Eine Kritik von GhostShit (Bewertung des Films: 10 / 10) eingetragen am 01.07.2005, seitdem 2145 Mal gelesen
Keine Handlung. Keine Dialoge. Keine Story. Keine Schauspieler.
Nur Bilder und Musik. Das ist KOYAANISQATSI.
Die Bilder: Landschaftsaufnahmen, statische, stets sehr starre Beobachtungen, Farbkombinationen und Lichtertänze. Vom Grand Canyon und von Wüsten, von Wolkenkratzern und Fabrikschloten, von startenden Raketen und landenden Flugzeugen, von Maschinen und Schaltkreisen, und natürlich von Menschen.
KOYAANISQATSI ist jedoch keine Dokumentation, jedenfalls keine im gewöhnlichem Sinne.
KOYAANISQATSI ist ein Konzert, ist eine Arie, eine Oper, ein Reigen, ein Gemälde, ein Feuerwerk und ein LSD-Trip in einem. Kurzum: ein Fest für die Sinne.
Gut, wie soll man sich das nun vorstellen, hm ... Es ist alles eine Sache der Optik: Kameraeffekte, Belichtungszeiten, Zeitlupe und Zeitraffer. Das sind die Dinge, die hier in Perfektion angewandt wurden und welche auch das Besondere an KOYAANISQATSI ausmachen.
Dargestellt werden also u.a.
- Wolkenformationen, die im Zeitraffer über tote Hochhausschluchten hinwegziehen,
- Highways zur Rush Hour, auf denen weiße und rote Lichter zu parallelen Linien verschmelzen
- Menschen, die in Lichtgeschwindigkeit aus der U-Bahn hetzen und von Rolltreppen nach oben katapultiert werden, und im Gegensatz dazu
- ernste, missmutige Menschen, die in Kolonnen in Zeitlupe zur Arbeit schleichen und nicht wissen, ob sie in die Kamera blicken sollen oder nicht
Wie anders und fremd die Dinge doch erscheinen, wenn man sie nur mal aus einem anderen Blickwinkel aus betrachtet ...
Das alles hat einen Zweck: Befremdung. Alltägliche, uns allen vertraute Dinge werden hier so präsentiert, als kämen sie vom Mond. Die Aufnahmen von der Großstadt bei Nacht kommen eher einer Unterwasserlandschaft oder dem Heimatplaneten der "Jetsons" gleich, und erinnern viel mehr an eine bildliche Darstellung von fließendem Strom als eben an eine durchschnittliche Großstadt der 80er Jahre.
Im Gegensatz dazu wirken die Naturaufnahmen geradezu urzeitlich, prähistorisch, wie von einem Planeten, der gerade im Entstehen ist, definitiv aber nicht von dieser Welt.
Und da schwingt auch gleich eine der vielen Intententionen des Films mit, die ich euch nun mal versuche näher zu bringen:
Zuerst mal müsst ihr wissen, dass der Film anfangs mit Naturaufnahmen beginnt und dann zu Fabriken, Städten und Technik übergeht (... so eine Art Evolutionsgeschichte in zwei Akten ...). Der Mensch ist dabei im "Technik-Bereich" eingeordnet, wird also beim Thema "Natur" kein einziges Mal erwähnt. Die bedauernswerte Kreatur "Mensch", der so genannte Gipfel der Evolution, wird hier lediglich als Masse oder Pulk dargestellt und fungiert ausschließlich als Zahnrad des riesigen Gesellschaftsbetriebes, welcher nur Produktion und Fortschritt im Sinn hat.
Der Mensch - die Ameise, die Maschine, der leistungsstärkste, aber mittlerweile hoffnungslos veraltete Computer, den das Produktionshaus "Natur" je herausgebracht hat, der auf seinem eigenen Planeten wie ein Außerirdischer wohnt, der im immer hektischer und anonymer werdenden Alltag immer mehr zum lebenden Toten oder zum Geist verkommt, und der immer mehr zum Sklaven seiner eigenen Errungenschaften geworden ist.
Arbeit und Gram sind sein Leben und die blockförmigen Hochhäuser und Wolkenkratzer, in denen er sein Dasein fristet, ähneln gigantischen Grabsteintafeln, die verzeifelt versuchen den Himmel zu reflektieren. Und dabei ist er nur ein Furz in Raum und Zeit und ein einzelnes Leben kommt hinsichtlich der gesamten Evolutionsgeschichte nicht mal einem Augenschlag gleich.
Ja, das ist KOYAANISQATSI.
Die Musik: Diese ist orchestral, nicht sehr melodisch, dafür aber sehr stimmig und atmosphärisch.
Die Musik lebt in perfekter Symbiose mit den Bilder und scheint auch fast immer im selben Rhythmus und der selben Geschwindigkeit zu fließen wie z.B. die roten Punkte auf der elekrtonischen Autobahn oder die an- und ausgehenden Lichterreihen, die nachts in den Börogebäuden von Etage zu Etage springen.
Ein hypnotischer Singsang, ein triumphales Dröhnen ... besser kann ich den biblischen Soundtrack dieses Films nicht in Worte fassen.
Der Mensch - das Zahnrad, die Großstadt - die gigantische Schaltzentrale und das Massengrab ... wenn dann noch die NASA-Rakete, die zu Beginn des Films gestartet war, am Ende am Himmel zerschellt und man dann den Trümmern bei ihrem freien Fall in Zeitlupe so zusieht, dann haucht einem der Film nochmal ganz sachte seine Message ins Ohr.
KOYAANISQATSI - "Life Out Of Balance" ...
Mein Fazit:
Ein Film, den nur Gott selbst gedreht haben kann. Optisch genauso unglaublich wie überwältigend und so atemberaubend wie bezaubernd. Dies alles in ruhigen, statischen Bildern, auf denen sich mal mehr, mal weniger tummelt, und mit einer pessimistischen, aber ebenfalls mitreißenden Grundstimmung verknüpft, ergibt KOYAANISQATSI, einen Film, der sowohl geistiges und seelisches Wohlbefinden, als auch Kopfzerbrechen mit sich bringen kann, für den man zwar sehr viel Zeit und Geduld mitbringen muss, der dem Zuschauer aber darauf aufmerksam macht, dass es ganz wichtig ist, die Dinge mal aus einem anderen Blickwinkel zu betrachten.
KOYAANISQATSI - eine Doku über unsere fremde Welt.
Kein Film, ein Meisterwerk.
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