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Christopher Nolan philosophiert über die Zukunft. Dabei wandelt der sehr beliebte Regisseur mit dem Nimbus des erzählerischen Anspruchs nicht auf den eigentlich ausgelatschten Pfaden endzeitlicher Science-Fiction, sondern möchte eher im Fahrwasser des vermeintlich großen Vorbilds Kubricks und seiner Odyssee im Weltraum verortet werden. Ob das seinem Film zum Vorteil gereicht, bleibt zu erörtern. Seine Herangehensweise ans Sujet jedenfalls ist aufsehenerregend. Der gebürtige Brite bedient sich allerlei physikalischer Postulate und hyperfantastischer mathematischer Möglichkeiten, um die eine Story gesponnen wird mit der nicht ganz unbescheidenen Ambition, die Menschheit zu retten.

Leider entpuppt sich Nolan wie schon zuletzt bei seinem etwas dahingewurstelten dritten Teil der Batman-Saga nicht nur als Filigranarbeiter, sondern auch als Mann fürs Grobe. Das bedeutet keineswegs, dass er mit „Interstellar" nicht eine durchaus fesselnde Geschichte zu erzählen hätte oder es nicht zu Wege brächte, einen Cast sympathischer und recht plausibler Figuren behutsam durch seinen Film zu führen. Doch erleidet er justament dann (Raum-)Schiffbruch, wenn es gilt, seinem selbst formulierten Anspruch gerecht zu werden, theoretisch interessante Diskussionsgrundlagen zur Zukunft unserer Spezies, gar unserer Herkunft oder auch nur unseres artgerechten Miteinanders zu liefern.

In naher Zukunft. Die Erde geht ihrem Ende entgegen. Zumindest, was die Gattung Mensch anbetrifft. Ernten fallen durch weltweiten Parasitenbefall aus. Sandstürme verstauben den Planeten. Familienvater Cooper (Matthew McConaughey) ist als ehemaliger NASA-Pilot eigentlich zu höherem geboren, doch fristet er sein Dasein als Farmer im mittleren Westen der Vereinigten Staaten, um die Subsistenz seiner Familie zu sichern. Dabei ist es absehbar, dass der tägliche Kampf gegen die Widrigkeiten der Zeit schlussendlich einem Kampf gegen Windmühlen gleicht. Doch eines Tages geschieht etwas Seltsames. Der von einem Sturm durch ein offenes Fenster in die heimische Bibliothek Coopers geblasene Wind fällt nicht physikalisch triftig und paritätisch verteilt auf die Dielen, sondern bleibt in rätselhaft geformten Spuren auf dem Fußboden liegen. Töchterchen „Murph", seit längerem davon überzeugt, dass es in der Bibliothek spukt, macht ihren Vater auf die sonderbaren Muster aufmerksam. Der wiederum erkennt im Sand chiffrierte Koordinaten, die ihn in die zufällig gar nicht weit von der heimischen Farm entfernte, im Verborgenen operierende Basis des einst beeindruckenden amerikanischen Weltraumprogramms führen. Dort erfährt er, dass sein Eintreffen vor Ort kein Zufall war und er dazu bestimmt ist, Geschichte zu schreiben.

Für den Zuschauer allerdings stellt sich im Verlauf des Films die Frage, welche das denn ist. Erzählt Nolan jetzt Geistergeschichten? Oder bemüht er, wie vielfach gehört, wirklich die Wissenschaft, um den ungewöhnlichen Duktus seines Films über ein Skelett aus Theorie zu stülpen? Die doch etwas ernüchternde Antwort: Er macht einen Spagat zwischen beidem.

Zwar kokettiert die Geschichte ein wenig mit der in ihr feilgebotenen Theorie zu Wurmlöchern, mittels derer man in ferne Galaxien vordringen könnte. Man plaudert über den praktischen Nutzen der veränderten Physik Schwarzer Löcher. Und Einsteins Relativität der Zeit findet auch ihre wunderbar philosophisch in die Story untergehobene Verwendung. Doch gehen Nolan spätestens im letzten Drittel seines Films mit Überlänge die Pferde durch. Da wird ein wahrer Logikfehlerparcours im Galopp genommen und ohne Rücksicht auf die Sinnhaftigkeit des Gezeigten über theoretische Grundlagen nicht mehr inhaltlich sauber diskutiert, sondern laienhaft fabuliert. Dabei bleibt selbstredend auch die Triftigkeit des eigentlichen Geschehens unweigerlich auf der Strecke (Wer nicht zu viel erfahren möchte über den Verlauf der Geschichte liest ab hier nicht weiter).

Cooper und seine Mitraumfahrer (unter anderem Anne Hathaway) begeben sich auf eine Reise durch Raum und Zeit, indem sie ein in der Nähe des Saturns befindliches Wurmloch als Express in eine andere Galaxie nutzen. Man möchte neue bewohnbare Welten erkunden. Die Passage in die eigentlich unerreichbare Ferne des Universums wurde, so erfahren wir, künstlich angelegt. Und zwar, so hören wir schließlich, von den Menschen der Zukunft. Spätestens hier könnte sich Matthew McConaughey doch eigentlich entspannt zurücklehnen, denn die Menschheit hat ja offenbar in der Zukunft überlebt. Tut er aber nicht. Er reist Wochen und Monate durch die Leere des Weltalls, während auf der Erde Jahrzehnte vergehen. Doch als er schließlich im Wurmloch der vierten Dimension begegnet, hackt er kurzentschlossen Einsteins Theorie in blutige Scheiben und reist in seine eigene Vergangenheit. Er selbst war es nämlich, der seinem jüngeren Ich und seiner damals noch kleinen Tochter im Sandsturm eine Botschaft in die heimische Bibliothek zauberte. Außerdem riet beziehungsweise rät er sich selbst, bei seinem Töchterchen zu bleiben und nicht zu reisen. Warum? Wir erfahren es nicht. Es gelingt ihm doch schlussendlich - wie sollte es im amerikanischen Kino auch anders sein - mit genau jenem schweren Entschluss die Welt zu retten. Wie er das zu Wege bringt bleibt bei allem Diskurs über die Gravitation Schwarzer Löcher leider ebenfalls ein gut gehütetes Geheimnis des Drehbuchs, denn jedes Mal, wenn der Theorie des Films sozusagen auf den Zahn gefühlt wird, wird selbiger kurzerhand mit einer hohen Dosis Gefühl und Emotion betäubt. Die chiffrierte Nachricht ist eine Botschaft der Liebe. Keine Lösung des Gordischen Knotens der zunehmend wirren Geschichte.

Eine echte Erklärung von Nolans bunten Treiben würde ungefähr so lauten: Fünfdimensionale Menschen aus der Zukunft helfen Matthew McConaughey dabei, eine Botschaft an sich selbst zu schicken, auf eine Mission zur Rettung der zukünftigen fünfdimensionalen Menschheit zu gehen, die Matthew McConaughey dabei hilft, eine Botschaft an sich selbst zu schicken.

Christopher Nolan meint es ernst damit, Stanley Kubricks Meilenstein auf seine Weise nachzueifern. Wie einst im Jahre 1968 wird der Sinn des Gezeigten den fleißig gerührten Werbetrommeln zum Trotz eher kleingeschrieben und dafür sehr der Sprache der Bilder vertraut. Wenn Matthew McConaughey da im Nichts eines kosmischen Tesserakts schwebt und durch seine exponentiell ins Unendliche vervielfältigte vierdimensionale Bibliothek gleitet, erinnert man sich an den alten Mann am Ende von Kubricks Odyssee, der ebenfalls wenig plausibel von einer expressionistischen Bilderflut in sein Sterbebett katapultiert wurde. Die behaupteten Parallelen der beiden Filme sind also durchaus vorhanden. Die berechtigte Frage muss erlaubt sein, was daran gut sein soll.

Warum sich nun angeblich die Menschen der Zukunft den Menschen der Vergangenheit so aufwändig annehmen, es ist egal. Die nicht beantworteten naturwissenschaftlichen Fragen vermögen es nicht, den Blick auf die von Nolan einfühlsam erzählte Geschichte um Liebe und familiäre Bande zu verstellen. „Interstellar" hat seine wundervollen Momente. Das muss man ihm lassen. Und zwar vor allem dann, wenn die Vergänglichkeit der Dinge und die daraus folgende Notwendigkeit diskutiert wird, seine Zeit auf Erden sinnvoll zu gestalten. „Carpe diem" sagte einst der römische Dichter Horaz. Und da sind wir auch schon mitten drin in den Geisteswissenschaften. Die müssen nämlich die Prämisse sein, unter der es sich doch lohnt, Nolans neuestem Film Schönes abgewinnen zu wollen. Und keine verkorkste Debatte um die Stichhaltigkeit der im Film überstrapazierten Gravitation.

Wer sich ernsthaft für Astronomie interessiert, genießt vielleicht besser die aktuell in den Medien zu verfolgende wirklich bahnbrechende Forschungsarbeit der Sonde Philae. Sollte das erzählerisch zu eintönig sein, könnte der multifache Oscargewinner „Gravity" (2013) von Regisseur Alfonso Cuaron womöglich Abhilfe schaffen, der nicht nur in Sachen Plausibilität, sondern auch in punkto Dramaturgie der bessere Genrebeitrag ist. Ist man jedoch an einem philosophischen Exkurs über das sonderbare Moment menschlicher Fähigkeit zur Liebe interessiert, erlebt man womöglich einen rührenden Film. Und ohne gefühlsduselig zu werden, ist man sich mit Sicherheit weithin einig, dass die Liebe an Relevanz sogar die Mathematik übertrifft. Anne Hathaways Filmcharakter kann das im Gegensatz zu uns Normalsterblichen sogar nüchtern begründen. Ihrer Ansicht nach besitzt die Liebe nämlich ganze fünf Dimensionen. Damit wäre sie im wahrsten Sinne des Wortes zumindest der handelsüblichen Physik entrissen.

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