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Was könnte langweiliger sein, als brave und schöne Menschen? Dies scheint sich John Waters jedes Mal zu denken, bevor er einen neuen Film dreht. In Pink Flamingos seinem berüchtigtsten Film, streiten sich die zwei Familienoberhäupter Babs Johnson (Divine) und Mrs. Marble (Mink Stole) um den Titel „filthiest person alive“. Der Unterschied beider ist ihre soziale Herkunft: Provinzieller White Trash im Wohnmobil und dekadente Hässlichkeit im Villenviertel. Familie Johnson bzw. Babs hält den Titel. Diese pflegt auch gelegentlich ihr inzestuöses Verhältnis mit ihrem kriminellen Sohn Crackers (Danny Mills). Die fette Oma (Edith Massey) sitzt den ganzen Tag im Gitterbett und schaufelt zentnerweise gekochte Eier in sich hinein oder wartet auf den (na wen wohl?) Eiermann. Die Familie Marble hingegen entführt für ihre „Adoptions-Klinik“ junge Frauen, lässt sie vom Butler schwängern und verkauft schließlich die so gezeugten Babys.

Inzest, Kannibalismus, Sex unter Zuhilfenahme eines lebenden Huhns, ein „singendes“ Arschloch, der Verzehr von Exkrementen, Vergewaltigung, Mord, Pornographie und anderes mehr. Egal für wie abgebrüht man sich hält, irgendetwas an oder in diesem Film lässt einem die Schamesröte ins Gesicht steigen und/oder den Blick zutiefst angewidert vom Bildschirm abwenden.

Waters' Einfluss und die Vorwegnahme eines slapstickhaften Bad-Taste-Humors, der Körperflüssigkeiten jedweder Art und sexuelle Absonderlichkeiten in den Fokus rückte, kann gar nicht hoch genug eingeschätzt werden. Die Liste jener Regisseure, die heute jene Früchte ernten, die Waters erst noch säen musste, ist lang: Die Farrelly-Brüder (Dumb and Dumber), Trey Parker und Matt Stone (South Park), die Jackass-Crew, die Wayans-Brüder (Scary Movie) und viele mehr. Auffällig dabei ist, während Waters für seine Obszönitäten noch angefeindet und skandalisiert wurde (was dieser wohl auch sehr genoss), haben seinen späteren Nutznießer kaum mehr zu befürchten, als einen zweifelhaften Ruf bzgl. ihres Niveaus. Dabei lösten manche dieser späteren Regisseure diesen Fäkalhumor aus ihren eigentlich subversiven Gedanken, den Waters noch verfolgte, heraus und setzten ihn in brav angepasste Spießbürgerwelten (wie etwa in Big Momma’s House oder aktuell in Hangover ). Der anarchische Charakter wurde so zu zahnlosen und platten Sex- und Homowitzchen, die im Gegenteil, jegliche Abweichungen der Norm (heterosexuell, attraktiv, Mittelschicht) zur Zielscheibe dümmlicher Zoten degradierten.

Pink Flamingos hingegen ist bis heute ein mehr erfrischend verstörender, als tatsächlich lustiger Film geblieben. Wie kein anderer, weder vor, noch nach ihm, wurde Punk, Anarchismus, Chaos und schmutzige Anstößigkeit treffender und absoluter auf den Punkt gebracht. Und auch wenn Waters‘ knalliger Vulgärhumor längst vom Mainstream linientreu vereinnahmt wurde, die meisten seiner Filme sind bis heute „nicht gesellschaftsfähig“ geblieben und das ist gut so, wenn nicht sogar sensationell.

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