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Hateful 8, The (2015)

Eine Kritik von vodkamartini (Bewertung des Films: 6 / 10)
eingetragen am 30.01.2016, seitdem 3545 Mal gelesen



„Vom Schnee verweht"

Ennio Morricone schreibt nochmals einen Western-Score, für Quentin Tarantino. Im Vorfeld von „The Hateful 8" war dies sicherlich die aufsehenerregendste Meldung zum achten Kinofilm des Kultregisseurs. Schließlich ist Tarantinos Verehrung für Sergio Leones Dollar-Trilogie im Speziellen sowie für das gesamte Subgenre des „Italo-Western" im Allgemeinen  sattsam bekannt. Eine Verehrung, die nicht unwesentlich mit Morricones Melodien zusammen hängt, die ein völlig neues Klangspektrum schufen und die klassischen Western-Soundtracks altbacken und verstaubt wirken ließen. Die Symbiose Morricone-Tarantino versprach also nichts weniger als eine popkulturelle Verbeugung zum Zunge schnalzen.

Sieht und hört man „The Hateful 8", ist die Euphorie allerdings erstaunlich schnell verflogen. Weder kann der inzwischen immerhin auch schon 87-jährige Filmkomponist an frühere Genre-Glanztaten anknüpfen, noch erfüllt sich die sehnsüchtige Erwartung vieler Fans an eine meisterliche Italo-Western-Hommage eines seiner größten Bewunderer und Kenner.

Natürlich ist Tarantinos achter Streich auch diesmal kein lupenreiner Genre-Klon, was durchaus als Kompliment zu verstehen ist. Wie kaum ein anderer, zeitgenössischer Filmemacher bewegt er sich nicht nur beinahe spielerisch zwischen verschiedensten Genres - und zwar nicht innerhalb seiner Filmographie, sondern innerhalb seiner Filme. Er jongliert dabei virtuos mit verschiedenen Erzählebenen, platziert ein Sammelsurium an Hin- und Querverweisen zu seinen zahllosen Lieblingsfilmen und macht die vermeintliche Kontrastpaarung Komik und Gewalt zum eigentlichen Antriebs-Motor für Plot und Figuren.
Dazu schreibt er ebenso ausladende wie unkonventionelle Dialogpassagen, die in seinen beste Arbeiten zu gleichen Teilen geschwätzig, intelligent, subversiv, derb und hintersinnig sind. Er hat damit einen Stil geprägt, der so einzigartig wie unverkennbar ist und an dem bisher noch jeder Versuch ihn nachzuahmen, kläglich gescheitert ist.

Viele dieser Facetten finden sich auch wieder in „The Hateful 8", nur diesmal fügen sich die Einzelteile nicht zu einem homogenen Gesamtkunstwerk wie v.a. in „Pulp Fiction" und „Inglourious Basterds". Das Problem ist sowohl ein Globales, wie auch im Detail erkennbar. So hat Tarantino hier nicht nur sein ansonsten untrügliches Gespür für stimmiges Austarieren verloren, sondern offenbart auch ungewohnte Schwächen bei einzelnen Stilelementen.
Ziellose bzw. selbstreferentielle Geschwätzigkeit konnte man durchaus auch schon „Death Proof" unterstellen, aber hier handelte es sich immerhin noch um eine bewusste „Grindhouse"-Hommage. In einem als Kammerspiel angelegten 8-Personen-Stück, bei dem das Western-Setting zunehmend sekundär wird und immer mehr einem undurchsichtigen Agatha-Christie-Kriminalpuzzle weicht, ist ausschweifendes und wenig pointiertes Gelaber allerdings eine Hypothek ganz anderen Ausmaßes. Zumal wenn sie mindestens die Hälfte eines fast dreistündigen Films ausmacht.

Dabei ist das sukzessive Zusammentreffen der 8 Titel-Schurken wie gemalt für Tarantinos dialogzentrierten Stil. Weder kennen sich die Personen offensichtlich untereinander, noch weiß der Zuschauer irgend etwas über sie. Tarantino zeigt oder erzählt keinerlei Vorgeschichte und bringt die erste Hälfte binnen kürzester Zeit in einer Postkutsche zusammen. Kurz nacheinander gesellen sich der ehemalige Unions-Major Marquis (Samuel L. Jackson) sowie der designierte Sheriff Chris Mannix (Walton Goggins) zu Kopfgeldjäger John Ruth (Kurt Russel) und seiner Gefangenen Daisy Domergue (Jennifer Jason Leigh). Ihr gemeinsames Ziel ist Red Rock. Aber die Fahrt durch das tief verschneite Wyoming ist lang und beschwerlich, so dass reichlich zeit bleibt sich kennen zu lernen. Und die Mischung ist durchaus brisant. Mannix als Sohn eines berüchtigten Südstaaten Freischärlers und Marquis als ebenso berüchtigter, afroamerikanischer Unions-Offizier gehen dann auch schnell aufeinander los. Allerdings ist der figürliche Hintergrund weitaus spannender, als das, was sie sich dann im Disput zu sagen haben. Die Wortgefechte bleiben überraschend einfallslos und oberflächlich, wenig ist zu spüren von Tarantinos Fähigkeit für intelligente Spitzen und verbale Volltreffer.
Als die vier Passagiere bei Minnie´s Haberdashery vor dem Schneesturm Schutz suchen und dort auf vier weitere Unbekannte treffen, wird die verbale Flaute noch deutlicher. Zwar sind Bruce Dern (Konföderierten-General a.D. Sandy Smithers), Tim Roth (als versnobter, britischer Henker Oswaldo Mombray), Michael Madsen (Joe Gage) und Demián Bichir („Der Mexikaner" Bob) ein illustres und zwielichtiges Quartett, aber auch hier kann Tarantino erstaunlich wenig dialogisches Kapital aus der interessanten Konstellation schlagen. Die Versuche John Ruths die Anwesenden einzuschätzen und zu durchleuchten sind bestenfalls moderat amüsant und verlieren sich zu sehr in Belanglosigkeiten.
Vor allem in der Rückschau wir klar, dass Tarantino hier sein Publikum einlullen will, bevor er ihm ebenso plötzlich wie drastisch den Fußboden wegzieht. Die Idee ist clever, die Umsetzung leider weniger. Zwar gelingt es eine falsche Fährte zu legen bzw. den weiteren Verlauf nebulös zu halten, Spannung oder auch Neugierde bleiben dabei aber völlig auf der Strecke, da diese Phase für einen Prolog bzw. für die Schaffung eines situativen Rahmens schlichtweg zu lang geraten ist, zumal vor dem Hintergrund wenig unterhaltsamer, weil arg belangloser Gespräche.

Die zweite Filmhälfte kann dafür dann etwas entschädigen, wirft aber neue Probleme auf, die das Gesamtbild auf andere Weise trüben. Der unvermittelte Übergang vom gegenseitigen Abtasten zu offenen Feindseligkeiten mit teilweise drastischen Folgen und überraschenden Wendungen ist die mit Abstand stärkste Phase und zeigt Tarantinos enorme Bandbreite zwischen visueller, narrativer und inszenatorischer Raffinesse. Mit einem Schlag erzeugt er knisternde Spannung, indem er Major Marquis zum Hercule-Poirot-Django umfunktioniert, der sämtliche Figuren und deren Beweggründe in einem völlig neuen Licht präsentiert. Samuel L. Jackson legt dabei deutlich sichtbar einen Schalter um und beherrscht ab dato die Szenerie mit einer denkwürdigen Performance, die mehrfach an „Pulp Fiction" erinnert. Lediglich Walton Goggins kann einigermaßen mithalten und spielt „Sheriff" Mannix mit ansteckendem Enthusiasmus.
Die übrigen Darsteller verblassen dahinter merklich, eine für Tarantino ungewöhnliche Schwäche, die der Dramaturgie dann wieder schadet. Michael Madsen, Kurt Russel, Tim Roth und Bruce Dern schaffen es nicht, ihren Figuren Leben einzuhauchen und mäandern zwischen plottechnischen Schachfiguren und bloßen Abziehbildern aus der typischen Tarantino-Personal-Kiste. Jennifer Jason Leigh dagegen übertreibt es zu sehr mit ihrer Show als derbe Banditen-Schlampe und verfällt häufig in enervierendes Chargieren.

Ebenfalls störend übers Ziel hinaus schießt dieses Mal die Gewaltdarstellung. Schon bei „Django Unchained" wirkte der finale, v.a. auch zeitlich ausufernde Blutrausch mehr wie ein Zugeständnis an Tarantinos nicht wenige Splatter-affine Jünger und weniger wie eine kohärente Abrundung. Auch in „Hateful 8" suhlt er sich gegen Ende in expliziter Drastik und lässt es genüsslich spritzen, suppen, zerbersten und zerplatzen. Als durchaus sinnige Entladung angestauter Emotionen, entschlüsselter Geheimnisse und enttarnter Schandtaten ist das Gezeigte zu plakativ und zu gewollt überdreht. Die sich durch einen Großteil des Films ziehende Reminiszenz an John Carpenters Horror- und Klaustrophobie-Klassiker „The Thing" harmoniert zu wenig mit vielen anderen Elementen bzw. verheddert sich im inszenatorischen Dschungel aus Ton, Ausrichtung und Gewichtung.    

Hier schließt sich dann der Kreis zu einer weiteren, expliziten Tarantino-Stärke, die in „The Hateful 8" solch große Erwartungen weckte, am Ende aber seltsam unbefriedigend wirkt und unerwartete Risse aufweist: dem Score. Tarantino hat offenbar vor lauter Begeisterung den großen Morricone für seinen Film - noch dazu für eine Mix-Hommage an „The Great Silence" und „The Thing" - gewinnen zu können, weitestgehend auf sein Markenzeichen verzichtet, längst in Vergessenheit geratene, oder in diesem filmischen Kontext völlig unerwartete Songs einzubauen. Diese haben die Bilder meist kongenial ergänzt, verstärkt bzw. zu einer gänzlich neuen Erfahrung regelrecht gepusht. In „The Hateful 8" macht er von dieser zur Meisterschaft ausgebauten Fähigkeit so gut wei keinen Gebrauch, vielleicht auch aus Ehrfurcht vor Morricone. Da dieser aber weder die bedrohlich-gruselige Stimmung von „The Thing" reaktivieren kann, noch auch nur annähernd an die peitschenden, hymnischen Klangwelten der „Dollar-Trilogie" erinnert, ist das audiovisuelle Erlebnis nur ein ernüchternd Durchschnittliches.

Für einen Film, der hinsichtlich Laufzeit und Kameraarbeit lauthals „Epik" schreit, ist das ein ärgerliches Handicap. So erhält die interessante Entscheidung auf 65mm-Film im Format Ultra Panavision 70 (wie in den 1950er und 1960er Jahren bei zahlreichen Monumentalfilmen gängig) zu drehen kaum musikalische Unterstützung und wird eines Großteils ihrer möglichen Wirkung beraubt. Allerdings nicht gänzlich.
Das enorm breite Bildformat (2,75:1) mag für ein Kammerspiel einigermaßen absurd klingen, ist aber gerade auch dafür eine Bereicherung. So ist sehr häufig der gesamte Raum der Blockhütte zu sehen, mitsamt seinen Begrenzungswänden, was nicht nur das Eingesperrtsein plastisch visualisiert, sondern auch die Möglichkeit bietet sämtliche Figuren praktisch dauerhaft zu beobachten, egal ob sie gerade im Fokus stehen, oder im Hintergrund sind. Vor allem in der zweiten Filmhälfte, in der Spannung, Klaustrophobie und Rätselhaftigkeit ordentlich anziehen, ist diese vermeintliche, optische Spielerei ein unterstützendes und aufwertendes  Erzählmoment.

„The Hateful 8" ist trotz seiner für Tarantino ungewöhnlichen Fehler immer noch ein lohnenswertes Filmerlebnis, das für ein Publikum fernab oberflächlicher und gefälliger Massenunterhaltung durchaus die ein oder andere Feinkost zu bieten hat. Die unentschlossene erste Filmhälfte gilt es allerdings durchzustehen sowie den vordergründig blutrünstigen Schluss nicht zu stark zu gewichten. Aus einer tollen Plot-Grundidee macht Tarantino schlicht zu wenig, was in erster Linie einer Geschwätzigkeit geschuldet ist, der diesmal der fast schon klassisch hohe Unterhaltungswert abgeht. So bleibt lediglich ein leicht überdurchschnittlicher Film, bei dem er seine üblichen Stärken nicht wie gewohnt auszuspielen vermag. Beileibe kein Fiasko, aber ganz sicher auch kein Triumph.


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