Tür zu und versteckt euch! Der Perückenzwerg mit der Frauensonnenbrille kommt!
Ich habe gelesen, Luciano Ercoli hat sich nach seinem letzten Film von 1977 mit seiner Frau Nieves Navarro in Spanien mit unter 50 Jahren zur Ruhe setzen können. Gut für ihn. Schade für uns, denn seine drei Gialli, die er in den Jahren 1970 bis 1972 veröffentlichte, sind schon eine Klasse für sich. Ercoli war ein wirklich guter Regisseur.
„Death Walks at Midnight" als sein letzter dem Giallo zugerechneter Beitrag verlässt dabei die schon recht früh eingefahrenen Pfade des Subgenres, was man aber auch bereits „Le foto proibite di una signora per bene", seinem Erstling, und dem direkten Vorgänger „Death Walks On High Heels" attestieren konnte. Das lässt darauf schließen, dass es Ercoli nie um das Abarbeiten von in Mode liegenden Mustern ging. Vielmehr erwecken seine drei Gialli alle den Eindruck einer großen Eigenständigkeit und so haben wir es in diesem Fall am ehesten mit einem Psychothriller zu tun, der im Kern eine sehr gewöhnliche Story um Drogenschmuggel mit sich herumträgt, diese aber erst recht spät aus dem Sack lässt.
Das Mannequin Valentina (Nieves Navarro) wird von dem Sensationsreporter Gio Baldi (Simón Andreu) für Geld und unter der Vortäuschung einer Studie zum Testen einer neuen halluzinogenen Droge überredet. Im Rausch hat sie plötzlich Visionen eines Mordes. Sie kann Opfer und Täter identifizieren, nur glauben ihr weder die Presse noch die Polizei. Als sie dem Mörder begegnet, geht sie der Sache auf eigene Rechnung nach und kommt so einer Bande von Drogenschmugglern in die Quere.
Der Plot klingt zunächst einmal etwas wirr und abgehoben, aber Ercoli gelingt es, dem ganzen den entsprechenden Feinschliff zu verpassen. Zudem zeichnen sich Ernesto Gastaldi und Sergio Corbucci für Story und Drehbuch verantwortlich und so haben wir es hier mit einem italienischen Psychothriller zu tun, der hervorragend bebildert wurde und trotz seiner Gradlinigkeit ein paar interessante Wendungen parat hat, um den Zuschauer bei der Stange zu halten.
Interessant ist dabei, dass wir mit Valentina eine Figur vorgesetzt bekommen, die nicht nur durch die Ungläubigkeit ihrer Umwelt isoliert erscheint, sondern sich auch durch ihren moralischen Antrieb grundsätzlich abhebt. Der Sensationsreporter Gio entwickelt sich zwar zu einer Art Heldenfigur, ist aber genaugenommen ein absolutes Vollarschloch, da er gleich zu Beginn Valentina für eine billige Titelstory missbraucht, die sie in der Folge ihren Job kostet. Dafür reagiert sie dann recht gelassen, wie ich finde. Auch wenn sie einen Stein schmeißen darf. Diese Unmoral des Reporters scheint fast zum guten Ton der Branche zu gehören und ich befürchte, dass seine jovialen Bemerkungen ihn als charmant abstempeln sollen. Na ja.
Der ermittelnde Inspektor (Carlo Gentili) erweist sich als recht lahmarschiger Beamter, der zwar seinen Job zu machen scheint, aber eben nur mit allergrößter Übellaunigkeit und ohne jede Fantasie. So fragt er Valentina, nachdem sie einen Stein in das Bürofenster des ekligen Reporters geworfen hat, ob sie Faschistin oder Kommunistin sei. Somit ordnet er sich dann wunderbar in die große Gruppe der unfähigen Polizisten ein, die der Giallo insgesamt hervorgebracht hat. Er ist in guter Gesellschaft...
Valentinas Geliebter Stefano, ein Künstler, scheint zunächst ein Gegenstück zu den unsympatischen Männertypen zu sein, aber im italienischen Thriller ist dann letztlich nichts so, wie es zunächst scheint. So viel habe ich nun mittlerweile auch schon gelernt. Und das böse Schurken-Duo mit dem debil kichernden und dem Zigarillo rauchenden Unhold ist so herrlich überzeichnet, als kämen gleich TKKG um die Ecke, um den beiden den Garaus zu machen. Hu! Ga!
Die Morde im Film erweisen sich als selten, aber teils blutig. Dies liegt besonders an der Mordwaffe, einer mittelalterlichen Eisenfaust mit Stacheln, die wir jedoch lediglich in diversen Rückblenden im Einsatz sehen und dort fließt dann schon ordentlich Blut und es gibt ein ziemlich schmerzhaft aussehendes Make-up zu bewundern. Aber der deutsche Titel lautet ja auch "Die eiserne Hand des Todes" und nicht "Die flauschige Hand des Todes".
Die übrigen Morde passieren im Off und hier wird dann ganz deutlich, dass sich Ercoli vom typischen Giallo distanziert, der sich ja nur zu oft zu hingebungsvoll seinen Gewaltszenen widmet und diese oftmals aneinanderreiht. Besonders in der zweiten Hälfte entwickelt sich der Film zu einem Kriminalstück, dessen verschiedene Puzzleteile nach und nach zusammengesetzt werden, um dann in einem recht actionlastigen Finale zu münden. Da stellt der schlitzohrige Gio den beiden Banditen schon einmal ganz frech ein Beinchen. Heute geht sowas ja nur noch mit Martial Arts... Aber dann, ganz genretypisch, darf noch eine Puppe vom Hochhaus stürzen. Nach dem Schnitt gibt es dann das Resultat zu sehen, das mit der herausgeplatzten Hirnmasse einem drastischen Realismus verpflichtet ist, der gar nicht so zur Puppe passen will. Aber der Schluss haut dann eben noch einmal ordentlich rein, was eventuell für die ein oder andere Länge entschuldigt.
Bis dahin versorgt einen Ercoli mit optischen Leckerbissen, die sein spanischer Kameramann Fernando Arribas mit Können einfängt. Die Wohnung Valentinas und das gegenüberliegende Apartment zeigen das Gespür des Regisseurs für Architektur, das bereits seinem Erstling zu eindrucksvollen Szenen verhalf. Die Optik wirkt hier deutlich edler als in manchem Genrekollegen. Und über allem tront der Mailänder Dom. Als witzigen Einfall empfand ich die Kündigungsszene, die aus einer Montage einer Außenaufnahme eines Hochhauses und der Tonspur besteht. Zudem war ich erstaunt, dass es 1972 bereits diese Dekoleuchten aus Fieberglasstäbchen mit den farbwechselnden Punkten am Ende gab. Die Rückblenden oder „Visionen" sind dann weitere optische Highlights.
Die Musik von Gianni Ferrio ist ebenso großes Kino, unterstützt aber eher als Szenen den Stempel aufzudrücken und in Spannungsmomenten hält sie sich vornehm zurück, um den Geräuschen den Vortritt zu lassen. Ich bin ja ein großer Freund von so etwas und empfinde die Spannung dadurch als wesentlich größer, als wenn einem die Musik zu jeder Sekunde vorhält, wie man sich denn jetzt gerade fühlen soll. Und wenn sie zu hören ist, dann ist sie eben wunderbar arrangiert und eher dem Jazz als der Klassik verhaftet.
Zu guter Letzt stelle ich nun fest, dass es nicht eine blanke Brust im ganzen Film zu sehen gibt. Nicht einen Mops! Eventuell fühlt sich der Film deswegen auch wie ein Psycho-Krimi an und erweckt den Eindruck eines seriösen Films, wohingegen die meisten Gialli, und seien sie noch so unterhaltsam, im Vergleich eher wie ein Knallchargenprogramm für das schmierige und verschlagene Publikum wirken, das auf dem Weg in den Kinosaal den Hut ganz tief ins Gesicht zieht.
Fazit
„Death Walks At Midnight" oder „La morte accarezza a mezzanotte" ist ein qualitativ hochwertiger Kriminalfilm mit Anleihen beim Psychothriller, der ein Schmaus für Aug und Ohr ist und sich damit passend in das Oeuvre Ercolis einordnet. Der Giallo-Freund sollte sich allerdings darauf einstellen, dass hier das Mordmotiv keine beliebige sex-psychologische Herleitung aufweist, wodurch wir eben keinen Handschuhmörder bei der Hatz auf Frauen beobachten, die durch einen Streich des Schicksals gerade unbekleidet sind. So könnte der ein oder andere den Film als busenlose Gemeinheit empfinden, wenn er den Giallo wegen seiner Verwandtschaft zum Horror- oder vielmehr Slasherfilm wertschätzt. Ich finde jedoch, Ercoli hat erneut einen sehr eigenständigen Film geschaffen, der auf der ästhetischen Ebene ganz großes Kino ist. Inhaltlich hätte es hier und da gerne etwas spannender sein können, aber dafür wird uns die Hauptfigur wunderbar nahegebracht.