Eine Kritik von Adalmar (Bewertung des Films: 10 / 10) eingetragen am 13.11.2007, seitdem 1103 Mal gelesen
"Quai des orfèvres" ist ein relativ frühes Werk von Henri-Georges Clouzot, einem der begabtesten Regisseure des 20. Jahrhunderts, der leider viel zu unbekannt ist - vielleicht, weil seine Filme der Journaille und den breiten Publikumsschichten zu pessimistisch sind und die Abgründe der menschlichen Existenz unbarmherzig in den Blick nehmen. Der hier zu besprechende Film gilt immerhin noch als sein freundlichstes Werk und verläuft relativ versöhnlich, auch wenn er die Einsamkeit und die verborgenen Leidenschaften seiner Figuren durchgängig mal mehr, mal weniger offen thematisiert. Dies wird in ein schillerndes Sittengemälde der Nachkriegszeit in Paris gekleidet.
Der Berufsmusiker Maurice [Bernard Blier] ist geplagt von Eifersucht auf die vielen Verehrer seiner Frau Jenny [Suzy Delair], einer populären Chansonsängerin. Als der reiche Lüstling Brignon [Charles Dullin] sie durch ein Karriereangebot anzulocken versucht, bedroht er ihn öffentlich. Kurz darauf wird Brignon ermordet. Nicht nur Maurice steht unter Verdacht, sondern auch Jenny und ihre Freundin, die Fotografin Dora [Simone Renant] werden von dem knurrigen Polizisten Antoine [Louis Juvet] verhört. Jenny gesteht Dora den Mord, aber tut sie das vielleicht nur, um jemanden zu schützen? Es entsteht ein Clouzot-typisches Verwirrspiel.
1947 hatte Clouzot gerade wieder die Erlaubnis zum Filmen bekommen, nachdem ihm die Alliierten diese unter dem Vorwurf der Kollaboration mit der deutschen Besatzungsmacht entzogen hatten. Auch diese Erfahrung trug möglicherweise zu seiner pessimistischen Sichtweise auf das Pariser Kleinkunstmilieu bei, dem er mit dieser vielfältigen Darstellung dennoch eine Art Liebeserklärung macht. Jedoch sind alle Hauptfiguren auf ihre Art unglücklich. Maurice hat seine Frau ständig in Verdacht, etwas mit anderen Männern anzufangen, womit er nicht nur sich, sondern auch sie quält, da er ihre aufrichtigen Gefühle kaum mehr wahrnimmt. Dora hingegen hegt eine verborgene Zuneigung zu Jenny. Auch der Inspektor führt ein einsames Leben, dessen einziger Inhalt ein Junge ist, den er aus Afrika mitgebracht hat. In einer denkwürdigen Szene sagt er zu Dora: "Sie und ich haben etwas gemeinsam: Wir beide werden nie Glück bei Frauen haben". Für die 40er Jahre durchaus bemerkenswert.
Auch in anderen Szenen wird deutlich, dass Jenny nicht nur auf Männer, sondern auch auf Frauen eine erotische Anziehung ausübt und darüber Bescheid weiß. Dafür genügt ein intensiver Augenkontakt, der zwischen ihr und einer unbekannten Dame während eines Gesangsauftritts zu beobachten ist. Clouzot ist der Regisseur, der solche Szenen in ihrer ganzen subtilen Leidenschaftlichkeit abzubilden weiß. Immer wieder schafft er Impressionen, wie es sie nur im Schwarzweißfilm geben kann, so dass man ständig Bilder festhalten und einrahmen möchte. Es gibt kaum einen Film, der so vieles nur über Blicke ausdrückt. Mit den gefühlvollen Chansons ist auch für den gebührenden Hörgenuss gesorgt.
Insgesamt ein hervorragender Pariser Bilderbogen, der eine spannende Krimihandlung mit intensiven Blicken ins Innere seiner Figuren verbindet und sensibel auf ihre unterschwelligen Ängste und Sehnsüchte eingeht.
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