Eine Kritik von vodkamartini (Bewertung des Films: 8 / 10) eingetragen am 03.11.2016, seitdem 993 Mal gelesen
„What The Fuck is this about?" - „Whiskey Tango Foxtrot" oder der Krieg im Minenfeld der Genre-Klassifizierung
Darf man sich über Krieg lustig machen? Die Frage ist so alt wie das Kino selbst und war immer schon eine streitbare. Zumindest die satirische Sicht auf das Grauen, welches jeder bewaffnete Konflikt zwangsläufig mit sich bringt, ist oftmals erhellender und treffender, als der ultrarealistische Ansatz. Ohnehin sind Zynismus und Sarkasmus oft die einzigen wirksamen Waffen, sofern man über sie verfügt, zur psychischen Bewältigung des Kriegsalltags. Der humoristische Ansatz ist also durchaus legitim, sofern er nicht in klamaukartige Verniedlichungen abdriftet.
„Whiskey Tango Foxtrot" (basierend auf der Autobiographie der Journalisten Kim Barker) ist eine dieser War-Comedies. Oder etwa nicht? Zumindest spielt Saturday Night Life-Ikone Tina Fey die Hauptrolle und auch in ihren bisherigen Kinoauftritten sowie der preisgekrönten Sitcom „30 Rock" ging es immer sehr lustig zu. Mit ihrer typisch bissig-trockenen Art geht sie auch den Part einer frustrierten New Yorker TV-Journalistin an, die sich als Kriegsreporterin in Afghanistan neu erfinden will. Dieser Grundplot hat dem Film häufig den Vorwurf eines „Eat, Pray, Love" im Tarnanzug eingetragen, ein Vorwurf der so doof wie unangebracht ist.
Natürlich blüht die graue Nachrichtenmaus Kim Baker (Fey) im Männer-dominierten Umfeld der Front-Berichterstatter regelrecht auf. Schon bei ihrer Ankunft wird sie von Vamp-Kollegin Tanja (Margot Robbie) mit den aufmunternden Worten empfangen „eine 6 von 10 in New York ist hier eine 9". Und tatsächlich stellt ihr bald die halbe Männerwelt innerhalb und außerhalb des amerikanischen Stützpunkts nach. Am Ende hat sie nicht nur eine Affäre mit dem schottischen Kollegenalphatier Iain MacKelpie (Martin Freeman), sondern findet auch beruflich zu sich selbst. Nur all dies ist lediglich der lose rote Faden in einem Film, der sich durchgängig einer fixen Kategorisierung entzieht. Â
Weder kommt man ihm mit einer simplen Ü40-Coming-of Age-Stigmatisierung bei, noch führt der fette Comedy-Aufkleber zum Ziel. In Wahrheit ist der Humor nur sehr unterschwellig - und wenn mal laut, dann sehr bissig - vorhanden. Einzig der Schlenker um den von Alfred Molina hart an der Karikatur entlang schrammenden, weil lüstern-liebestollen Kriegsminister Ali Massoud Sadiq erfüllt den Tatbestand des etwas platteren Humors. Ansonsten regiert ein gleichermaßen scharfsichtiger wie scharfzüngiger Blick auf die teilweise absurden Zustände im Umfeld der Kriegs- und Krisenreporter sowie der US-amerikanischen Militär-Präsenz in Afghanistan. Der Fokus liegt dabei auf der „Kabubble" - der Kabul Blase -, in der die internationale Journaille im Drogen- und Sexrausch gegen die schräge Mixtur aus gefährlichem Arbeitsalltag und beengter Isolation anfeiert.
Die teils chaotischen und auf völligem gegenseitigen Unverständnis fußenden Zustände vor Ort kulminieren in der „Brunnen-Episode". In schöner Regelmäßigkeit fahren schwer bewaffnete US-Marines in ein afghanisches Dorf, um einen vermeintlich von Taliban zerstörten Brunnen wieder aufzubauen. Binnen weniger Minuten findet die den Trupp begleitende Baker schließlich heraus, dass die Frauen des Dorfes für die Zerstörungen verantwortlich sind, da der längere Weg zum Fluß die einzige Gelegenheit darstellt, mal unter sich zu sein und ihren Männern zu entkommen. Solch satirische Seitenhiebe gibt es noch mehr, aber der ernste Unterton wird dennoch nie aufgegeben. Dafür sorgt in erster Linie Bakers afghanischer Dolmetscher und ständiger Begleiter Fahim Ahmadzai (Christopher Abbott), der als einzige männliche Figur keinerlei karikierende Züge trägt und immer wieder als ausgleichender und weitsichtiger Vermittler einspringt.
Dass sich trotz überzeichnender Charaktere und bissiger Szenen nie ein leichtgewichtiges Komödien-Gefühl einstellt, ist eine der größten Leistungen des Films und nicht zuletzt ein Verdienst des starken Casts. Weder Margot Robbie als zynische Journalisten-Schlampe, noch Martin Freeman als sexgeiler Kollegen-Veteran, noch Billy Bob Thornton als subtil witzelnder Marines-General reißen die gefährliche Karikatur-Leine, sondern statten ihre Figuren mit genau der richtigen Dosis Authentizität und Bodenhaftung aus. Das gilt im gleichen Maß für Tina Fey, die mit staub trockenem Humor und kumpelhafter Sympathie punktet und die vielen auch im Ton sehr unterschiedlichen Handlungsstränge stets zusammen hält.
Filme über den Afghanistan-Einsatz, egal ob ernst oder humorvoll, haben es traditionell extrem schwer beim Kinopublikum. Der Konflikt ist unübersichtlich, unbequem und vor allem ganz weit weg. All dies thematisiert „Whiskey Tango Foxtrot" mit einer erstaunlich leichtfüßigen Mischung aus Tragik, Komik, Bösartigkeit, Verständnis und pointierter Klarheit. Man soll hier nicht über den Krieg lachen, aber mit Humor ist manches besser, vielleicht überhaupt erst greifbar. Genau diese Widersprüchlichkeit im Verbund mit jeglicher Genre-Verweigerung macht den hohen Unterhaltungswert aus und den Film zu einem seltenen, weil unerwarteten und vor allem unkalkulierbaren Vergnügen. Aber darf man ein solches bei diesem Thema überhaupt empfinden? Der Amerikaner würde fragen: „What The Fuck?" Go see it and then you might know.
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