Eine Kritik von vodkamartini (Bewertung des Films: 9 / 10) eingetragen am 22.01.2016, seitdem 1620 Mal gelesen
„Über sieben Brücken"
Ob Sylvester Stallone und Ryan Coogler den deutschen Rock-Evergreen „Über sieben Brücken musst du geh´n" kennen, darf getrost stark bezweifelt werden. Sieht man allerdings, wie Star (Stallone), Autor und Regisseur (Coogler) im nunmehr siebten Teil der „Rocky"-Saga sich der Hauptfigur nähern, ist man fast versucht zu glauben es mit heimlichen Maffay- oder Karat-Fans zu tun zu haben.
Natürlich ist das erste Spinn-off der Reihe vordergründig in erster Linie ein Film über den Titelhelden Adonis „Creed" (Michael B. Jordan). Der uneheliche Sohn der noch vor seiner Geburt verstorbenen Box-Legende Apollo Creed brennt darauf, aus dem Schatten des berühmten Vaters zu treten. Dass er dies ausgerechnet im Boxring zu tun beabsichtigt, macht die Aufgabe nicht gerade leichter. Also zieht er von L.A. nach Philadelphia und bittet den ehemaligen Erzfeind und späteren besten Kumpel seines Vaters um Hilfe. Doch der von Alter und Schicksalsschlägen gebeutelte Rocky Balboa (Sylvester Stallone) zeigt zunächst wenig Interesse, den aus dem Nichts auftauchenden Emporkömmling zu trainieren.  Â
„Manchmal bin ich ohne Rast und Ruh´..."
Adonis ist ein zerrissene Persönlichkeit, geprägt sowohl von seinen rauen Erlebnissen in diversen Jugendstrafanstalten, wie auch von der fürsorglichen Erziehung seiner Stiefmutter Mary Ann Creed (Pylicia Rashad), die den aggressiven und rauflustigen Jungen den Weg zu Bildung und beruflichen Perspektiven eröffnete. Angetrieben von innerer Unruhe und einer immer wieder hervor brechenden Wut, sieht er seine Zukunft aber ganz woanders.
„ ... manchmal schließ´ ich alleTüren nach mir zu ..."
Also kündigt er seinen Job, obwohl er sogar kurz davor erst befördert worden war. Er zieht aus dem schlossähnlichen Anwesen Mary Anns aus, verlässt Kalifornien und mietet sich in einer schäbigen Wohnung in Philadelphia ein. Bewusst bricht er alle Brücken hinter sich ab, um von ganz unten neu anzufangen.
Michael B. Jordan hat nicht nur ein Jahr lang wie ein Besessener seinen Körper und den Boxsport trainiert, sondern wohl auch die ersten vier Rocky-Filme ausgiebig studiert. Die Ähnlichkeiten zu Mimik, Gestik und Sprachduktus von Carl Weathers (Apollo Creed) sind jedenfalls verblüffend und tragen enorm zur erstaunlichen Saga-Authentizität von „Creed" bei. Noch mehr ist dies alles Sylvester Stallone zuzuschreiben, der sein Alter Ego zum nunmehr siebten Mal mimt und dabei alles reinlegt, was ihn als Darsteller auszeichnet.
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„Manchmal scheint die Uhr des Lebens still zu stehn, manchmal scheint man immer nur im Kreis zu gehn ..."
Schon in „Rocky Balboa" (2006) hatte Stallone bewiesen, dass er weit mehr als nur der von vielen belächelte, tumbe Action-Star ist. Noch einmal fast 10 Jahre später dürften die letzten Nörgler endgültig verstummen. Mit sehr viel Gespür für kleine Gesten und intime Momente portraitiert er einen gebeugten, vom Leben gezeichneten Mann, der von der Zukunft nichts mehr erwartet. Seine engsten Bezugspersonen sind entweder gestorben (Frau Adrain und Schwager Paulie), oder haben den Kontakt abgebrochen (Sohn). Mit ganz subtilen und simplen Mitteln gelingt es Stallone, die ganze Traurigkeit und Resignation Rockys intensiv zu vermitteln. Ihm genügen ein paar Blicke und ein etwas schlurfender, gebeugter Gang, um ein Empathie-Feuerwerk zu zünden, das an seine ähnlich eindringliche Darstellung im Original erinnert und völlig zu recht für diverse Filmpreise gehandelt wird. Man spürt, dass der sympathische Boxer für ihn weit mehr ist als nur eine Rolle, dass man es hier mit einer Mischung aus Liebe, Hingabe, Identifikation und Identitäsbildung zu tun hat.Â
„Manchmal greift man nach der ganzen Welt, manchmal meint man, dass der Glücksstern fällt ..."
Coogler schafft all dies, ohne jemals den Eindruck eines simplen Remakes zu vermitteln. Denn obwohl vieles an vorangegangene „Rocky"-Teile erinnert (u.a. Aufstieg eines nicht mehr ganz jungen Boxers aus dem Nichts, widerwillige Rückkehr einer alten (Trainer-)Legende ins Rampenlicht, eine Auf-und-ab-Beziehung aus Annäherung, Zerwürfnis und emotionalem Triumph), sorgen kleinere Veränderungen und Neuausrichtungen für einen frischen Eindruck, der die Serie bereichert und ihr sogar neue Perspektiven eröffnet.
Und obwohl Adonis und Rocky den gängigen Sportfilm-Kreislauf aus geballter Motivation, überraschenden Anfangserfolgen, unerwarteten Rückschlägen und Mobilisierung letzter Energiereserven auf das große Ziel beinahe schnurstracks durchlaufen, bleibt die zu erwartende Genre-Formelhaftigkeit aus.
„Manchmal nimmt man, wo man lieber gibt, manchmal hasst man das, was man doch liebt ..."
Geschickt inszeniert Coogler die Beziehung der beiden als eine Schicksalsgemeinschaft, bei dem jeder vom anderen direkt profitiert und so neue Lebenskraft schöpft. Denn obwohl Coogler durchaus Platz für eine zarte, unkitschige Liebesgeschichte findet, ist „Creed" in erster Linie ein Film über Freundschaft, Ehre, Respekt und Loyalität zwischen zwei Männern, die durch ein schicksalhaftes Band verbunden sind. Ein Film aber auch über den Kontrast zwischen jugendlichem Ehrgeiz und altersbedingter Resignation, zwischen ungezügelter Wut und erfahrener Abgeklärtheit. Ein Kontrast dessen scharfe Kanten im Verlauf der Beziehung abgeschliffen werden und damit beider Persönlichkeit positiv beeinflussen.
„Über sieben Brücken musst du geh´n ...."
Sieben Mal hat Sylvester Stallone nun die von ihm erschaffene Figur des etwas einfältigen aber grundsympathischen Boxers Rocky Balboa gespielt. In jedem dieser Filme - auch in den vermeintlich weniger tiefsinnigen und eher Action-orientierten Teilen III und IV - hat er eine neue Seite offenbart und den Charakter weiter entwickelt. Eine beinahe 40-jährige, faszinierende Reise, die sämtliche Höhen und Tiefen eines Menschenlebens auf ehrliche, unprätentiöse Weise beleuchtet und diese zumeist zu großem Unterhaltungskino verdichtet. Darüber setzten die Filme auch in ihrer Inszenierung des Boxsports Maßstäbe und verbinden Ästhetik, Brutalität, Energie dieser Disziplin zu berauschenden Ringschlachten, die innerhalb des Genres weitestgehend konkurrenzlos dastehen.
„Creed" verfügt über all die genannten Stärken, erinnert in seiner perfekten Austarierung aller Elemente sogar an das immer noch unerreichte Original. Ob das für eine mögliche Staffelübergabe genügt, muss die Zukunft zeigen. Ein Verzicht auf Stallones ikonische Figur scheint immer noch schwer vorstellbar, zu sehr ist er auch hier nach wie vor Herz und Seele der Geschichte. Andererseits waren die „sieben Brücken" in der Coverversion Peter Maffay´s sogar noch erfolgreicher. Und Apollo hatte Rocky ja auch eine zweite Chance gegeben, die dieser sehr erfolgreich nutzte ...
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