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Schwarzer Engel (1976)

Eine Kritik von Stefan M (Bewertung des Films: 8 / 10)
eingetragen am 18.02.2007, seitdem 1220 Mal gelesen



Es gibt solche Filme, die Jahre, wenn nicht Jahrzehnte benötigen, bis sie als das erkannt werden, was sie sind – nämlich Meisterwerke. Hitchcock hatte das selbst am eigenen Leibe erfahren müssen mit einem seiner persönlichsten Werke, dem Seelendrama „Vertigo“, von der zeitgenössischen Kritik noch als Unsinn abgetan und erst allmählich in den 70ern frenetisch in den Himmel gelobt.

Dann gibt es den einen oder anderen Film, der bis heute darauf wartet, als das erkannt zu werden, was er ist – nämlich ein (wenigstens kleines) Meisterwerk. Womit wir bei „Obsession“ wären. Der hat mittlerweile über dreißig Jahre auf dem Buckel und kommt doch immer noch nicht über den Status eines Geheimtips hinaus. Dabei wurde er von einem nicht gerade Unbekannten namens Brian de Palma inszeniert und es stimmt irgendwie nachdenklich, daß seine ziemliche Nicolas-Cage-Gurke „Spiel auf Zeit“ massenweise mit Ausstrahlungen im Free-TV belohnt wird, während man „Obsession“ in der Regel maximal einmal in zwei Jahren, im Nachtprogramm versteckt, mühevoll erspähen kann. Hinter de Palmas Karriere-Highlights „Carrie“ und „The Untouchables“ muß sich dieses schmucke Stück bestimmt nicht verstecken.


Hierzu muß klargestellt werden: Ja, der Plot ähnelt frappierend dem von „Vertigo“, der mehr als offensichtlichen Inspirationsquelle für die Entstehung von „Obsession“. Nach einer Hochzeitsfeier werden Elizabeth (Géneviève Bujold) und Amy (Wanda Blackman), Ehefrau und Tochter des reichen Geschäftsmannes Michael Courtland (Cliff Robertson), entführt und kommen in Folge einer völlig verpatzten Rettungsaktion der Polizei bei einem Autounfall um. 16 Jahre danach trifft Michael in Florenz in der Kirche, in der er Elizabeth einst kennenlernte, auf die Restauratorin Sandra (auch Géneviève Bujold), die seiner verstorbenen Gattin wie aus dem Gesicht geschnitten ist. Daß er in der „Wiederauferstehung“ Elizabeths in Person von Sandra die Chance sieht, seine ihn auffressenden Schuldgefühle hinter sich zu lassen, all das kennen wir in sehr, sehr ähnlicher Form von Hitchcock, was dem Regisseur des hiesigen Films nicht wenige empörte Plagiatsvorwürfe einbrachte. Wer jedoch beide Filme genau miteinander vergleicht, kann eigentlich zu gar keinem anderen Schluß kommen, als daß de Palma in beeindruckender Weise dem Thema sehr wohl seinen persönlichen stilistischen Stempel aufdrückt, ohne den „Master of Suspense“ plump zu imitieren.


Der wesentliche unübersehbare Unterschied: In „Vertigo“ bedurfte es vieler erklärender Dialogszenen, um die Gedanken und Gefühle der Hauptfiguren Scottie und Madeleine/Judy auszudrücken. Schrader und de Palma erzählen ihre Geschichte hingegen fast ausschließlich durch die Bilder von Vilmos Zsigmond und die Musik von Bernard Herrmann. Das gesprochene Wort verkommt zur Nebensache – ich bin fast geneigt zu sagen: zur lästigen Pflichtaufgabe –, und das kann es auch problemlos, denn unter der Regie von de Palma schwingen sich Zsigmond und Herrmann zu oscarreifen Spitzenleistungen empor und verwandeln „Obsession“ in ein audiovisuelles Gesamterlebnis, wie man es nur selten sieht, in ein Erlebnis, das einem eine Gänsehaut nach der anderen über den Körper jagt.


Das eigentlich Wesentliche, die Handlung, tritt dadurch über weite Strecken total in den Hintergrund zurück. Unsere Sehgewohnheiten haben sich in einer Zeit, in der zappelige Techno-Schwenks und blitzartige Schnittarbeit zur Gewohnheit geworden sind, derart verändert, daß die in Schneckengeschwindigkeit voranschreitende Entwicklung der Geschichte mit ihren betörend-ruhigen Bildern und der umso voluminöseren musikalischen Begleitung (oftmals erdrückend-lauter weiblicher Chorgesang, so kraftvoll auf die Gehörgänge des Zuschauers einprasselnd, daß man teilweise erschlagen zu werden droht), die fast jede Szene regelrecht zubombt, eine richtiggehend befremdende Sogwirkung entfacht. Unzählige stumme und im Prinzip ereignislose Sequenzen, bestehend aus unendlich gemächlichen Kamerafahrten durch die verschiedenen Szenerien, als hätte de Palma alle Zeit der Welt für diesen am Ende nur knapp über 90 Minuten langen Film, prägen vor allem den Mittelteil von „Obsession“ und dürften diejenigen, die hier einen blutdruckerhöhenden Thriller im Stile von „Dressed to Kill“ (wo de Palma allerdings streng genommen auch nicht ein wesentlich höheres Tempo vorlegt, dafür aber reichlich brutale Schocks einstreut) erwarten, sanft in den Schlaf wiegen. Wer bereit ist, in die Welt des Films einzutauchen, dürfte jedoch emotional stärker mitgerissen werden, als ihm lieb ist.


Um diesen Zustand beim Betrachter zu erreichen und bis zum Schluß aufrechtzuerhalten, bieten de Palma und Zsigmond allerhand optische Leckerbissen auf: Die Entscheidung, alle Szenen des Entführungsplots zu Beginn in einen unwirklichen nebligen Schleier zu hüllen, wirkt Wunder und gibt „Obsession“ den Look eines romantischen Traums, freilich ohne Happy-End. Auch danach wird immer mal wieder auf diesen Kniff zurückgegriffen, etwa wenn Michael das erste Mal Sandra in der Kirche erblickt. Traum und Realität scheinen in diesem Moment zu verschwimmen, wie bei Hitchcock, als Judy nach ihrer vollendeten Verwandlung in Madeleine im grünen Licht einer Neonreklame auf Scottie zugeht.


Wunderschön anzuschauen auch die Sequenz, in der Michael kurz nach ihrem Tod am pompösen Grab seiner Familie kauert. Es folgt eine 360°-Drehung der Kamera, und als jene an ihren Ursprungspunkt zurückkehrt, sehen wir erneut Michael, unwesentlich gealtert. Eine Texteinblendung deutet darauf hin, daß innerhalb ein und derselben Einstellung mittlerweile 16 Jahre vergangen sind, doch die Zeit scheint stehengeblieben zu sein. Michaels melancholisches Gesicht, sichtlich gezeichnet, sagt uns alles, was wir wissen müssen: Die Geschichte mag einen gewaltigen Zeitsprung gemacht haben, unsere Hauptfigur hat sich währenddessen nicht verändert. Noch immer hat sie den Tod ihrer Liebsten nicht bewältigt und seitdem die Freude am Leben nicht wiedergefunden. Ein Häufchen Elend, fürwahr. Bis Sandra in sein Leben tritt, die er schließlich Hals über Kopf heiraten möchte, ohne das Geheimnis zu kennen, das sie mit sich herumschleppt.


In diesem Punkt variiert „Obsession“ ebenfalls von „Vertigo“. Während wir bei Hitchcock relativ früh vor vollendete Tatsachen gestellt werden, stellt man sich hier bis eine Viertelstunde vor Schluß die Frage, ob wir es bei Michaels Begegnung mit der elizabethgleichen Sandra mit einem übersinnlichen Ereignis zu tun haben oder ob es dafür eine logische Erklärung gibt. Mit der Enthüllung der Wahrheit beginnt der Film dann auch kurz vor der Ziellinie tempomäßig auf die Tube zu drücken und hetzt den Zuschauer durch ein Wechselbad der Gefühle, daß einem Hören und Sehen vergeht. Das Finale in der Flughafenhalle ist dabei der absolute Höhepunkt (und für mich unvergeßlich), wo de Palma alle Geschütze auffährt: vernebelte Bilder, Extremzeitlupe, eine schnittfreie und minutenlange Kamerafahrt um das sich umarmende Paar, die wenige Monate später mit der Tanzszene in „Carrie“ perfektioniert werden sollte. Ganz großes Emotionskino, untermalt von einem der besten Herrmann-Scores.


Was das Drehbuch betrifft, das sich de Palma und Paul Schrader („Taxi Driver“) ausdachten, das kann man fraglos nicht unbedingt als das beste auf diesem Erdball bezeichnen. Darüber mag man sich (und sollte man sich auch) nicht während des Films seine Gedanken machen, denn das ist natürlich rückblickend ziemlicher Kokolores. An der hinreißend schlampig durchgeführten Polizeiaktion zur Befreiung der Geiseln zu Beginn hätte Hitchcock, der die Bullen in seinen Filmen eigentlich nie gut aussehen ließ (als Ausnahme von der Regel fiele mir spontan lediglich „Bei Anruf Mord“ ein), bestimmt seine helle Freude gehabt (bzw. er hatte es vielleicht auch, weil „Obsession“ noch zu Hitchcocks Lebzeiten entstand) – und vor allem über den (zweiten) Plan des Drahtziehers der Entführung(en) wollen wir mal lieber gar nicht erst nachdenken. Da „Obsession“ jedoch in die „Die Form siegt über den Inhalt“-Rubrik fällt, läßt sich das ausnahmsweise großzügig übersehen – sogar von mir, der sonst keine Gelegenheit ausläßt, um sich über Unwahrscheinlichkeiten im Skript zu echauffieren. (Und bitte fair bleiben: Selbst die eingefleischtesten Hitchcock-Fans müssen zugeben, daß es bei „Vertigo“ hin und wieder gewaltig im Logikgefüge quietscht.)

Noch kurz zu den Schauspielern: Nicht wenige bemängeln Cliff Robertsons sparsame Mimik und legen es dem Mann als hölzernes Schauspiel aus, womit man ihm Unrecht tut. Dabei interpretiert er seine Rolle genau richtig und gibt der Figur die nötige Glaubwürdigkeit, soll er doch einen Menschen darstellen, dem plötzlich alles, was er liebte, genommen wurde. In Folge dessen leidet er, wie oben dargelegt, still in sich hinein, zeigt äußerlich auch in Sandras Gegenwart keine Gefühlsregung, zu groß ist noch der Schmerz, zu wenig verheilt die Wunden. Die Trauer spiegelt sich in seinem ausdruckslosen Gesicht wider, Emotionsausbrüche würden gar nicht zu diesem gebrochenen, bestimmt fünfzig Jahre alten Mann passen. Géneviève Bujold hält sich indes fern jeden Kreuzfeuers der Kritik auf, welcher Regisseur sie auch in seinen Cast aufnahm (und das kam bis heute, wie ich im „Coma“-Review schon sagte, leider viel zu selten vor), konnte sich sicher sein, höchste Qualität geliefert zu bekommen. John Lithgow (arbeitete auch in „Blow Out“ mit de Palma zusammen) hat eine Nebenrolle inne und spult gewohnt routiniert sein Programm ab.

Ich kann als Fazit eigentlich nur wiederholen, was ich im Laufe der Kritik äußerte: „Obsession“ bleibt dem Betrachter bestimmt nicht wegen seines Inhalts nachhaltig in Erinnerung, sondern wegen seiner wunderschönen Bilder und des wahrhaft meisterlichen Herrmann-Soundtracks, der die visuelle Kraft dieses Werks noch einmal potenziert. So setzte der Regisseur sein erstes großes Ausrufezeichen und schuf einen in der Kinohistorie zwar bedeutungslosen, jedoch gleichfalls gnadenlos unterschätzten Film, der noch ganz ohne de Palmas spätere Gewalteskapaden auskommt. 9/10.


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