Giallo meets Poe
„Kleidung ist, was die Welt ruiniert. Nackt sind wir alle gleich!“
Nachdem Italo-Regisseur Sergio Martino 1971 in Zusammenarbeit mit Kameramann Emilio Foriscot mit „Der Killer von Wien“ und „Der Schwanz des Skorpions“ zwei Gialli gedreht hatte, von denen mindestens erstgenannter zur Oberliga des Genres zu zählen ist, folgten nur ein Jahr später mit „Die Farben der Nacht“ und „Your Vice is a Locked Room and Only I Have the Key“ zwei Kollaborationen mit Giancarlo Ferrando als für die Kinematographie Zuständigem. „Your Vice is a Locked Room and Only I Have the Key” ist der erste Giallo aus dieser Reihe, der ohne George Hilton auskommt, dafür ist im Gegensatz zu „Der Schwanz des Skorpions“ die bezaubernde Edwige Fenech wieder mit von der Partie.
Der ausgebrannte, erfolglose Schriftsteller Oliviero Ruvigny (Luigi Pistilli, „The Good, the Bad and the Ugly“) bekämpft seinen Frust mit dekadenten Partys auf seinem schlossartigen Anwesen, Alkohol und Erniedrigungen seiner Frau Irené (Anita Strindberg, „Der Schwanz des Skorpions“) und hat zudem einen ausgeprägten Komplex in Bezug auf seine verstorbene Mutter entwickelt, die er gern mit Maria Stuart vergleicht. Eines Tages werden zunächst seine Geliebte und nur kurze Zeit später das Zimmermädchen ermordet, wodurch sich die Situation weiter zuspitzt, in die mitten hinein Olivieros attraktive Cousine Floriana (Edwige Fenech, „Sklaven ihrer Triebe“) platzt. Wer hat welche nicht nur sprichwörtlichen Leichen im Keller und warum?
Schnell wird die anders besetzte Verantwortlichkeit für die Kameraarbeit deutlich, die hier deutlich unprätentiöser und weniger experimentierwütig als unter Foriscot erscheint. Wie der Spagat zwischen Edgar-Allan-Poe-Gotik, auf dessen „The Black Cat“ der Film lose basiert, und hedonistischem Giallo-Schick gelingt, ist indes durchaus respektabel. Damit ist „Your Vice is a Locked Room and Only I Have the Key” quasi das Gegenstück zu einem sonnendurchfluteten “Feel-Good-Giallo” à la „Der Killer von Wien”. Dafür sorgt in erster Linie das düstere Ambiente des Anwesens der Reuvignys, das wie ein Abbild Olivieros kranker Seele wirkt. Die geschickt konstruierte „Whodunit?“-Handlung lenkt den Verdacht zunächst komplett auf Oliviero, doch genreerfahrene Zuschauer wissen natürlich, dass das nicht die ganze Wahrheit sein kann. Und so findet sich folgerichtig auch hier die gern verwandte Dopplung als Charakteristikum, um letztendlich Edgar Allan Poe gerecht zu werden und das bekannte Motiv des Finales fulminant auszuspielen, ohne dabei an Spannung einzubüßen. Anita Strindberg spielt die geschundene, doch undurchsichtige Irené emotional, aber frei von jeglicher Übertreibung; sie beherrscht die Klaviatur der leiseren Töne – eine tolle Leistung! Weniger auf ein wechselhaftes Mienenspiel als vielmehr auf konsequente Verbitterung ausgelegt wurde Pistillis Rolle, dessen an psychischen Abgründen reicher Charakter sich nach und nach in seinem ganzen Ausmaße zeigt. Oliviero ist dabei ein Typ Mensch, über den mehr gesprochen wird, als dass er selbst spräche; aufgrund seiner Verschlossenheit erfährt der Zuschauer nicht immer sofort, was üble Nachrede und Intrige ist und was der Wahrheit entspricht. Pistilli entspricht so gar nicht dem Giallo-Sunnyboy, wie ihn beispielsweise ein George Hilton verkörpert, und passt damit perfekt in seine Rolle. Die entscheidende Nebenrolle wird Edwige Fenech zuteil, die das verschlagene Biest Floriana mimt und die sexuelle Aufgeladenheit der zwischenmenschlichen Beziehungen der Handlung auf ein neues Level hievt. Sexualität wird dabei, ganz gleich mit welchem Geschlecht, nie aus Liebe, sondern als Waffe, als Werkzeug zum Erreichen von Zielen oder schlicht zum Zeitvertreib eingesetzt. Im Zuge dessen kommt es natürlich zu einigen erotischen Szenen, die „Your Vice is a Locked Room and Only I Have the Key” den Erotik-Thriller-Anstrich verpassen, der so vielen Gialli zuteil ist – nachdem bereits in der Anfangssequenz mit eingangs erwähntem Zitat die Freizügigkeit des Films betont wird.
Die verwendeten Spezialeffekte hat man allerdings wie auch die Stunts schon besser gesehen, diese fielen doch mitunter arg durchschaubar aus. Ganz wunderbar gelang es jedoch, die schwarze, auf den vertrauenserweckenden Namen „Satan“ hörende Katze in die Handlung zu integrieren, ohne dass es aufgesetzt oder überkonstruiert wirken würde. Trotz „Satan“ wird man als den Poe-Hintergrund betreffend unbedarfter Zuschauer nicht unbedingt darauf gestoßen, welche wichtige Rolle ihr noch zuteilwerden würde. Und auch, wenn „Your Vice is a Locked Room and Only I Have the Key” zwischenzeitlich hier und da etwas die Puste auszugehen droht und man sich etwas zu sehr auf die stimmungsvolle Wirkung des Ambientes zu verlassen scheint, beweist man in den entscheidenden Momenten den richtigen Riecher für Dramaturgie und Suspense sowie ein Poe-Finale im Psycho-Thriller-Stil, das diesen Namen durchaus verdient. Musikalisch untermalt wird Martinos Film von einem geschmackvollen Spinett- und Streicher-Soundtrack Bruno Nicolais, der mit der Handlung korrespondierend ebenfalls zwischen zwei Welten wandelt, tendenziell jedoch eher der getragenen Schwere des Gothic-Thrill-Elements verpflichtet klingt.
Aufgrund der starken Konkurrenz nicht nur des Genres, sondern auch innerhalb Martinos Œuvre gebe ich nach meiner Erstsichtung hochverdiente 7/10 Punkte, gestehe dem Film aber zu, Potential nach oben zu besitzen und behalte mir eine entsprechende Korrektur zu einem späteren Zeitpunkt vor.