Eine Kritik von Psst! (Bewertung des Films: 6 / 10) eingetragen am 27.03.2021, seitdem 161 Mal gelesen
Schlafmangel fördert hier mal ausnahmsweise die Konzentration - Plausibility (Not That Much) Missing Part 14
Schlaflos im La-Le-Lu-Land
Gepackt von inniger Furcht schob ich Argentos „Sleepless" von 2001 als nachmittagliche Beiläufigkeit in den Player, wohl wissend auf welch unterirdischem Niveau der Regisseur drei Jahre später mit „The Card Player" landen sollte. Die Erwartungshaltung war also gering und während des zweiten Mordes wurde sie noch weiter nach unten korrigiert, denn offensichtlich wurde bei meiner Version (FSK 16) grob die Schere angesetzt. Hände weg vom Grabbeltisch!
Nach dem Blick auf schnittberichte.com sagte ich mir, dass nun eh alles egal sei und ließ den Film laufen und vorweg: Der Film ist lange nicht so mies wie Argentos zusammengeklaubter Beitrag von 2004.
Wenngleich die Kamera hier funktionaler eingesetzt wird, als es Argento gerne in seiner Blütezeit tat, ist „Sleepless" technisch insgesamt auf gutem bis überdurchschnittlichem TV-Niveau abgelichtet worden und bietet hier und da argento´eske Verspieltheiten, obwohl man natürlich die im Verhältnis zu seinen Bilderorgien aus den Siebzigern schmalere Kasse deutlich merkt. Der Film war geplant als eine Direct-To-Video-Produktion und lief nur in Italien im Kino. Die Zeiten der großen Budgets durch internationale Auswertungen, sogar in den USA, waren definitiv vorbei. Aber für von Argento typische Detailaufnahmen von technischer Apparatur oder ungewöhnliche Kamerabewegungen hat es hier und da immerhin noch gereicht.
Allerdings gibt es auch auch eine Szene, die perspektivisch so merkwürdig eingefangen wurde, dass die räumliche Orientierung aus dem Lot kommt, was angesichts der recht konventionellen Ausgangslage (drei Personen an einem runden Esstisch) wie schlecht austarierte Kameraarbeit wirkt. Eine künstlerische Absicht scheint nicht dahinterzustecken, aber bei Argento weiß man ja nie.
Freunde des italienischen Genrekinos wird es freuen, dass der Plot hier gewissermaßen in seiner Grundausrichtung direkt aus der Hochzeit des Giallos hätte stammen können und sich einer erzwungenen Modernität verschließt. Ein Mord in der Vergangenheit, der in der Gegenwart des Films zu einer Kette von psycholigisch hergeleiteten Morden führt, die genretypisch mit äußerster Brutalität durchgeführt werden, um die Identität des Mörders im Verborgenen zu halten - So schlicht geht Giallo! Eine Neuerung würde ich in dem stärkeren Fokus auf die Kernhandlung ohne große Nebenschauplätze sehen, denn diese Klarheit vermisste man ja in den großen Filmen Argentos häufig und das, was hier optisch eingespart wird, gleicht der Film durch eine bessere Verständlichkeit wieder aus, obgleich hier keine Nerven zerfetzt, keine Armhaare aufgerichtet und kein kalter Schauer irgendwo rüber gejagt wird.
Auch die Figurenzeichnung bleibt sich treu und zweidimensional, damit auch ja niemand überfordert wird. Apropos überfordert: Wie üblich wird die Polizei hier grundsätzlich als unterbelichtet dargestellt:
„Merkwürdig. An einer Hand hat sie lange Nägel, an der anderen sind sie bis zum Nagelbett abgeschnitten."
Zitat eines Polizisten, der eine weitere Frauenleiche entdeckt und sich dem Wortlaut nach darüber wundert, warum sich das Mädchen ihre Nägel so ungewöhnlich zurecht gemacht hat. Das könnte aber auch an einer schlechten Synchro liegen. Zumindest wirken einige Polizisten so, als müssten sie nach der Schicht ins betreute Wohnen.
Jedoch hat der Film, und das ist hier eine Besonderheit, mit Max von Sydow einen zwar pensionierten aber ja professionellen Hauptermittler parat, der die polizeiliche Inkompetenz ausgleicht, indem er die Fälle einer sorgfältigen Analyse unterzieht und durch nachvollziehbare Schlüsse dem Täter auf die Spur kommen möchte. Auffällig ist natürlich, dass der Polizist zunächst außer Dienst sein muss, bis er zur Lösung gelangt und den entscheidenden Hinweis entdeckt. Ein aktiver Polizist ist quasi per Naturgesetz dazu im Giallo nicht imstande. Allerdings ist der Privatermittler im Moment der entscheidenden Erkenntnis zum Totlachen belustigt. Hätte er nur seine Glycerin-Tabletten griffbereit gehabt...
Bei der Detektion erweist sich der Film somit erzählerisch solider als es die Anfangsszenen vermuten oder vielmehr befürchten lassen, in denen die ersten beiden Opfer sich in einem Moment verständlich Verhalten („Hol mich ab, wir müssen zur Polizei"), um dann im nächsten Moment, der Dramaturgie der Szene geschuldet, an ihrer Blödheit zu sterben („Ich habe ein sicheres Versteck, schaue aber trotzdem mal nach, was der Mörder so treibt"). Wie der Mörder übrigens am Fahrgeräusch des Zuges am Telefon erkennt, dass Opfer Nr. 1 im Zug sitzt, um dann zwei Minuten später an Bord desselben Zuges zu sein, der aber gar nicht angehalten hat, wird wohl immer das Geheimnis der vermutlich an anfänglicher Demenz leidenden Autoren Argento und Ferrini bleiben.
Aber man sieht: „Non ho sonno" ist ein typischer Giallo und ein typischer Argento, der bekannte Versatzstücke (Kinderlied und mechanische Puppe aus „Profondo Rosso", Selbsterklärung des Mörders und die Beseitigung eines erpresserischen Mitwissers aus beispielsweise „Vier Fliegen auf grauem Samt", eine Erinnerung, die der Schlüssel zur Lösung ist aus... allen Argentos?) aufgreift und fröhlich am Schnürchen aufzieht und so zur klassischen Form italienischen Genrekinos zurückfindet, ohne jedoch qualitativ zu den Höhepunkten des Genres aufzuschließen.
Gut gefallen hat mir die musikalische Untermalung, was angesichts der Tatsache, dass „Goblin" hier eine direkte Anknüpfung an ihre altbekannten Tonfolgen finden, nicht weiter verwundert. Bis auf die steril klingende E-Gitarre hätte der Soundtrack auch durchaus 25 Jahre auf dem Buckel haben können.
Der Vergleich mit dem bebilderten Schnittbericht lässt mich am Ende des Films übrigens zum Schluss kommen, dass weniger manchmal auch mehr sein kann, wenngleich man natürlich immer die ungeschnittene Version eines Films bevorzugen sollte, auch wenn die Morde in der ungeschnittenen Version ästhetisch trotz ihrer grafischen Härte nicht an „Profondo Rosso" oder „Suspiria" heranzureichen scheinen.
Lobend sei an dieser Stelle noch erwähnt, dass die Synchronisation hier bis auf einige Ausnahmen (Siehe oben!) durchaus gelungen ist, wenn man sie mit dem erst 1991 synchronisierten "Profondo Rosso" und "The Card Player" von 2004 vergleicht.
Kritisch sei an dieser Stelle noch erwähnt, dass die musikalische Untermalung der Szene, in der Kleinwüchsige bei der Polizei vorstellig werden müssen, nichts anderes als Diskriminierung ist. Die sieben drolligen Zwerge...
Fazit
Der Vorteil von „Sleepless" liegt in seiner überraschungsarmen Machart, was zunächst verwunderlich klingen mag. Angesichts der inhaltlichen Brüche in Argentos besseren Filmen ist man aber froh, dass auf die Versuche, zu täuschen und zu kaschieren verzichtet wurde, da dies schlicht der erzählerischen Stringenz zugute kommt, an der es den klassischen Gialli eben oftmals mangelte. Natürlich gelangt Argento hier mit dem schmaleren Budget kein Bilderopus und insgesamt heißt es „Form Follows Function" statt „Style Over Substance", was unterm Strich einen wenig überraschenden Neo-Giallo auf edlem TV-Niveau bedeutet, der als kurweilige Reminiszenz an die Hochzeit italienischen Genrekinos recht gut funktioniert und solche Beiträge wie "Opera" mit seiner ausgeprägteren Kohärenz in die Tasche steckt.. Und so hat mich dieser vorhersehbare und in seiner Machart und Produktion eher kleine Film dann doch überrascht. Schon verrückt!
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