Eine Kritik von Der Mann mit dem Plan (Bewertung des Films: 9 / 10) eingetragen am 29.01.2003, seitdem 1795 Mal gelesen
Yentown. Die Stadt in der die Ausländer strömen, um schnelles Geld zu verdienen. Sie arbeiten hart, bekommen den Yen, kehren nach Hause zurück, und sind reich. Für sie ist die Stadt Yentown. Die Japaner hassen die illegalen Einwanderer, und nennen die gierigen Männer und Frauen abschätzend Yentowns. Wie schon im schwarzweißen Vorspann, auf dem vertikal und horizontal die Erklärungen des Wortes gelegt sind, gesagt, ist der Film "Swallowtail Butterfly" die Geschichte von Yentowns in Yentown.
Der japanische Regisseur Shunji Iwai, früher für Musikvideos zuständig, gelang mit "Swallowtail Butterfly" (so der Originaltitel) sein Meisterwerk. Wo Musikclip-Regisseure gerne die Optik über den Inhalt triumphieren lassen, zeigt uns Iwai ganz einfach von beiden Kategorien extreme Leckerbissen. Eine runde, vielschichtige, metaphorische Geschichte, auslegbar und offen für Interpretationen wird in ausgeklügelten Bildern und einem wahnsinnig guten Schnitt präsentiert. Mal ruht die Kamera auf den Gesichtern der Akteure, fängt Schönheit und Ruhe in pastell-lastigen Farbkompositionen ein, ein anderes Mal wird mit einer wild zuckenden, schwindelerregenden Handkamera schrecklich häßlicher Realismus eingefangen. "Swallowtail Butterfly" ist Kino genauso für diejenigen, die sich hinsetzen wollen, um eine große Geschichte erzählt zu bekommen, als auch für die, die im Kino platznehmen, um sich einem optischen Feuerwerk auszusetzen, nachdem sie selbst nicht mehr wissen, wo ihnen der Kopf steht. Ergibt man sich beiden Reizen, eröffnet sich "Swallowtail Butterfly"'s gesamte Schönheit.
Der Film fängt schon bezeichnend an: Im bereits erwähnten Vorspann montiert Iwai Aufnahmen von einer industrialisierten Stadt. Trist und in Schwarzweiß. Darauf legt er die Erzählerstimme von Ayumi Ito, die uns erklärt, was es bedeutet, ein Yentown zu sein. Diese ersten Minuten des Films wirken wie ein Videoclip. Iwai geht zu seinen Wurzeln zurück, und zeigt uns Bilder wie aus experimentellen Eighties-Musikvideos aus Amerika. Dann beim eigentlichen Titelvorspann entfaltet sich dann Takeshi Kobayashis Score. Dieser stille Soundtrack wird auf rot eingefärbte Landschaftsaufnahmen gelegt. Doch schon nach diesen schwelgerischen Sequenzen geht es bei Iwai ganz anders los: harte Schnitte, dokumentarische Handkamera, düstere Szenerie. Eine Frau ist tot.
Es ist die Mutter einer namenlosen jungen Frau. Und es ist jene junge Frau, deren Initiation wir im Laufe des Films verfolgen. Aus dem identitätslosen Mädchen wird eine Frau, die durch Tätowierung an Individualismus und Schicksal zunimmt. Dieser Charakter, der später den Namen "Adeha" (gleichbedeutend mit "Swallowtail", dem Namen für den Schmetterling Schwalbenschwanz) bekommt ist die zentrale Figur des Films. Ihre eher still eingefangene Geschichte ist aber bei weitem nicht alles, was der Film erzählen möchte. Gleichzeitig folgt Iwai auch noch ihren Freunden Glico (Chara) und Fei-Hong (Hiroshi Mikami). Die universell erscheinende, spielkräftige Geschichte schlägt oft aus, erzählt in reiner Form nicht eine strikte Geschichte, sondern bringt uns viele kleine Fragmente nah. So ist es einmal ein Drama über Leben und Überleben, wird dann schnell zu einem reinen Musikclip, wandelt sich dann plötzlich wieder zum Yakuza-Actioner.
Die Geschichte erzählt wie oben erwähnt von Adeha, die ihren Namen ihrer älteren Freundin, der Prostituierten Glico verdankt. Glico ist es auch, die sie aufnimmt, nachdem ihre Mutter tot aufgefunden wird. Adeha wird zu Glicos Freunden, der Musterbeschreibung eines Yentowns gebracht: Skurrile Männer und Frauen, die im Wesentlichen eins verbindet: Der Traum vom schnellen Geld in Japan. Doch da sie illegale Einwanderer sind, leben sie gleichzeitig auch im Exil der Gesellschaft. Auf einer Landstraße außerhalb der "zivilisierten Welt" hausen sie auf einem Schrottplatz, und betreiben eine recht eigenwillige Autowerkstatt.
Den ersten Plot-Point in "Swallowtail Butterfly" gibt es dann, wenn ein Freier Glicos zudringlich wird, und sich an Adeha verdingt. Der Ex-Box-Profi Arrow (Shiek Mahmud-Bey) sieht sich als Beschützer, und versucht den Freier niederzuschlagen. Der landet aber unliebsam und versehentlich ein paar Stockwerke weiter unten auf dem harten Pflasterstein der Straße, wo auch gleich ein Müllauto über sein Gesicht rollt. Der versehentliche Mord im Affekt wird natürlich vertuscht, und bei der eher ungewöhnlichen Begräbniszeremonie finden die "Yentowns" in dem Bauch des Toten ein Tape, auf dem nicht nur Frank Sinatras "My Way" zu hören ist, sondern auch ein Code für eine Manipulation an Geldwechselautomaten enthält. Kaum ist der Code entdeckt, wird der Traum für viele wahr: Geld. Die ersten kehren in ihre Heimat zurück, aber für unser "Heldentrio" Adeha, Glico und Fei-Hong nimmt das Schicksal nun erst seinen Lauf: Mit dem Geld eröffnet Fei-Hong einen Musikclub, in dem Glico, "My Way" singend, auftritt.
Die Szenen in dem "Yentown Club" wirken dann vollends wir ein Musikvideo: Ständige rhythmische Reißschwenks, harte Zooms und eine dem Beat folgende Handkamera, das Licht flackert, das Publikum ist begeistert. Die Yentown Band spielt ironischerweise "My Way" in einer sensationellen Version. Kein Wunder, dass aus Glico-Darstellerin Chara vorher bereits ein japanisches Popsternchen war, und mit dem Titelsong zu "Swallowtail Butterfly" einen großen Hit landete. Die musikalische Qualität erkennt auch eine seelenlose japanische Plattenfirma, die Glico unter Vertrag nehmen. Von der Erfüllung des letzten großen Traums, Erfolg und Geld, geht es bergab für Glico, Adeha und Fei-Hong.
Auf soghafte Weise nimmt uns Iwai daraufhin in einen Alptraum von Film mit, in dem Sehnsüchte und Träume wie eine Seifenblase zerplatzen. Immer noch poetisch gehalten, legt Iwai hier krasse Gewalt vor. Bei einer bestimmten Actionsequenz in einem fahrenden Auto wird jeder noch so abgebrühte Filmfan aus dem Sessel "geschockt". Schließlich kulminiert "Swallowtail Butterfly" in einer fast epischen Actionsequenz, in der die Yentowns über eine ganze Armee von Yakuzas, garniert mit einem fast Schwarzenegger'schen Spruch ("This isn't your day, isn't it?") triumphieren. Gerade um diese geschlossene Solidarität, die selbst brutale Gangster überwinden kann, geht es bei "Swallowtail Butterfly". Und gerade diese Geschlossenheit ist es, die gegen Ende des Films durch Adeha versucht wird zu reaktivieren.
"Swallowtail Butterfly" ist die brillante Verschmelzung von hingebungsvoller Optik und einer wirklich brillanten Geschichte. Allein schon die kurze Szene, in der wir Fei-Hong das "Yentown"-Schild "wegschweben" sieht, ist ein kleines Meisterwerk des modernen Kinos. Die vielen Ebenen, auf denen die Story passieren, die vielen leisen Szenen, die kaum zum Fluss der Geschichte beitragen, sondern uns eher die einzelnen Charaktere näherbringen und die sehnsuchtsvolle Musik - alles ist perfekt inszeniert. Mehr als ein Eye-Candy, mehr als nur ein intelligenter Film. Eine poppige Zukunftsvision, schrecklich schön, auf erschütternde Weise realistisch, sozialkritisch, tragikomisch, dynamisch, allegorisch. Von avantgardistischem Antrieb. Ein überlanger Trip, ein Meisterwerk. Schlicht und ergreifend ein Meisterwerk.
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