Kulturell beschlagene Zeitgenossen oder Kunstliebhaber kennen die Vanitas-Stillleben aus der Zeit des Barock. Da geht es um Vergänglichkeit und dem Wort nach natürlich um die kurzlebige Freude an - wertvolle Lebenszeit vergeudender - Eitelkeit. Klammert man sich nämlich so sehr an sein Spiegelbild, dass da sonst nichts ist, an was sich zu klammern lohnt, ist man in diesem irdischen Dasein auf Gedeih und Verderb seinem (guten) Aussehen ausgeliefert. Und ist es damit einmal dahin, wie das nur allzu menschlich ist, verfliegt die Lebensfreude, verpufft die Zukunft, drohen die Neurosen. Ein interessantes, wenn auch neues Thema für Nicolas Winding Refn, den dänischen Regisseur, der mit den Milieu-Filmen der Pusher-Reihe (1996-2005) bekannt und mit „Drive" (2011) berühmt geworden ist.
Mit den ersten Einstellungen, für die sich Nicolas Winding Refn unendlich viel Zeit lässt, wird klar, dass der Europaexport mit seinem bisherigen Filmschaffen beinahe radikal bricht. Entgegen den auch von ihm bisher befolgten Regeln des modernen Kinos, bemüht sich Refn diesmal von Beginn an und über die gesamte Laufzeit hinweg, die von ihm erzählte Geschichte mit visuell brillant arrangierten Bildern zu kodieren. Sicher ist, es geht um die junge Jesse (Elle Fanning), die aus der Provinz nach Los Angeles zieht, um sich in einer Modelagentur zu bewerben. Doch statt sich dem gewöhnlichen Prozedere unterziehen zu müssen, öffnen sich dem unschuldigen Ding alle Türen. Eine Stadt fällt vor der sagenhaften Schönheit auf die Knie. Nicht nur mit dem Staunen der Szene, auch mit dem Neid ihrer Konkurrentinnen muss sie sich dabei zunehmend arrangieren. Doch analog zum Farbwahnsinn, der sich hier krankhaft ausbreitet, muss auch die junge Hauptfigur unausbleiblich der Geistesgestörtheit der von ihr auf den Kopf gestellten Schickeria erliegen. Wenn auch auf vermutlich unvorhergesehene Weise.
Ein bisschen wie eine Mischung aus Richard Kelly („Donnie Darko", 2000) und David Lynch („Lost Highway", 1997) wirken die ersten Bilder dieses wirklich ungewöhnlichen Films. Nur viel bunter. Verklausulierte Fragmente an Information werden, von mitunter selbstzweckhaften Bilderwelten getragen, häppchenweise an den Zuschauer verfüttert. Das geht so bis kurz vor Schluss (mit lustig). Offenbar stehen Models und deren Ellenbogenmentalitäten im Visier des Regisseurs, wobei der Däne das im Kunstfilm gern gesehene kalkulierte Tabu sucht. Doch während sich trotz der Bilderflut hie und da durchaus ein dramaturgisch intensiver Moment einstellt, bemüht sich Nicolas Winding Refn über weite Strecken seines Films, in einer Sprache zu sprechen, die vom Rezipienten entschlüsselt werden soll. Und muss - will der sich denn von der bisweilen erzwungenen Sinnlichkeit der Bilder einfangen lassen.
Es ist dieser entschieden prononcierte Eros der Geschichte, der eine Freundin (Jena Malone, „Donnie Darko") von Jesse dazu treibt, anstelle der nicht erwiderten lesbischen Liebe, sich an einer Frauenleiche zu vergehen. Und sie ist nicht die einzige, die dem Irrsinn um die in Bezug auf ihr (eigentlich unauffälliges) Aussehen überzeichnete Elle Fanning zum Opfer fällt. Patrick Süßkind und co lassen schön grüßen, denn dieses Style-over-Substance-Drama muss, und das ist seine einzige dramaturgische Parallele zur griechischen Tragödie, im Schmerz enden. Wie so viele unerfüllte Träume in der so gar nicht engelsgleichen Stadt der Luftschlösser.
Nicolas Winding Refns „The Neon Demon" wirkt wie ein Alptraum. Wie eine nicht von den Augen zu wischende Schimäre. Herausragende Kameraarbeit und makellose Bilder zeichnen jedenfalls diesen schillernd-überdrehten Trip durch was auch immer aus, wobei sich je nach Sympathie die Frage stellt, ob dieses buntscheckig-schreiende Extremwerk äußerst wertvoll - oder doch extrem langweilig ist. Arthouse ist dieser stilvolle Stilbruch auf jeden Fall. Beinahe eine Art Führung durch eine Pinakothek der Moderne. „The Neon Demon" ist einer dieser Filme, die sich ganz auf ihre Bilder verlassen. Dabei beanspruchen die am Ende so viel Raum, dass für den Inhalt fast kein Platz mehr bleibt.