Eine Kritik von McClane (Bewertung des Films: 7 / 10) eingetragen am 13.09.2021, seitdem 845 Mal gelesen
Nachdem „Avengers: Endgame“ gewissermaßen den Höhe- und zu einem gewissen Grad Endpunkt im MCU darstellte, lautete die Frage: Wie geht es weiter? „Spider-Man: Far from Home“ stand unter Sony-Ägide etwas außerhalb der Hauptfilme, „Black Widow“ spielte zeitlich vor dem großen Finale und wirkte eher wie ein Zwischenfilm. „Shang-Chi and the Legend of the Ten Rings“ ist als Antwort immer noch unkonkret, zeigt aber wie der demnächst anstehende „Eternals“, dass in Zukunft auch Helden aus der zweiten bis dritten Reihe verstärkt zum Zuge kommen werden.
Die titelgebenden zehn Ringe verleihen ihrem Träger unheimliche Kampfkraft. Dabei handelt es sich zum Beginn des Films um Xu Wenwu (Tony Leung Chiu-Wai), der nicht altert, erst in antiken Zeiten gegnerische Heere zusammenkloppt und dann die Geheimorganisation der zehn Ringe aufbaut, mit der er ins Weltgeschehen eingreift, aber im Verborgenen bleibt. Als der Machtmensch im Jahr 1996 jedoch das verborgene Dorf Ta Lo einnehmen und sich dessen Kräfte zu eigen machen will, besiegt ihn dessen Wächterin Jiang Li (Fala Chen) im Kampf. „Shang-Chi and the Legend of the Ten Rings“ lehnt sich an das asiatische (Kampfkunst-)Kino an und auch dort waren tänzerische Fights gern einmal halbe Flirts, weshalb es fast konsequent ist, dass die beiden ein Paar werden und Nachwuchs zeugen, wie man via Off-Kommentar erfährt.
In der Gegenwart des Films ist ihr Spross Shang-Chi (Simu Liu) ein junger Mann in San Francisco, nennt sich jedoch Sean und geht einem Malocherjob als Parkhilfe bei einem Nobelhotel nach. Das macht er gemeinsam mit seiner besten Freundin Katy (Awkwafina), deren Freunde und Verwandte sie im romantischen Sinne füreinander geschaffen halten, und ist gar nicht an einem Heldenjob interessiert. Als jedoch Schlägertruppen seines Vaters, aus dessen Dunstkreis er sich entfernte, für Rabatz sorgen, offenbart Sean seine Martial-Arts-Skills nicht nur vor der Welt und vor Katy, sondern er muss – wie so viele Superhelden vor ihm – zu seinem verleugneten Erbe stehen.
Sean und Katy fliegen nach Macao, machen Seans Schwester Xialing (Meng’er Zhang) ausfindig, hinter der Wenwus Truppen ebenfalls her sind, doch sind zu spät: Sean, Katy und Xialing werden eingesackt und zu Wenwu gebracht. Der will ihnen jedoch nichts Böses, sondern mit ihrer Hilfe Ta Lo ausfindig machen, um die verstorbene Li dort wieder zu erwecken. Doch anscheinend ist es gar nicht sie, die nach ihm ruft…
„Shang-Chi and the Legend of the Ten Rings“ ist am Ende des Tages kein richtungsgebender Film für das MCU, dafür sind seine Versatzstücke doch zu sattsam bekannt. Das Erbe der Vergangenheit und komplizierte Familienstrukturen bestimmten schon die „Thor“-Reihe und „Black Panther“, den Schatten des übermächtigen Übervaters fühlte auch Peter Quill alias Star-Lord in „Guardians of the Galaxy 2“ und die Zusammenführung einer dysfunktionalen Familie praktizierte „Black Widow“ erst kürzlich. Den Bauklötze staunenden Sidekick, der Sprüche reißt und später ins Geschehen eingreift, gab es in der exakten Version noch nicht, aber Figuren wie Roddy Rhodes aus der „Iron Man“-Reihe oder Rocket und Groot aus den „Guardians of the Galaxy“-Filmen können schon als Vorläufer gelten. Die gefährliche Mischung aus außerweltlichem Übel und menschlicher Hybris als Plotmotor ist natürlich ebenso Ehrensache wie die bombastische Finalschlacht, bei der mal wieder das Schicksal der Welt auf dem Spiel steht. „Shang-Chi and the Legend of the Ten Rings“ dreht da bestenfalls im Detail an den Stellschrauben, funktioniert aber deutlich autarker als manch anderer MCU-Beitrag. Wenn Carol Danvers alias Captain Marvel (Brie Larson) und Bruce Banner alias Hulk (Mark Ruffalo) während der Credits vorbeischauen, ist dies noch am ehesten eine Einbindung in den Avengers-Kosmos, während die Gastrollen von Wong (Benedict Wong) aus „Doctor Strange“ und Trevor Slattery aus „Iron Man 3“ eher ein netter Bonus sind, deren Vorgeschichte Marvel-Neulinge nicht unbedingt zu kennen brauchen. Trevors Rolle ist Teil jenes Mandarin-Retcon, den schon im Kurzfilm „All Hail the King“ begann.
Was für „Shang-Chi and the Legend of the Ten Rings“ spricht und sein Alleinstellungsmerkmal ist, ist seine Verwurzelung in der Tradition des Hongkong-Kinos und chinesischer Folklore, die über ein bloßes Schielen auf den kassenträchtigen chinesischen Markt hinausgeht. Gerade in den Szenen in Ta Lo werden chinesische Fabelwesen untergebracht, die sogar in der Finalschlacht mitkäbbeln, im Hauptcast finden sich quasi nur asiatische Darsteller bzw. amerikanische Schauspieler asiatischer Abstammung und Verweise auf Martial Arts in der Popkultur finden sich über den Film verteilt. So repräsentieren verschiedene Abschnitte bzw. Kampfszenen verschiedene Stile: Das Werben von Xu Wenwu und Jiang Li gemahnt an Wuxia-Werke wie „Tiger & Dragon“ oder „House of Flying Daggers“, ein Untergrund-Fightclub, in dem auch Sumo-Ringer, Zauberer und grüne Echsenwesen bei One-on-One-Kämpfen mitkloppen erinnert an Prügelspiele wie „Street Fighter II“ oder „Tekken“, ein Gefecht auf einem Bambusgerüst an einer Hausfassade steht in der Tradition von entsprechenden Szenen aus „Rush Hour 2“ oder „Born to Fight“ mit Cynthia Rothrock. Auch einer von Rothrocks Signature-Moves, der Scorpion Kick, kommt in einer Kampfszene zur Anwendung.
Hauptdarsteller Simu Liu hatte neben Schauspiel- auch Stunterfahrung, was man seinen Kampfszenen durchaus anmerkt. Die Actionszenen unter der Beteiligung von Stunt Coordinator Christopher Clark Cowan und der Kampfchoreographen Alan Tang, Andy Cheng und Guillermo Grispo haben durchaus Druck, wobei eine Schlägerei in einem außer Kontrolle geratenen Bus und die Flucht aus dem Fightclub (inklusive der erwähnten Gerüstklopperei) mit ihren längeren Einstellungen, ihren Einfällen und ihrer starken Choreographie am meisten Eindruck hinterlassen. Der Showdown geht in Ordnung, ist bisweilen aber etwas zu CGI-lastig und etwas zu schnell geschnitten, gerade für die 3D-Version des Films. Immerhin betonen Regisseur Destin Daniel Cretton und seine Co-Autoren Dave Callaham und Andrew Lanham in dieser Phase eh den Fantasy-Aspekt des Ganzen stärker, sodass man verzeihen kann, dass die Wemmsereien unrealistischer und die Physik unglaubwürdiger wird – immerhin mischen hier zwei Riesendrachen mit, was definitiv nicht unbedingt alltäglich im Superheldenfilm ist.
Während man Simu Liu seine Körperbeherrschung neidlos zugestehen muss, sieht es mit dem Leading-Man-Charisma etwas schlechter aus – eine Casting-Coup wie dereinst bei der Besetzung von Chris Hemsworth als Thor ist den Marvel-Leuten dieses Mal nicht gelungen. Liu ist eher solide, aber immerhin sympathisch und könnte in eventuellen Sequels sicher noch eine Schippe drauflegen. Awkwafina ist anfangs etwas gewöhnungsbedürftig, macht als Sidekick aber durchaus Laune. Das größte Charisma verströmen allerdings die altehrwürdigen Hongkong-Heroes Tony Leung Chiu-Wai und Michelle Yeoh als Antipoden, die ein großer Gewinn für den Film sind. Die meisten tragenden Rollen sind mit bisher unbekannten Gesichtern wie Schauspieldebütantin Meng’er Zhang besetzt, die aber saubere Arbeit leisten und vom Vertrauen in den Stoff zeugen. Einen Gastauftritt hat Comedian Ronny Chieng als Fightclub-Buchmacher, neben den Cameos der bereits genannten Marvel-Spezis.
Regisseur Destin Daniel Cretton ist eigentlich eher im Bereich des Indie-Dramas daheim, drehte unter anderem „Short Term 12“ und „Schloss aus Glas“ mit der späteren Marvel-Heldin Brie Larson. Dies dürfte ihn unter anderem für den Film empfohlen haben, dessen komplizierte Familienbeziehungen und ambivalente Charaktere er gut erforscht. Es gibt sicherlich Superheldenfilme, die diese Strukturen komplexer und emotionaler untersuchten, aber „Shang-Chi and the Legend of the Ten Rings“ schafft es zwischen den Actionszenen Interesse für seine Charaktere zu erwecken, ihnen Profil zu verleihen und ihre Motivationen nachvollziehbar zu machen. Da verzeiht man dann auch, dass der Film im Mittelteil etwas hängt und man die aufziehende Katastrophe schon weit vor den Hauptfiguren ahnt.
So kann man Marvel sicher anrechnen, dass sie den ersten Multimillionen-Dollar-Superheldenfilm mit asiatischem Hero auf die Beine gestellt haben und sich beim Casting nicht von Starpower leiten ließen, doch „Shang-Chi and the Legend of the Ten Rings“ ist von seiner Struktur und seinen Themen gewissermaßen Erwartungserfüllung im Genre. Das immerhin mit Drive, starken Actionszenen und phantasievollem Asia-Touch, aber auch kleinen Hängern in der Mitte und bekannten Vorbildern. Das reicht zu einem guten Vertreter des Superheldenfilms, aber noch nicht zu einem herausragenden.
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