Eine Kritik von vodkamartini (Bewertung des Films: 9 / 10) eingetragen am 04.12.2021, seitdem 1096 Mal gelesen
Wahrheitsfindung auf dem Turnierplatz
Die Lanzen brechen, die Schwerter klirren, das Blut spritzt. Genau, wir befinden uns inmitten eines Mittelalterepos von Sir Ridley Scott. Der von der Queen geadelte Regisseur scheint trotz seiner Science Fiction Meilensteine (Alien, Blade Runner) ein besonderes Faible für die raue Vergangenheit zu haben. Ob Pharaonen (Exodus), Gladiatoren (Gladiator), Kreuzritter (Königreich der Himmel, Robin Hood) oder Entdecker (1492), stets haftet seinen kraftvollen Historienfilmen etwas Urwüchsiges, etwas Archaisches an. Hie wird nicht einfach nur gekämpft, hier wird mit Göttern, Elementen, Heerscharen von Feinden, vor allem aber dem Schicksal gerungen, als gäbe es kein Morgen. Getaucht in eine barocke Gemäldeoptik und untermalt von hymnischen Scores kommen Scotts Werke damit oft wie das filmische Äquivalent zu antiker oder frühneuzeitlicher Baukunst daher. Sein neuester Film The Last Duel setzt diesen Kanon nun nahtlos fort, oder etwa nicht?
Die erste Szene scheint lauthals „Ja“ zu brüllen. Scotts bietet seine ganze, pralle Mittelalterpalette auf. Ein farbgefilterter Blauschleier und leichter CGI-Schneefall. Zwei Ritter bereit zum Lanzenduell. Doch wir sehen nur den Auftakt. Dann schneller Schnitt zu einem anderen Kampfplatz, "The Battle of Limoges, 19 September 1370". Sofort werden Erinnerungen an Gladiator wach. Der barbarische Feind will sich nicht ergeben, köpft die Gefangenen vor den Augen der französischen Schlachtreihe. Dann setzt das Gemetzel ein - und ist nach einer Minute auch schon wieder vorbei. Scott spielt hier geradezu mit den Erwartungen an sein Publikum, Erwartungen die er selbst geschaffen hat - und hier fast schon schmunzelnd unterläuft.
The Last Duel ist kein Schlachtenepos, die typischen Scottschen Kampfszenen sind da, aber nur fragmentarisch, beinahe verschämt, als wollten sie sagen, seht her, wir sind immer noch im blutigen Mittelalter, auch wenn es eigentlich um etwas Anderes geht. Etwas Intimeres, aber nicht minder Brutales. Schon die Einteilung des Films in verschiedene Kapitel, alle überschrieben mit „Die Wahrheit nach …“ gibt einen ersten Fingerzeig. Hier soll ein Sachverhalt aus unterschiedlichen Perspektiven erzählt werden, Waffengewalt spielt dabei nur eine sehr untergeordnete, aber am Ende zumindest karthatische Rolle. Dennoch geht es um Gewalt, um Gewalt gegen Frauen.
Natürlich ist der MeToo-Bezug sehr deutlich und plausibel, was aber keineswegs folgerichtig für den häufig zu lesenden Vorwurf der Plakativität gilt. Den historisch durch allerlei Gerichtsakten bestens belegten Fall um das letzte, staatlich sanktionierte Duell wegen eines vermeintlichen Vergewaltigungsdelikts als Metapher zu benutzen mag nach Holzhammer klingen, tatsächlich ist es ein kluger Einfall. Er zwingt zum Nachdenken über aktuelle Bezüge und umgeht das durch medialen Overkill errichtete Abwehrhaltungsbollwerk. Er führt auch vor Augen, dass diese Problematik selbst im gern als finster und längst als völlig überholt geltenden Mittelalter erstaunliche Parallelen aufweist. Zwar gibt es heute kein Gottesurteil zur Wahrheitsfindung mehr und auch der sichere Tod von mindestens einem der drei Beteiligten ist glücklicherweise ausgeschlossen. Aber hier wie da geht es in erster Linie um Macht und Ansehen, um die Macht der Deutungshoheit und das Ansehen in Gesellschaft und Öffentlichkeit.
Der Film beginnt mit der Sicht Jean de Carrouges (Matt Damon), dem gewissermaßen gehörnten Ehemann. Während seiner Abwesenheit auf einem Feldzug wurde seine Frau Marguerite (Jodie Comer) von seinem ehemaligen Freund und inzwischen Rivalen Jacques Le Gris vergewaltigt. Der erboste Jean bringt den Fall daraufhin vor den König und erzwingt so ein Gottesurteil. Dies soll der Wahrheitsfindung dienen, denn weder Marguerite, noch dem leugnenden Le Gris wird geglaubt. In diesem ersten Kapitel lernen wir vor allem Jean de Carrouges näher kennen. Einen ebenso ehrgeizigen wie einfältigen Junker, der vor allem auf die eigene Ehre und den eigenen Besitz bedacht ist. Sein Geschick auf dem Schlachtfeld steht seinem Ungeschick auf dem diplomatischen Parkett in nichts nach und so bringt er es zwar zum Ritter, verliert aber Gunst und damit Begünstigungen seines Lehnsherrn Pierre d´Alencon. Die Heirat der vermögenden Marguerite hält ihn daher gerade noch so im Spiel.
Das zweite Kapitel gehört Jacques Le Gris (Adam Driver). Auch er ist ein stattlicher Kämpfer, vor allem aber ist er ein gebildeter und charismatischer Charmeur. Den vornehmlich an Ausschweifungen interessierten d´Alencon (Ben Affleck) wickelt erst ebenso schnell um den Finger, wie sämtliche Damen seiner Entourage. Dem ungleich hölzerneren Waffengefährten Carrouges hält er lange die Treue, was ihn aber nicht hindert von d´Alencon Posten und Ländereien anzunehmen, auf die auch Carrouges glaubt ein Anrecht zu haben. Er nimmt, was er kriegen kann und glaubt irgendwann alles kriegen zu können, was er will. So auch Marguerite. Ihre Blicke missdeutet er als Aufforderung zum Ehebruch. Nicht, dass er eine solche bräuchte. Ungestüm und fordernd gesteht er ihr seine Liebe, meint aber Begehren, und als Marguerite ihn abweist, vergewaltigt er sie. Von ihrem Schweigen ist er überzeugt - schließlich könnte es sie den Kopf kosten - und fühlt sich sicher.
Im letzten Kapitel wird dieselbe Geschichte dann schließlich aus der Perspektive der Hauptleidtragenden geschildert: Marguerite. Und spätestens mit ihr wird deutlich, dass The Last Duel nicht in erster Linie ein geschichtlicher Film ist, bzw. sein will. Auch wenn es überraschend klingen mag, aber neu ist diese Herangehensweise keineswegs bei Scott. Seine Trademarks Optikwucht und Ausstattungsopulenz können leicht mit historischer Authentizität verwechselt werden, aber bei genauerer Betrachtung kommentieren seine Historienfilme oftmals mehr die Gegenwart, als dass sie die Vergangenheit sezieren. Für Gladiator lies er sich von einem berühmten Barockgemälde und einem Monumentalfilm der 50er Jahre inspirieren. Auch das alte Testament (Exodus) und Britanniens berühmteste Legende (Robin Hood) stehen auch nicht unbedingt im Verdacht historischer Akkuratesse. Oft legt er seinen Protagonisten anachronistische Worte in den Mund, man denke nur an Maximus flammendes Demokratie- und Freiheitsplädoyer in Gladiator. Ähnlich verfährt Scott auch in The Last Duel.
Marguerite wirkt in ihren Ansichten und Äußerungen deutlich moderner und progressiver als man es bei einer Edeldame des 14. Jahrhunderts vermuten würde und annehmen darf. Sie beklagt die generelle Unfreiheit der Frauen und die unbedingte Dominanz der Männer. Mutig und selbstbewusst entlarvt sie ihren Gatten als lediglich an der eigenen Ehre interessierten Gehörnten. Seine Wut und Verletzung hat nichts mit dem Unrecht und der Pein die seiner Frau angetan wurden zu tun, sondern fokussiert sich lediglich auf den verhassten Rivalen Le Gris, der ihn nun zum wiederholten Mal seinen Besitz streitig gemacht hat. Völlig verdutzt reagiert er auf Margerite Verzweiflung, dass ihr Leben von seinem Schwert abhängt und damit auch die Wahrheitsfindung. Sollte Le Gris siegen, ist sie als Lügnerin entlarvt und wird verbrannt.
Natürlich inszeniert Scott das dritte Kapitel als Klimax der Geschichte, aber bleibt dabei stets subtil und fast schon nüchtern. Die Wirkung ist damit umso drastischer. Es sind nur Kleinigkeiten, die sich aus Marguerites Perspektive ergeben, aber die haben es in sich. Ihre beste Freundin glaubt ihr nicht und wendet sich ab, schließlich haben sie beide bei Le Gris Attraktivität getuschelt. Bei der öffentlichen Anhörung vor König und Gerichtsbarkeit scheint nicht Le Gris auf der Anklagebank zu sitzen, sondern Marguerite. Hier wird ihr zunächst ein anderer Liebhaber unterstellt, von dem Le Gris lediglich ablenken soll. Vielleicht hat sie alles auch einfach nur geträumt. Dieses erniedrigende Verhör gipfelt schließlich in der Bemerkung, dass man bei einer Vergewaltigung nicht schwanger werden könne, was gleich zwei Ungeheuerlichkeiten der Zeit offen legt: Frauen sind nur zum Gebären da und Vergewaltigungen sin prinzipiell in Ordnung, da sie diese Kernaufgabe nicht stören. Die eindringlichste Szene ist aber eine Bemerkung von Carrouges Mutter, die ihrer Schwiegertochter bis dato ausschließlich mit Kälte und Arroganz begegnet war. Auch sie sei in ihrer Jugend vergewaltigt worden aber habe geschwiegen um Schande von ihrer Familie fern zu halten und am Leben zu bleiben.„Die Wahrheit ist nicht von Belang“, stellt sie trocken fest. Ein Knall ohne Lärm, ein Donner ohne Hall.
Mit The last Duel hat Ridley Scott ein spätes Meisterwerk abgeliefert. Auf gewohntem Terrain und in gewohnter Optik unterläuft er die Zuschauererwartungen und liefert einen messerscharfen Kommentar zu einer uralten und gleichzeitig ultramodernen Thematik. Der Rashomon-Kniff mag nicht neu sein, führt hier aber schnörkellos zum Ziel. Einen großen Anteil haben daran auch die Schauspieler. Matt Damon beweist Mut zur Hässlichkeit und spielt Carrouges als bornierten Einfaltspinsel, bei dem Ego und Empathie an zwei unterschiedlichen Enden der Skale rangieren. Adam Driver ist als berechnender Charmeur ebenfalls ein Unsympath, dem man mit zunehmend faszinierter Abscheu zusieht. Jodie Comer schließlich ist das Herz des Films und bewältigt die komplexe Aufgabe zwischen Verletzlichkeit undKampfgeist, zwischen Ohnmacht und Tatkraft ohne dabei in Mitleidsklischees zu verfallen. Erwähnen sollte man unbedingt auch Ben Affleck. Nicht nur hat er gut 25 Jahre nach Good Will Hunting mal wieder ein Skript mit seinem Freund Matt Damon verfasst, er glänzt auch in der Nebenrolle als schmieriger Partytiger und Orgiast und reisst jede seiner Szenen an sich.
Scott ist also ganz sicher auch ein Schauspieler-Regisseur, ganz zum Schluss zeigt er dann aber doch noch einmal, warum ihn seit 20 Jahren alle historischen Filme und Serien kopieren. Das titelgebende Duell auf dem Turnierplatz ist von einer brachialen Wucht, wie sie nur er entfesseln kann. Die Körperlichkeit aber auch die Aggressivität der beiden Kombattanten ist von einer Unmittelbarkeit und Direktheit, wie sie nur das Kino zu vermitteln vermag. Dennoch gehören die letzten Szenen ganz Marguerite. Das blutige Muskelspiel hat der Öffentlichkeit die Wahrheit geliefert. Dass damit auch Marguerite (weiter) leben kann, ist aber nur bedingt ein versöhnlicher Ausgang. Weder wurde Unrecht wieder gut gemacht, noch wurde für die Zukunft etwas gelernt. Die Wahrheit ist nicht (mehr) von Belang, jetzt wo sie gefunden wurde.
Unser News-Bereich wurde überarbeitet und wird in Kürze weiter ausgebaut werden, damit Sie stets aktuell über alle Neuigkeiten rund um die Welt des Films informiert sind.