Eine Kritik von buxtebrawler (Bewertung des Films: 8 / 10) eingetragen am 08.03.2020, seitdem 609 Mal gelesen
„Wow, ist das alles metaphorisch!“
Bong Joon-hos „Parasite“, zu dem der südkoreanische Regisseur („Snowpiercer“) auch (zusammen mit Han Jin-won) das Drehbuch verfasste und als Produzent in Erscheinung trat, hat eine Auszeichnung nach der anderen abgeräumt und Rekorde aufgestellt: Der 2019 veröffentlichte Spielfilm hat nicht nur als erster koreanischer Film die Goldene Palme in Cannes, sondern auch mehrere Oscars gewonnen, darunter als erster ausländischer Beitrag überhaupt jenen für den besten Film.
Die vierköpfige Familie Kim – Vater Kim Ki-taek (Song Kang-ho, „Lady Vengeance“), Mutter Chung-sook (Jang Hye-jin, „Secret Sunshine“), Sohn Ki-woo (Choi Woo-shik, „Train to Busan“) und Tochter Ki-jung (Park So-dam, „The Priests“) – lebt verarmt unter menschenunwürdigen Bedingungen in einer Kellerwohnung in den Seouler Slums und versucht, sich mit miesen Nebenjobs wie dem Falten von Pizzakartons im wahrsten Sinne des Wortes über Wasser zu halten. Ein alter Schuldfreund Ki-woos jedoch vermittelt ihm eine neue, anspruchsvollere Tätigkeit: Er solle ihn als Englisch-Nachhilfelehrer für die Tochter der wohlhabenden Architektenfamilie Park vertreten. Es fehlten lediglich einige kompetenzsuggerierende Dokumente. Diese fälscht Ki-jung kurzerhand für ihren Bruder, der daraufhin die Stelle antritt und die attraktive Schülerin Da-hye (Jeong Ji-so, „The Tiger: An Old Hunter’s Tale“) erfolgreich unterrichtet. Während seines Aufenthalts in der luxuriösen Familienvilla lernt er auch Da-hyes kleinen Bruder Da-song (Jung Hyun-joon) kennen, einen Grundschüler, der gern malt, von seinen Eltern (Cho Yeo-jeong, „Working Girl“ und Lee Sun-kyun, „Ghosts of War“) aber für etwas verhaltensauffällig gehalten wird. Unter falschem Namen schleust er so auch seine Schwester ein, die sich als Kunsttherapeutin ausgibt. Mit List und Tücke bringen die beiden auch ihre Eltern als Fahrer und Haushälterin bei den Parks unter, ohne dass diese wüssten, dass es sich um ein abgekartetes Spiel einer Familie handelt. Jedoch mussten dafür der bisherige Chauffeur Geun-sae (Park Myung-hoon, „Alive“) und die jahrelang treue Dienste geleistet habende Haushälterin Moon-gwang (Lee Jung-eun, „Okja“) geschasst werden…
„Parasite“ verknüpft eine schwarze Komödie inklusive starken gesellschaftssatirischen Zügen mit Motiven aus Home-Invasion-Thrillern und Familiendramen. Reizvolles Schauspiel und eine punktgenaue Kameraführung mit viel Sinn für Dynamik und Details vereinnahmen das Publikum schnell für seinen Kontrast zwischen einer intelligenten, listigen, aber unter prekären Verhältnissen darbenden Familie aus der Unterschicht und ihrem freundlichen, aber oberflächlichen und furchtbar naiven Gegenpol aus der Oberschicht. Vereinzelt, doch pointiert weckt die Handlung falsche Erwartungshaltungen und hält so die Spannung aufrecht: wird es Ki-woo zum Verhängnis werden, dass sich seine Schülerin in ihn verliebt hat? Immerhin hegt sein Freund, der ihm die Stelle vermittelt hat, selbst Interesse an ihr. Oder wird der Vater sich verraten, wenn er aus seiner hyperkultivierten Rolle fällt und einmal zu oft oder zu laut flucht? Wird gar der identische, nach ihrem Kellerloch müffelnde Geruch die in die schillernde heile Welt der Parks eingedrungene Familie verraten? Oder werden die Parks schlicht verfrüht von einem Camping-Ausflug zurückkommen, während die Kims in deren Wohnzimmer feiern und sich über die Alkoholvorräte hermachen?
Während man noch darüber rätselt, aber eigentlich mit den Kims, aus deren Perspektive die Handlung erzählt wird, bangt, nimmt der Film eine überraschende Wendung, die „Parasite“ ein Mehr an komödiantischer Absurdität, aber auch an Thriller-Elementen verleiht und lediglich den Ausgangspunkt für zunehmend gewalttätige, dramatische und böse Entwicklungen darstellt. Mehrfach ändert der Film seinen Tonfall, was zu einem immer hysterischeren Ritt durch die exemplarisch nachgezeichnete südkoreanische Klassengesellschaft avanciert. Das ist sicherlich Geschmackssache und vielleicht auch zu viel des Guten, lässt es den Film doch gewissermaßen inkohärent wirken. Andererseits entspricht es sowohl der von vornherein karikierenden Überzeichnung sowie dem Wechselbad der Gefühle, das nahezu alle Figuren durchleben. Der Epilog indes ist dann aber doch zu dick aufgetragen und an den Haaren herbeigezogen.
Unabhängig davon ist Bong Joon-ho eine schwer unterhaltsame Klassenkampfparabel gelungen, die bei aller Überzeichnung die Ambivalenz ihrer Figuren und derer Verhaltensweisen herausstellt. Besonders bitter wirken die subtileren Momente, in denen die oberflächlich betrachtet so freundlichen Herr und Frau Park ehrenrüchige Kommentare über die Kims fallenlassen oder sie immer mehr wie Leibeigene behandeln, bis auch ohne weitere Zuspitzungen die Scharade wohl bald ein Ende gehabt hätte, weil die Kims vermutlich entnervt das Handtuch geworfen hätten.
Vor allem aber ist „Parasite“ ein Sinnbild für die Unfähigkeit der Angehörigen der Unterschicht, sich untereinander zu solidarisieren und zu organisieren statt die Ellbogenmentalität des Systems zu übernehmen und sich gegenseitig zu zerfleischen – weshalb sie dazu verdammt sind, letztlich immer den Kürzeren zu ziehen. Oder sind es „Besitz“ und „Status“ – seien sie auch noch so trügerisch, weil in diesem Falle lediglich an Besitz und Status anderer partizipiert wird –, die derart schnell korrumpieren?
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