The former enemies of North and South are united again in common defense of their Aryan birthright.
Was heute, nach den Erfahrungen des Nationalsozialismus, insbesondere für uns Deutsche schauerlich klingt, war noch vor hundert Jahren kinotauglich. Zwar kam es schon zur Uraufführung des D.W. Griffith Klassikers „The Birth of a Nation" im Jahre 1915 zu Protesten in einigen amerikanischen Großstädten, doch blieb die Geschichte einer Südstaatenfamilie, die die Nöte des Bürgerkriegs durchleidet, nur um nach dem Abschluss der Kampfhandlungen den Schikanen des siegreichen Nordens ausgesetzt zu sein, ein beachtlicher Erfolg an der Kinokasse. Der Film traf mit seinem kritischen und vorurteilsbeladenen Portrait der schwarzen Neubürger offensichtlich den Nerv der Zeit, denn selbst der amtierende Präsident Woodrow Wilson ließ sich den für damalige Verhältnisse inszenatorisch bahnbrechenden Film in seiner Residenz vorführen. Über drei Stunden nimmt sich dieser Stummfilm Zeit, dem Zuschauer das Schicksal der Familie Cameron näherzubringen, deren ältester Sohn im Verlauf der Handlung den Ku-Klux-Klan gründen wird, um sein Heimatstädtchen in einem kostspieligen Showdown vor einem Mob zu retten, der sich vornehmlich aus Schwarzen rekrutiert.
Doch zunächst scheint alles heil und friedlich. Die Camerons, eine wohlhabende Familie aus South-Carolina, empfangen kurz vor dem Ausbruch des Krieges ihre Freunde, die Stonemans, aus dem Norden. Die Gäste kommen aus Washington und so nimmt es nicht wunder, dass deren ältester Sohn und Freund des zukünftigen Klan-Gründers für die Union in den Krieg ziehen wird. Dessen daheim gebliebener Vater, ein radikaler Abolitionist, wird stellvertretend für die im Film beklagte geistige Trägheit der zentralistisch denkenden Eliten in der Bundeshauptstadt stehen und erst ganz am Schluss seine Fehler einsehen, nämlich, etwa den Schwarzen das Wahlrecht zuzugestehen oder die Vernunftherrschaft der sittsam-tugendhaften weißen Oberschicht des Südens zu bestreiten. Nicht zufällig ähnelt die erfundene Filmfigur dem unlängst von Steven Spielberg ungleich überzeugender in Szene gesetzten republikanischen Hardliner Thaddeus Stevens („Lincoln", 2012), dem selbst der fortschrittlich denkende und zupackend handelnde Präsident noch zu zögerlich war, was Befreiung und Gleichberechtigung der Schwarzen anbetraf.
Die Feindseligkeiten brechen aus und die Zeit fordert ihren Tribut. Auf beiden Seiten fallen geliebte Familienangehörige und zerbrechen Hoffnungen. Doch der hochgerüstete Norden wird im Gegensatz zum Süden nicht umsonst zur Ader gelassen. Er wird den Sieg über den wenig industrialisierten Gegner, dessen Wirtschaft vornehmlich landwirtschaftlich geprägt ist, davontragen und das gewaltsam geeinte Amerika auf den Weg zur Weltmacht setzen. In aufwändigen Massenszenen, in denen geschickt mit ein paar Hundert Statisten eine wesentlich größere Menge an Komparsen vorgetäuscht wird, erfährt der Zuschauer, für die damalige Zeit äußerst eindringlich, vom Leid und Opfergang der in den Kampf ziehenden Jugend. Mit einigen, dem Stummfilm eigenen Einblendungen, wie „If in this work we have conveyed to the mind the ravages of war to the end that war may be held in abhorrence, this effort will not have been in vain", wird zudem der Anspruch des Regisseurs betont, das Grauen der Zeit und ganz allgemein den Krieg als abschreckend zu zeichnen. Diese Absicht allerdings würde auch im Jahre 2016, also über hundert Jahre später, auf Verständnis stoßen. Nicht jedoch die Darstellung der Afroamerikaner, die „Birth of a Nation" für nicht wenige Rassisten der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts zu einer Art filmischen feuchten Traum werden ließ.
Mit Kohle bemalte Weiße wuseln durchs Bild (hier und da ist außerhalb tragender Rollen auch ein echter Schwarzer zu sehen) und schikanieren das Städtchen. Man bedrängt Frauen, so etwa die Schwester des Helden, stiehlt und führt anschaulich dem geneigten Zuschauer vor, dass westliche Zivilisation dringend weißer Führung bedarf, will sie nicht zu Willkür, Korruption und Barbarei degenerieren. Das pseudohistorische Vorbild dieses wilden Treibens waren die tatsächlich bedauernswerten, vereinzelten Vorfälle in Teilen des besiegten Südens direkt nach dem Krieg, bei denen sich befreite Sklaven an ihren einstigen Besitzern und anderen greifbaren Weißen relativ ungestraft rächten, indem sie sich etwa an fremdem Besitz schadlos hielten. Dass jedoch die Vorgeschichte dieser Übergriffe von D.W. Griffith nicht erzählt wird, dürfte wenig überraschen. Von gewaltsam getrennten Familien, von mit der Peitsche Nachdruck verliehener Rechtlosigkeit oder gar sexueller Ausbeutung erfährt man hier kein Wort. Stattdessen werden die (echten und unechten) Farbigen im Film zwei Kategorien zugeordnet: Den treuen anständigen Schwarzen, die ihre weißen Herren schützen und sich als Spione empfehlen, und den nach Höherem strebenden, vom Norden korrumpierten unanständigen Schwarzen, die sich gar erdreisten, Mischlingsehen zu fordern.
Angesichts dieser völlig eskalierenden Situation bedarf die verängstigte Bevölkerung eines Protektors. Und der trägt weiße Laken, Kreuze auf dem Gewand und auf dem Kopf Zipfelmützen. Und er ist nicht, wie im modernen Film Hollywoods, ein verhüllter Hampelmann oder krabbelnd auf der Flucht aus dem Irrenhaus, sondern ein ehrenvoller Retter, ein Ritter beinahe aus der Feder Sir Walter Scotts. Der vom ältesten und einzigen aus dem Krieg heimkehrenden Sohn der Camerons jedenfalls im Film gegründete Ku-Klux-Klan wird als notwendige Reaktion auf die untragbare Situation vor Ort ins Werk gesetzt, nicht als Organisation weißer Rassisten im Kampf gegen den neuen Status Quo.
„The Birth of a Nation" ist, und das muss ihm attestiert werden, was sein filmisches Handwerkszeug und die rührige Kreativität seiner Macher angeht, ein hochqualitativer Film. Erstmals wurde im Kino narrativ die Spannung von Szene zu Szene gesteigert, bis sie sich schließlich nach einer Klimax entlädt, nur um dann wieder langsam an Fahrt zu gewinnen und kontinuierlich bis zum nächsten Höhepunkt beschleunigt zu werden. Was uns heute selbstverständlich erscheint, war für den Zeitgenossen cineastisches Neuland. Die Vorlage des Films, der 1905 erschienene Roman „The Clansman", wurde sozusagen richtungsweisend für das Lichtspielhaus adaptiert. Zumindest, was die zweite Hälfte von „Birth of a Nation" betrifft, denn das zehn Jahre zuvor erschienene Buch hatte ausschließlich die Gründung des Ku-Klux-Klan zum Inhalt.
D.W. Griffith war ein Rassist. Und doch hatte er nicht geahnt, welche unheilvollen Wellen sein Film schlagen würde. Das brennende lateinische Kreuz, das wir auch im Bild sehen, wurde vom ursprünglichen Ku-Klux-Klan nie benutzt, sondern erst nach seiner Wiedererweckung im 20. Jahrhundert als sozusagen zündende Idee aus dem Film (beziehungsweise seiner Romanvorlage) dankend übernommen. Dass der Regisseur später die Tragweite seiner Fahrlässigkeit einsah, beweisen die konzilianteren Töne seiner weiteren Karriere, wobei er jedoch, trotz intensiven Bemühens, nie wieder an den moralisch fragwürdigen Erfolg seines heute so verfemten Meilensteins anknüpfen konnte.