Eine Kritik von Vince (Bewertung des Films: 6 / 10) eingetragen am 08.01.2021, seitdem 398 Mal gelesen
Es war einmal vor langer Zeit… aber was war da eigentlich? Tja, wessen Geschichte Jess Franco mit „Die Nonnen von Clichy“ überhaupt erzählen will, lässt sich nicht mit Sicherheit sagen. Ist es eine Geschichte über die Rache einer als Hexe stigmatisierten alten Frau, die nach wenigen Filmminuten auf dem Scheiterhaufen verbrannt wird? Ist es die Geschichte der Unterdrückung weiblicher Selbstentfaltung innerhalb der Mauern eines mittelalterlichen Klosters? Liegt das Augenmerk auf der Verurteilung der Inquisition? Haben wir es womöglich sogar mit einem Fantasy-Abenteuer zu tun, das den Inquisitoren indirekt Absolution für ihr gnadenloses Handeln erteilt? Oder sind all diese Lesarten unzutreffend, weil es in Wirklichkeit nur um primitive Fleischbeschau geht?
Die Antwort auf diese Fragen verändert von Szene zu Szene ihre Natur, als interessiere Franco alles davon und auch wieder nichts. Damit man einen Anhaltspunkt hat, worin seine wahren Absichten liegen könnten, lässt sich zumindest das „Wo“ schon mal eingrenzen. Produziert wurde überwiegend in Portugal, das verraten die Sets durch ihre beiläufigen Details, von der Bauart der Zimmer bis zum Azulejo aus handbemalten Fliesen im Szenenhintergrund. Beileibe nicht zum ersten und auch nicht zum letzten Mal sollte der Spanier in seinem Nachbarland die Kamera aufstellen, was darauf schließen lässt, dass es ihm nicht unbedingt darum ging, die Drehorte nach der Handlung auszusuchen. Immerhin behauptet die Story je nach Synchronfassung von sich, in Frankreich oder England stattzufinden. Passen sollten die Locations also in erster Linie nicht zum Skript, sondern vielmehr zu den Arbeitsbedingungen während des Drehs, zum persönlichen Harmoniebefinden des Regisseurs also.
Das mag zunächst egoistisch klingen. Allerdings bildet das vom Überfluss geprägte Oeuvre des Jess Franco eben gerade durch die schamlose Missachtung historischer und stilistischer Homogenität ein eigenes wertvolles Paralleluniversum, dessen Gesetzmäßigkeiten nur mehr Nachdruck bekommen sollten, je sorgloser er in seinen späteren Arbeiten mit dem Regie-Handwerk schluderte. „Die Nonnen von Clichy“ stammt aber noch aus einer Zeit, als es ihm gelang, ausgewählte Einstellungen mit der Beschaffenheit einer Arthaus-Produktion zu versehen und in ganz besonderen Augenblicken gewisse Autorenfilmer-Qualitäten zu beweisen… verströmt in Wolken sinnhafter Erkenntnis, die sich zumeist ebenso schnell wieder verflüchtigten, wie sie sich gebildet hatten.
Franco erreichte zwar auch in seiner Hochphase nie ganz den kunstvollen Ausdruck, der den versierten Zeitgenossen zu eigen war, welche in der Fallhöhe vom Arthaus in die Niederungen blasphemischer Provokation einen besonderen Reiz entdeckten – wie etwa Walerian Borowczyk oder eben Ken Russell, der mit „Die Teufel“ zwei Jahre zuvor die Legitimation für vorliegendes Werk lieferte. Jedoch gelingt auch Franco mit ein wenig Konzentration manchmal das, was für einen Ken Russell Teil der natürlichen Signatur zu sein scheint: Eine durchgängige Stimmigkeit, die Schauspiel und Dialog, Kamera und Schnitt, Bildausschnitt und Kulisse zu einem einheitlichen Ganzen verknüpft. Die Unterhaltung der beiden Schwestern auf dem Klosterhof gehört zu diesen seltenen Momenten. Es handelt sich um ein nüchternes Gespräch, dessen fatale Konsequenzen sich noch gar nicht in den vernebelten Gesichtern der Darstellerinnen ablesen lassen, weil sie nur allmählich erahnen, welchen inneren Dämonen sie da gerade durch ihre gegenseitige Beichte geweckt haben.
Doch bleibt der Dämon auch im Verborgenen, wie man es von einem geschmackvoll durchkomponierten Werk erwarten würde? Mitnichten. Kurze Zeit später verrenkt sich die Besessene nackt in ihrem Bett, rollt sich in einer viel zu langen Einstellung hin und her bei der unbeholfenen Simulation des Gotteslästerlichen. Während die Kamera ihre vornehme Nüchternheit aufgibt und unnötige Zooms auf Körperteile vollführt, gerät die Darstellerin in eine Zeitschleife, die ihr endlos vorgekommen sein muss. Sie möchte nur der Regieanweisung folgen, möglichst reizvolle Posen einzunehmen, doch der Regisseur ruft einfach nicht den Schnitt aus, also muss sie sich weiter räkeln, bis nach quälend langen Sekunden im erotischen Leerlauf endlich doch der Szenenwechsel eingeleitet wird. Ähnlich wird mit der Folterung einer Dame verfahren, der mit Feuer und Metall ein Schrei nach dem anderen entlockt wird, so oft, dass die deutsche Synchronfassung sich nicht weiter zu helfen weiß, als den gleichen Schrei immer wieder zu duplizieren. Lust und Schmerz in einer Ellipse der Wiederholung miteinander verknotet, so wie überhaupt die Wiederholung das Einzige ist, was dem Film annähernd eine Form verleiht, begonnen bei der dreiteiligen Hexenprüfung bis zur romantischen Zweisamkeit zweier Liebender bevorzugt weiblichen Geschlechts. So schafft man Struktur.
Eine drastische Schwankung des Niveaus binnen weniger Minuten, möchte man da meinen, nur sind es mehr als Schwankungen, es sind Kontraste. Assoziativ verbindet Franco Elemente der Sexploitation mit denen des Historienfilms, er wechselt mehrfach das Thema wie ein ungeübter Redner, eigentlich mehr noch: Er komponiert zu einer dissonanten Notenfolge aus, was immer ihm gerade in den Sinn kommt. Die Vorbilder aus Film und Literatur, derer er sich bedient und die er offenkundig wertschätzt (alleine diese Rollennamen: Renfield, de Winter…), folgen fast immer festen Regeln, die für ihn letztlich keine Hürden darstellen. Einerseits bewegt er sich im Strom des boomenden Hexenjäger-Subgenres, zu dem er vorher bereits selbst einen Beitrag geleistet hatte („Der Hexentöter von Blackmoore“, 1969). Andererseits gönnt er sich den Spaß, den grundsätzlichen Anspruch auf historische Authentizität im Genre mit völlig hanebüchenen Überblendungs-Spezialeffekten zu verhöhnen, die nicht nur den billigen 40er-Jahre-B-Fortsetzungen der Universal-Horrorklassiker Konkurrenz machen, sondern zugleich dafür sorgen, dass die vermeintlich zentrale These des Films, jene nach der Grausamkeit willkürlicher Verurteilungen, hinfällig wird. Der moralische Kompass des Films schlägt wild in alle Richtungen aus, so dass man keiner Richtung trauen kann. Wer jedenfalls so sorglos wie Franco mit Realismus und Phantastik jongliert, und das noch nicht einmal besonders fundiert, dem kann es nur um das Austesten filmischer Stilmittel gehen, weniger um eine wie auch immer geartete inhaltliche Substanz.
Wie auch immer man ihm das auslegen möchte, es würde zweifellos etwas fehlen ohne all die Anachronismen. Beschränkte sich Franco darauf, ein historisch akkurates Portrait der Inquisitionszeit zu erschaffen, so würde er vermutlich dadurch scheitern, ein behäbiges Melodram geschaffen zu haben, das kaum mehr vorzuweisen hätte als ein paar günstig hergestellte Kostüme und ein paar Tabubrüche in trüber Herbstoptik. Die Warzen im Gesicht der Hexe wären vielleicht etwas weniger auffällig gewesen, das Skelett wäre im Physikraum geblieben, der Teufel wäre in seiner unsichtbaren Form verblieben. Das unmittelbare Auftauchen eines mephistophelischen Jünglings in Strumpfhosen und die mit ihm verbundene Phantastik lockern das Treiben aber beinahe noch mehr auf als die Freizügigkeit der Darstellerinnen. Selbiges könnte man von dem zeitgenössischen Jazz-, Pop- und Rock-Soundtrack behaupten, der sich zwischen die Kammerzofenbeschwichtigungsklänge schmiegt und das Vergangene so abseitig untermalt. Selbst wenn Franco derartige Freiheiten hauptsächlich für sich selbst eingeplant hatte, so können sie auch vom Publikum in Anspruch genommen werden, wenn es nur dazu bereit ist, alles Denkbare zu erwarten.
Die Ideologiekritik dürfte demzufolge mit einer Mischung aus Verzweiflung und Irritation auf dieses krude Machwerk blicken und sich am Selbstzweck des Voyeurismus aufhängen, den die Regie mit einem Hang zur Sensationslüsternheit verströmt. Schon in dem bipolaren Ansatz der Nunsploitation, Religion und Sexualität gegeneinander auszuspielen, liegt das Reißerische verborgen, das pauschale Ablehnung auf sich zu ziehen neigt. Dabei ist „Die Nonnen von Clichy“ gerade in seiner figurativen Nähe zu weitaus gehobeneren Machwerken mit religionskritischem Kern von spannenden stilistischen Kontrasten bestimmt, die durch das Nebeneinander formal beachtlicher sowie völlig entgleister Abschnitte eine eigene Dynamik bekommt.
(5.5/10)
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