Edgar Wright ist ein Kultregisseur. Und selbst wenn dieses Wort zweifellos oft überstrapaziert wird - hier trifft es doch irgendwie zu. Der Brite schenkte uns nämlich ein filmisches Triptychon, das, wenn auch noch nicht so etabliert wie längst die Dollar-Trilogie eines Sergio Leone, den Spaß- und Partyfreunden rund um die Welt inzwischen unverzichtbar geworden ist. 2004 ließ er in England die Untoten los, wobei es ihm - ganz im Gegensatz zur gesamten Konkurrenz - gelang, eine Zombiekomödie zu inszenieren, die zum Brüllen komisch war. Drei Jahre später lieferte er sogar einen der besten Genremixe der Filmgeschichte ab. „Hot Fuzz" (2007) sollte ein originell durchdachtes Konzept, liebevolle Film-Hommage, skurrilen Situationswahnwitz und restlos treffsicheren Humor zu einer leckeren Melange vermengen, die für nicht wenige den gelungensten Film-Ulk überhaupt ausmachte. Zu guter Letzt gedachte Edgar Wright als Abschluss der sogenannten „Cornetto-Filme" seiner und unserer Jugend und hob das Glas auf die sorglose Unbeschwertheit von einst, indem er ein paar (seinerzeit) befreundete Männer bei ihrem ersten Wiedersehen auf eine nostalgisch angehauchte Kneipentour mit Schlagseite schickte - während der dann die Welt unterging (beziehungsweise die Außerirdischen landeten). Und stets waren das beliebte Duo Simon Pegg und Nick Frost mit von der Party (sic!). Doch die Zeit bleibt, wie in „The World's End" richtig bemerkt, nicht stehen. Simon Pegg hat inzwischen den Sprung über den Teich geschafft. Ebenso wie Edgar Wright. Nur ist es mit dem Springen allein nicht getan - man muss auch sicher landen.
Wenn wir uns allein die Zuschauerzahlen von „Baby Driver" ansehen, dann ist Wrights erster Film in den USA eine Punktlandung. Denn allein bisher wurde das Fünffache des Budgets wieder eingespielt. Und auch die Online-Plattformen überschlagen sich vor Lob. „A blast", „A surfeit of inspired ideas" und „Marvellous" ist da angeblich der neue Streifen des Briten. Aber ganz so wundervoll ist es nun doch wieder nicht, was Edgar Wright zum Einstand in den USA auf die Beine stellt. Auch wenn es auf den ersten Blick fast so aussieht. Dabei ist sein Ansatz clever. Ein milchgesichtiger Durchschnittsteen ersetzt den Fluchtauto fahrenden Ryan Gosling in einer Action-Komödie. Wie auch in seinen Filmen von der Insel, stellt der Regisseur und Drehbuchautor keinen Beau vor die Kamera, sondern einen unauffälligen Typen, mit dem sich jeder Normalsterbliche identifizieren kann. Dazu gesellen sich eine Handvoll wunderlicher Gestalten, die für das nötige Quäntchen Humor sorgen sollen. Allen voran Jamie Foxx, der nach seinen letzten Erfolgen an der Kinokasse auch hier als Zugpferd und Kitsch-Gangster eine solide Figur macht. Dass Kevin Spacey sein Handwerk versteht, versteht sich ohnehin von selbst. Er ist der Auftraggeber des Kleinen und, je nach Situation, dessen Mentor oder schlimmster Feind. Der Bogen ist also gespannt, diesen filmischen Flitzepfeil sicher ins Ziel zu tragen. Doch zisch - das bull's eye ist verfehlt. Irgendwo zwischen rot und blau, zwischen der Sechs und der Sieben steckt das vibrierende Geschoss.
Nur wenn man nämlich ein ausgeprägtes Faible für R&B, Latin-Vibes und 70er-Jahre-Discotunes hat, übersteht man die knapp zwei Stunden Actionunterhaltung ohne ein leichtes Stöhnen. Es ist ja sympathisch und ambitioniert, wenn die Musikauswahl eines Kinohits - Quentin Tarantino hat es oft vorgemacht - nicht den Billigkommerz der zeitgenössischen Single-Charts abdeckt. Goldig auch irgendwie, dass der Junge, der diesen Sound den gesamten Film über hört und dazu am Steuer rumhampelt, zum Zeitpunkt des Erscheinens der jeweiligen Platten noch gar nicht geboren war. Er macht das - so die wenig originelle Begründung des Drehbuchs dafür, möglichst viel Musik an den (jungen) Mann bringen zu können -, weil er an Tinnitus leidet und so das Piepen übertönt. Nur ist der Soundtrack-Einsatz Wrights auch für wohlmeinende Gemüter auf die Dauer etwas eintönig und kräftezehrend, denn er wird beinahe ununterbrochen in den Fokus gerückt und gerät so geradezu motivisch. Solchen, die da überhaupt noch hinhören, muss das schon gefallen. Doch das Timbre des Films ist nicht das einzig Kuriose, an das man sich hier erst gewöhnen muss.
Der augenfälligste Unterschied zu Edgar Wrights früheren Filmen ist - trotz der in die Jahre gekommenen Musikuntermalung - die Zielgruppe. Vor allem „The World's End" adressierte Mitt-Dreißiger, denen zwar ihre Adoleszenz, nicht aber ihre jugendliche Lebensfreude abhandengekommen war. Der durch das südstaatliche Atlanta cruisende Ansel Elgort bedient hingegen tatsächlich halbwüchsiges Publikum - auch wenn die etablierten Stars des Films versuchen, das zu kaschieren. Zugegeben, verglichen mit dem Schrott, der sonst dieser Altersgruppe so vorgesetzt wird, ist „Baby Driver" tatsächlich gediegene Unterhaltung, für die man sich nicht schämen muss. Die Gags sind zwar rar, aber durchaus unterhaltsam, die Situationskomik im Schwarzen und die Dialoge geschliffen. Man denke im Gegensatz dazu nur an die geistlose Schleuderware der Tribute von Panem. Und doch bleibt der lakonische Fahrer in seinem Habitus allein Vorbild für jüngere Zuschauer. Dazu passt, dass sich, nachdem ein Mädchen die Bühne des Films betritt, viel um erste Liebe, Schmetterlinge und Realitätsflucht dreht. Übrigens eine weitere Neuerung, was Wrights bisheriges Schaffen anbelangt. Zwar hatte auch Simon Pegg an seinen Beziehungskisten zu knabbern, als er sich nicht zwischen ihr und einem Bier entscheiden konnte, doch war das stets nur Beiwerk. Nur launige Blödelei. Der verliebte Jungspund hingegen hat seine Entscheidung bereits gefällt. Die Sache mit dem Herz und dem Schmerz ist ihm am Wichtigsten. Und so gerät „Baby Driver" beinahe ein wenig auf die Coming-of-Age Schiene. Auch das ist bei einem gesetzteren Publikum meist kein Renner.
Schön anzusehen und ohne jeden Zweifel einen Blick wert sind die von Edgar Wright ins Werk gesetzten Autoszenen. Wie bei den Proleten-Kollegen von „The Fast & the Furious" werden hier alle möglichen (und unmöglichen) Stunts in windschnittigen Karossen vorgeführt, die vier von fünf Männern für einen Moment wohlig daran erinnern, dass sie Männer sind. Dabei ist es nicht dieses „Bonny & Clyde wider Willen Ding", in das die Raserei der beiden jungen Leute durch Atlanta unweigerlich mündet, das diesen Ausflug für Actionfreunde älteren Semesters womöglich etwas beschwerlich macht. Es ist die wenig entgegenkommende Vermutung, dass Ansel Elgort unter Umständen eine Fehlbesetzung ist. Denn wenn der Junge in der Wohnung seines stummen Stiefvaters verliebt umher hüpft oder mit der Weltuntergangsvisage eines genervten Teenagers den Drohungen Kevin Spaceys lauscht, dann ist das zwar knuffig, wirkt aber nicht triftig. Jedenfalls nicht angesichts des kaltschnäuzigen Kerls, der da auch vor den Banken der Stadt im Fluchtwagen darauf wartet, dass eine Bande brutaler Verbrecher zusteigt. Elgorts Spiel gelingt es nicht, dieses wenig stimmige Charakterprofil überzeugend zu füllen. Vielleicht ist er ein wenig zu wenig markant. Oder doch mehr Baby als Driver. Oder er trommelt zu viel auf dem Lenkrad. Edgar Wrights erster US-Film ist insgesamt eine interessante Sache, hinter der allerdings ein nicht voll ausgereiftes Konzept steckt. Oder eben ein noch nicht erwachsener Geist.