US-Flagge malerisch im Wind weht und pathetisch bramarbasiert wird, wie toll man doch ist in God's Own Country. Von seiner schonungslosen Gewaltdarstellung einmal ganz abgesehen. Beides darf ungestraft nur Steven Spielberg tun. Aber der verpackt das Wirkungspotential seiner Filme auch subtiler. Spitzfindig ist „Olympus Has Fallen" nicht, aber ein schwungvoller, ehrlicher Genrebreitrag allemal. Und da ist Antoine Fuqua zuhause. Da kennt er sich ebenso gut aus wie Gerald Butler alias Mike Benning im Weißen Haus.