„Achterbahnfahrt mit Dissonanzen oder Spektakel um jeden Preis"
Der zweite Akt oder das Herzstück eines Dramas ist häufig das dunkelste und düsterste Kapitel der Geschichte. Oft hinterlässt dieser Teil den nachhaltigsten Eindruck und verleiht der Handlung mehr Tiefe und Bedeutsamkeit. Ähnliches hatte wohl auch Produzent und Ideenlieferant George Lucas im Hinterkopf, als es an die Fortsetzung des weltweiten Blockbusters Jäger des verlorenen Schatzes ging. Zumal er die Stichhaltigkeit dieser Theorie bereits selbst erfolgreich vorexerziert hatte. Der recht düstere und überraschend tiefgründige zweite Teil seiner „Ur-Star Wars-Trilogie" (Das Imperium schlägt zurück) gilt Fans wie Kritikern bis heute gleichermaßen als bester Film der Weltraumsaga. Regisseur Steven Spielberg hatte von Anfang an Bedenken hinsichtlich der von Lucas geforderten Tonverschiebung, konnte sich aber nicht durchsetzen. Am Ende sollte er recht behalten. Indiana Jones und der Tempel des Todes ist letztlich der schwächste und unstimmigste Film der Trilogie geworden. Die Ursachen sind vielschichtig und keineswegs ausschließlich den oftmals genannten Horrorelementen geschuldet.
Zunächst einmal ist die Indiana Jones-Trilogie alles andere als eine epische, fortlaufende Geschichte. Jeder Film funktioniert problemlos für sich alleine und ist in sich abgeschlossen. Darüber hinaus bietet die ganze Anlage keinerlei Spielraum für dramaturgische Entwicklungen bezüglich auftretender Personen oder eines größeren Handlungsrahmens. Indiana Jones hangelt sich in beinahe pausenloser Action von einem irrwitzigen Abenteuer zum nächsten. Die Grundidee der Fortsetzung, die aus einem Dorf entwendeten heiligen Sankarasteine zurück zu bringen und den Verbleib der verschleppten Dorfkinder zu klären, wirkt wie eine lieblos zusammengeschnitzte Alibistory für die zahlreichen geplanten Action- und Horrorszenen. Das genretypische und den ersten Film prägende wie vorantreibende Element der archäologisch motivierten Schatzsuche wird hier zugunsten des ultimativen Spektakels schnöde fallen gelassen. Indiana Jones und der Tempel des Todes ähnelt damit noch mehr einem Comic als der Vorgänger. Ein mittlerer Akt im klassischen Sinn ist daher schon von vornherein blanker Unsinn.
Ein weiteres Problem ist die seltsame Entscheidung, die Fortsetzung als Prequel anzulegen. Der Film hätte genauso gut nach Jäger des verlorenen Schatzes spielen können, zumal historische Aspekte bei Indiana Jones ohnehin nur schmückendes Beiwerk sind. Gerade was die Vertiefung des Hauptcharakters anbelangt, ging die Prequel-Idee voll nach hinten los. So spricht Indiana Jones in Raiders im Zusammenhang mit der Bundeslade und ihren Kräften abfällig von Zauberei und abergläubischem Hokuspokus: „Ich glaube nicht an den schwarzen Mann." Allerdings macht er im zweiten Film - der ja früher spielen soll - selbst ausgiebigst von Zauberkräften Gebrauch und wird mit allerlei schwarzer Magie konfrontiert. Seine Haltung aus Raiders wird damit ad absurdum geführt. Eine stringente und glaubhafte Charakterentwicklung sieht jedenfalls anders aus.
Das an sich positive und ambitionierte Anliegen der Macher nur keinen offensichtlichen Abklatsch des ersten Films zu drehen, wirkt letztlich krampfhaft und unharmonisch. Raiders ist ein Film aus einem Guss. Das Motiv der Schatzsuche zieht sich wie ein roter Faden durch die Handlung, die geschickt Spannung und Tempo bis zum Höhepunkt steigert. Das ist klassisches Abenteuerkino par Excellenze - in einem neuen, aufregenden Gewand. Temple of Doom dagegen ist eine unausgegorene Mischung aus wahnwitzigen Actionszenen, grausamen Horrorsequenzen und albernen Slapstickeinlagen, die sich nie zu einem homogenen Ganzen fügen wollen. Spielberg gibt heute unumwunden zu, dass er die auch in seinen Augen zu expliziten Gewaltdarstellungen durch alberne Gags „entschärfen" wollte. Leider hat er damit aber den Kontrast zusätzlich verschärft und die überzogenen Brutalitäten und Grausamkeiten des Films erst recht heraus gestellt. Da werden Hunderte Kinder verschleppt und versklavt und die ebenso obskuren wie grausamen Rituale des längst ausgestorbenen Thugkults in epischer Breite zelebriert. Der in diesem Zusammenhang negative Höhepunkt ist die Szene in der Hohepriester Mola Ram (Amrish Puri) einem Menschenopfer bei lebendigen Leib das Herz herausreißt, welches in seiner Hand Blut triefend weiterschlägt. Hier verlässt der Film endgültig das eher leichte Abenteuergenre und mutiert zum grausamen Horrorschocker.
Diese Szenen werden konterkariert mit einem völlig geschmacklosen und auf billige Ekeleffekte setzenden Bankett im Palast von Pankot, bei dem die Gäste allerlei widerliches Getier vorgesetzt bekommen (u.a. gekühltes Affenhirn, lebende Minischlangen und gekochte Riesenkäfer). Das ganze wirkt in seiner offenkundigen Lächerlichkeit und albernen Fremdenfeindlichkeit ähnlich übersteigert und deplaziert wie die oben erwähnten Gewaltszenen. Die Quittung war eine eigens für Temple of Doom neu eingeführte Alterfreigabereglung der amerikanischen Filmbewertungsstelle. Trotz einiger Schnitte war er damit der erste Film, der mit einem PG-13 Rating versehen wurde.
Im Nachhinein erscheint es jedenfalls wenig verwunderlich, dass die Filmcrew in Indien keine Drehgenehmigung bekam und nach Sri Lanka ausweichen musste (die zuständigen indischen Regierungsstellen hatten das Script gelesen und auf massiven Änderungen bestanden). Die Inder erscheinen in Temple of Doom als klagendes Hinterwäldlervolk, das nach wie vor vom Aberglauben beherrscht wird, grausame Rituale praktiziert und seine Gäste mit möglichst ekelhaften Speisen brüskiert. Der Vorwurf eines recht unverhohlenen Rassismus war dann nach der Premiere auch recht häufig zu hören. Spielberg selbst ist die eindimensionale und karikaturhafte Darstellung der Inder heute ebenso peinlich wie das klischeehafte Bild der Nazis in den beiden anderen Filmen. Letzteres war allerdings erheblich simpler und plakativer angelegt und schadet den Filmen weit weniger, zumal es auch zu deren Comic-artigen Ton passt.
Darüber hinaus mussten sich Spielberg und Lucas völlig zu Recht den Vorwurf des Chauvinismus gefallen lassen. Die nach Spielbergs Hund benannte Nachclubsängerin Willie Scott (Kate Capshaw) ist eine dümmliche Zicke, die den Helden vornehmlich durch permanente Schreianfälle nervt. Den ganzen Film hindurch wirkt sie wie ein nölender Klotz am Bein des zupackenden Archäologieprofessors. Selbst Indys erst zwölfjähriger Reisegefährte Short Round (Key Huy Quan) verdreht ein ums andere Mal die Augen ob Willies ausgeprägter Tollpatschigkeit und ständiger Nörgelei. Sie ist zudem völlig hilflos und überlebt das Abenteuer nur aufgrund des Beschützerinstinkts ihres starken männlichen Begleiters. Ihre unglaubwürdige Romanze springt wild zwischen peinlichem Machogehabe (Indiana Jones), kleinmädchenhaften Augenaufschlägen (Willie) und albernen Zänkereien hin und her. Der Kontrast zur ebenfalls keineswegs unabhängigen und selbstständigen Frauenfigur aus Teil eins (Karen Allen als Marion Ravenwood) könnte kaum krasser sein.
Letztlich ist alles an Temple of Doom maßlos überzogen und selbst für die bewussten und deutlichen Anleihen an Superhelden-Serials und der James Bond-Reihe des Guten eindeutig zu viel. Das gilt vor allem auch für das Herzstück des Films, die Actionsequenzen. Was Indiana Jones und seine beiden Mitstreiter Willie Scott und Short Round hier zu überstehen haben, verlässt den Rahmen des gerade noch Vorstellbaren ein wenig zu oft.
Schon die Pre-Title-Sequenz - in Raiders noch eine liebevolle Hommage an das Schatzsucherthema und ein rasant-witziges Miniabenteuer im Stil der Bondfilme - verkommt zu einer überkandidelten Nummernrevue. Schon das minutenlange Hinterherjagen mehrerer Personen hinter einer von Jones dringend benötigten Gegengiftampulle ist in erster Linie albern und zudem völlig unglaubwürdig. Kein Mensch würde das auf dem glatten Tanzparkett eines Nachtclubs permanent hin und her gekickte Glasfläschchen zu fassen bekommen, geschweige denn, dass es diese Prozedur auch nur Sekunden unbeschädigt überstehen würde. Aber es kommt noch schlimmer. Als schließlich die drei Helden mit einem Schlauchboot mehrere hundert Meter aus einem abstürzenden Flugzeug springen, ersteres in der Luft aufblasen und nach der Landung wiederum in eine kratertiefe Schlucht stürzen, die zudem von reißendem Wildwasser durchpflügt wird, verlässt der Film endgültig den Rahmen wahnwitziger aber gerade noch vorstellbarer Stunteinlagen.
Auch der eigentliche Actionhöhepunkt des Films - eine minutenlange Verfolgungsjagd mehrerer Loren durch ein weit verzweigtes und im Zusammenstürzen befindliches Bergwerk - kämpft mit ähnlichen Defiziten. Zwar ist die einer Achterbahnfahrt nachempfundene Verfolgung superb geschnitten und tricktechnisch meisterhaft inszeniert, verlässt aber ebenfalls zeitweise massiv den Boden auch der gedehnten Realität. Da rasen die Loren in einem aberwitzigen Tempo auf zwei Rädern in bedrohlicher Schieflage durch scharfe Kurven oder landen nach einem 20-30-Metersprung wohlbehalten auf den Anschlussgleisen.
Trotz der massiven Kritikpunkte ist das zweite Indiana Jones-Abenteuer kein Desaster und lässt sämtliche Plagiate (u.a. die beiden Die Mumie-Filme) immer noch relativ locker hinter sich. Das liegt in erster Linie an Steven Spielberg und Harrison Ford. Dem Regisseur gelingt es, die im Vergleich zum ersten Film substanzlose und fade Geschichte um die magischen Sankarasteine überaus unterhaltsam und kurzweilig in Szene zu setzen. Die pausenlose Action ist zwar stellenweise wie beschrieben viel zu übertrieben, lenkt aber auch geschickt von der wenig aufregenden Rahmenhandlung ab. Das Timing innerhalb der Actioneinlagen ist perfekt, auch Spielbergs Gespür für stimmungsvolle Sets und Außenlocations kommen dem Film sehr zu Gute. Sein bevorzugter Cutter Michael Khan liefert eine ebenso einwandfreie Leistung ab wie sein Hauskomponist John Williams, der seinen Score aus Raiders sogar noch übertreffen kann.
Das größte Plus des Films aber ist zweifellos Harrison Ford. Seine Leinwandpräsenz und Verwachsenheit mit der Rolle sind so ausgeprägt, dass man ihm selbst die zahlreichen Unglaubwürdigkeiten (beinahe) anstandslos abnimmt. Der enorme Actionanteil steigerte die ohnehin schon erheblichen physischen Anforderungen an die Rolle in ungeahnte Höhen, die Ford nicht zuletzt dank eines ausgiebigen Fitnesstrainings bravourös meisterte. Durch sein ebenso engagiertes wie entspanntes und reduziertes Spiel wirkt Ford absolut glaubwürdig innerhalb eines völlig unglaubwürdigen Szenarios.
Alles in allem ist Indiana Jones und der Tempel des Todes immer noch ein knallbunter, technisch perfekter und überaus unterhaltsamer Abenteuerfilm geworden. Seine offenkundigen chauvinistischen, rassistischen sowie blutig-brutalen Tendenzen, gepaart mit teilweise maßlos überzogenen Albernheiten und Actioneinlagen schmälern den Filmgenuss allerdings teilweise doch recht erheblich.
Letztlich ist es vor allem Spielbergs meisterhafter Inszenierung und Fords unwiderstehlicher Interpretation seiner Paraderolle zu danken, dass der Film noch relativ locker über dem Genredurchschnitt rangiert. Im Vergleich zu den beiden anderen Teilen der Abenteuertrilogie ist er allerdings eine klare Enttäuschung. Der zweite Akt definiert nicht immer Ton und Substanz einer Geschichte. In diesem Fall muss man sagen: glücklicherweise.
(6,5/10 Punkten)