Eine Kritik von Glogcke (Bewertung des Films: 9 / 10) eingetragen am 28.02.2004, seitdem 669 Mal gelesen
Lange habe ich überlegt, ob ich zu „Swallowtail Butterfly“ ein Review schreiben soll,
ob ich auch nur ansatzweise die Worte finden kann, wie vollkommen dieser Film ist. – Nun, ich möchte es zumindest einmal versuchen:
Was macht ein Epos aus? Ist ein Epos bloß ein Werk mit Überlänge? Wenn dem so sei, müsste man zwangsläufig ja auch Filme wie „Pearl Harbor“ dazuzählen.
Für mich ist ein Epos ein Film der durch die Zeiten geht, der zeigt wie sich Charaktere und Umstände verändern, ein Film der zuletzt völlig anders endet als er angefangen hat. Ein Epos ist ein Werk dessen äußere Form eher dem eines Gedichts ähnelt, als bloß dem normalen Erzählschema einer Geschichte.
Um den Begriff genau zu verstehen kann man ihn entweder im Lexikon nachschlagen, oder sich „Swallowtail Butterfly“ ansehen.
Die Handlung beginnt in den äußeren Slums von Tokio. Nach dem Tot ihrer Mutter wird ein junges, namenloses und schüchternes Mädchen von ihren Bekannten in die Prostitution verkauft. Sie landet bei der Prostituierten Glico (gespielt von der japanischen Popsängerin Chara), die sie zunächst ebenfalls verkaufen will, aus Mitleid jedoch in letzter Sekunde ihre Meinung ändert und das Mädchen bei ihr aufnimmt. Die beiden freunden sich an und Glico gibt dem Mädchen den Namen Ageha. Fortan versuchen sich die beiden alleine durchzuschlagen, während Ageha Glico im Haushalt zur Hand geht, sorgt diese durch den Verkauf ihres Körpers für den Unterhalt.
Durch Glico lernt Ageha eine Gruppe von verschiedenen Menschen kennen, die sich mit einer Autowerkstadt und dem Einsammeln von Müll versucht durchzuschlagen.
Bereits die ersten Minuten überzeugen durch derart schöne Bilder und eine solch fabelhafte Filmatmosphäre, wie sie ihres Gleichen sucht. Die Eindrücke aus dem Leben der beiden Frauen in ihrer heruntergekommenen Wohnung erwecken beim Zuschauer ein Gefühl von Geborgenheit und stehen im direkten Kontrast zu dem ländlichen Leben der Autowerkstadtbesitzer, deren Behausung in einer trockengrasigen, sonnigen und warmgezeichneten Umgebung liegt. Das nächtliche Fest, in dem Glico das erste Mal ihre bezaubernde Stimme beim Singen, völlig ohne musikalische Begleitung, vorführt stellt dabei einen ersten atmosphärischen Höhepunkt da, wie man ihn nur gesehen haben kann, um ihn zu verstehen.
Eines Nachts versucht sich ein Freier von Glico an Ageha zu vergreifen. Die beiden Frauen schaffen es nicht den Mann außer Gefecht zu setzen und so holt Ageha den unter ihnen lebenden schwarzen und ehemaligen Boxer Arrow zu Hilfe, dessen Charakter zuvor liebevoll eingeführt wurde. Versehentlich kommt dabei allerdings der Freier ums Leben. In der selben Nacht noch versuchen Ageha, Glico und der Arrow mit Hilfe einiger Leute aus der Autowerkstadt die Leiche verschwinden zu lassen. Dabei finden sie in dem Körper des Mannes eine Kassette mit dem Song „My Way“ darauf, auf der sich jedoch verschlüsselt ebenfalls die magnetische Information befindet, die man braucht um mit häuslichen Mitteln einen 10.000 Yen-Schein zu fälschen. Mit dem Geld setzt sich Arrow und ein weiteres Mitglied der Truppe in seine Heimat ab und Fei Hong, der Kopf der Bande, möchte mit dem übrigen Anteil einen Nachtclub in Tokio eröffnen, in dem Glico als Sängerin auftreten soll.
Nach einem weiteren unbeschreiblich atmosphärischen und mit wunderschöner Musik untermalten Höhepunkt, in dem die Gruppe ihr vom Laster gewehtes, mühsam zusammengesammeltes, Geld wieder einsammelt, stimmt sich der Film mit dem Weggang zweier Charaktere die man bereits ans Herz geschlossen hat, unter ihnen auch Arrow, erstmals in eine melancholischere Richtung, die jedoch durch Glicos ungewollten ersten Gesangsauftritt in dem zukünftigen Club schnell wieder in ein Gänsehautfeeling umschlägt. – Zweifelsohne bekommt Swallowteil Butterfly alleine schon für den Soundtrack von Takeshi Kobayashi die Höchstnote.
Durch die Verlagerung des Hauptszenarios auf die Innenstadt Tokios verändert sich die Filmatmosphäre erneut, bleibt aber nach wie vor genauso intensiv wie vorher. – Den lyrischen Höhepunkt des gesamten Films stellt die Szene dar, in der Ageha sich durch Glico inspiriert in einer Hinterhofpraxis einen Schmetterling auf die Brust tätowieren lässt und in wechselhaften Bildern geschildert wird, wie ihre erste Erinnerung an einen Schmetterling aussieht. Trotz des an sich schmutzigen Szenarios in der Praxis und der Toilette in der Rückblende, hat Shunji Iwai eine Szene von solcher Ruhe und brillanter Schönheit gezeichnet, von solcher Bildgewalt und atemberaubender Atmosphäre, dass es schon dichterisch anmutet.
Der Film besteht allerdings nicht nur aus schönen Bildern und hervorragender Filmmusik. Die Handlung kommt dabei keinesfalls zu kurz. – Die Kassette mit dem Falschgeldinformationen ist selbstverständlich kein Geschenk des Schicksals sondern gehört natürlich den Triaden, die vor nichts zurückschrecken um sich ihren Besitz wieder anzueignen. Das Ende bietet sogar noch einen ebenso harten wie hervorragend überzeichneten, allerdings kurzen, Showdown. – Ein Kinderfilm ist Swallowtail Butterfly aber definitiv nicht.
„Yentown“ (so der deutsche Titel) ist einer der besten Filme den ich bisher in meinem ganzen Leben gesehen habe und sicherlich auch einer der besten Filme die jemals gedreht wurden. In wirklicher jeder Kategorie, sei es Soundtrack, Schauspieler, Kameraführung, Geschichte sowie Charaktere erhält der Film von mir die absolute Höchstnote. – Ich spreche hier nicht von anfänglicher Euphorie, wie sie einem gelegentlich wiederfährt, wenn man einen Film zum ersten mal gesehen hat, ich spreche von einem Film der nie schlecht wird, nie langweilig, der immer aufs neue wieder schön und fesselnd ist. Immer wieder denke ich gerne daran zurück, wie ich den Film das erste mal sah und freue mich, dass ich das Glück hatte dieses Meisterwerk auf einer großen Kinoleinwand zu bewundern. – Um den Film jedoch voll und ganz genießen zu können, sollte man ihn sich unbedingt alleine ansehen.
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