Mit seiner Eröffnungsszene stößt Satoshi Kon seine Zuschauer bereits vor den Kopf, ist dieser doch in der Erwartung an ein Programm, welches sich nicht mit Actionhelden auseinander setzen wird. Jedoch stellt er hier nur eine Tokusatsu-Show dar, bereits darauf hinweisend, daß er sich hier mit Masken und Maskenträgern beschäftigen wird. Schnell fällt dem geübten Auge auf, daß seine Zeichentrickwelt realer aussieht. Gerade die Animefiguren, welche sich sonst oftmals in übertriebener Überzeichnung ausleben, wirken hier viel mehr wie Japaner selbst. Besonders die Idol-Kultur in Japan wiederum setzt sich selber einer Scheinwirkung aus, die sich oftmals mit der künstlichen Ästhetik der Trickwelt überschneidet.
Das Pop-Idol Mima ist tatsächlich auch die Hauptfigur von Perfect Blue. In einem packenden Psychothriller gewährt uns Satoshi Kon basierend auf der Vorlage von Yoshikazu Takeuchi nun Einblicke hinter die Kulissen. Bevor er sich aber eingehender hiermit beschäftigt, läßt er in einer alltäglichen Situation die Fans zu Wort kommen, die dem Typus Otaku entsprechen.
Otaku ist in seiner ursprünglichen Begrifflichkeit negativ belastet. Man denkt an Stubenhocker, die den Tag nichts anderes zu tun wissen, als sich fanatisch mit einer Sache zu beschäftigen. In jüngerer Zeit hatte der Begriff jedoch eine Umkehr erfahren, feierten sich – auch gerade westliche Fans – unter dieser Bezeichnung doch als etwas verrückte Geeks, die jedoch nicht unbedingt vollständig introvertiert leben müssen. Satoshi Kons Otakus sind sicherlich schon grenzwertig, wie sie sich über besonders rare Bootlegs von Livekonzerten unterhalten. Tatsächlich spitzt sich das Verhalten jedoch über wenige Minuten bereits noch zu.
Wir lernen Mima kennen, die noch bei der Gruppe Cham singt. Bereits der Blick in die Garderobe offenbart ein ganz anderes Bild, als die durchchoreographierten Bühnenperformances. Vor allem aber hat die junge Frau, deren Traum es einmal gewesen ist, Sängerin zu werden, gar keine Entscheidungsgewalt. Ihr Manager sieht eine neue Zukunft als Schauspielerin und so wird sie dazu getrieben die Gruppe zu verlassen, nur um eine Nebenrolle in einer Fernsehserie anzunehmen, in der sie einen ganzen Satz sprechen darf.
Perfect Blue läßt keine Zweifel daran, daß öffentliche Auftritte inszeniert sind. Er zeigt aber auch, wie dies im Bewußtsein der meisten Fans präsent ist. Während Mima sich in Demut vor ihrem Manager aufweist und sogar einwilligt, für eine größere Rolle eine Vergewaltigung zu spielen, demontiert Satoshi Kon das Bild des tatsächlich schaffenden Künstlers. Die Industrie schiebt ihre Idole wie Puppen durch eine voll inszenierte Welt. Diese Hüllen haben keine Gelegenheit für Kreativität. Sie sind gedrillte Soldaten. Sie führen Befehle aus.
Wie Mima nun als Stripperin vor einer großen Zahl Schaulustiger auf den Boden der Bühne gezerrt wird, ist wohl das am deutlichsten verständliche Sinnbild für die Wandlung der jungen Frau. In einem an die Popkarriere angelehnten Kostüm stirbt für sie dieser Karrierezweig unwiderruflich. Ihre Ausnutzung geschieht vor den Augen der Öffentlichkeit. Ihr Peiniger ist in den Pausen professionell und höflich. Beide führen nur ihre Aufgabe aus und beiden ist es unangenehm. Mimas Tränen sind echt, doch kann sie diese nur zeigen, weil sie zur Situation passen. Später in einem Interview wird sie von einer Herausforderung als Schauspielerin sprechen.
Wie Mima sich nun öffentlich zu einem Sexobjekt wandelt, dem Publikum also eine ganz neue Intimität zuläßt, feiern Cham ohne Mima plötzlich Charterfolge und ein Otaku scheint Mimas Identität anzunehmen, um im Internet Tagebuch zu führen. Perfect Blue verschwimmt zunehmend in den Realitätsebenen. Durch die Montage von Schauspiel und Wahrheit manipuliert Satoshi Kon die Eindrücke der Bilder sehr ähnlich einem Realfilm, wobei ihm bei einem Anime zusätzliche Freiheiten offen sind.
Ein Mörder geht um und dieser scheint stets auf den Spuren Mimas zu wandeln. Mit wachsender psychischer Zerrüttung könnte man schließlich annehmen, sie sei es selbst gewesen. In der Kritik oftmals hitchcockianisch angepriesen, wirkt Perfect Blue vielmehr wie eine japanische Adaption der Anlehnung an Alfred Hitchcock im italienischen Giallo. Eine Nähe bis zur Hommage an Szenen aus Dario Argentos Werken scheint dies zu belegen. Tatsächlich ist das Ergebnis Selbstfindung und Emanzipation, wobei das Ende viel Spielraum für eigene Interpretationen offen und die Wahrheit durch einen Spiegel verschleiern läßt.
Eigentlich als OVA geplant wird in Perfect Blue nicht einmal zeichnerische Perfektion gelebt. Animationen wirken oftmals schon eher zweckmässig als filigran. Dennoch lebt der Film durch seine Handlung auf, läßt schnell vergessen, daß man gerade einem Zeichentrickfilm folgt. So erschafft Satoshi Kon schließlich ein Werk, welchem man nicht eine Tauglichkeit für Erwachsene nachsagen kann, weil seine Fantasyfiguren in Gewalt und Sexualität schwelgen, sondern weil sein Stoff dem erwachsenen Anspruch an einen Film nahe kommt.
Zwar steht die Figur der Mima so sehr im Fokus, daß die Nebenfiguren oft an Tiefe missen lassen, jedoch beschleunigt Satoshi Kon so das Tempo seines Psychodramas und entgeht der Gefahr, den Zuschauer durch überflüssige Erklärungen zu langweilen. Er hebt in Perfect Blue die für ihn wesentlichen Motive hervor und läßt dem Zuschauer Freiheit, diese Bilder nach einer persönlichen Auslegung zusammen zu setzen.
Ein Film, der gerade für bisherige Animegegner ein guter Einstieg wäre, um sich mit den Möglichkeiten des Zeichentricks zu befassen. Spannend, fordernd, kritisch der japanischen Kultur gegenüber und mit vorhersehbaren Muster eines Thrillers spielend ist Perfect Blue ein gelungener Streifen, den man ungeachtet der allgemeinen Vorlieben durchaus mal gesehen haben sollte.