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Arbeiterklasse kommt ins Paradies, Die (1971)

Eine Kritik von buxtebrawler (Bewertung des Films: 8 / 10)
eingetragen am 20.09.2012, seitdem 562 Mal gelesen



„Wir sind wie die Maschinen! Ich bin eine Maschine! Ich bin ein Metallstück! Ich bin eine Spindel! Ich bin ein Handrad! Ich bin ein Transportband! Ich bin eine ganz gewöhnliche Pumpe! Und die Pumpe, die ist jetzt kaputtgegangen! – Es ist aus!“

Der italienische Filmemacher Elio Petri schuf nur ein Jahr nach seinem Meisterwerk „Ermittlungen gegen einen über jeden Verdacht erhabenen Bürger“ mit „Die Arbeiterklasse kommt ins Paradies“ 1971 einen weiteren gesellschafts-, polit- und systemkritischen Spielfilm. Erneut konnte er auf Gian Maria Volonté als Hauptdarsteller zurückgreifen.

Vor dem Hintergrund realer Ereignisse während Ende des 1960er-Jahrzehnts in Italien – Arbeiter protestierten zusammen mit Studenten für bessere Arbeitsbedingungen – entstand Petris Film, der die jeweils möglichen Extreme eines Arbeiters im Charakter seiner wandelbaren Hauptrolle vereint: Lulù Massa. Dieser malocht seit Jahren im Akkord für eine Fabrik, in der er zusammen mit einer Vielzahl Kollegen mit routinierten, immer wiederkehrenden Handgriffen Einzelteile fertigt, von denen niemand weiß, wofür genau sie überhaupt benötigt werden. In seiner Tristesse stürzt Massa sich auf die Arbeit, vollbringt immer höhere Leistungen und wird dadurch zum Aushängeschild für die Vorgesetzten, die mit Verweis auf Massa die übrige Belegschaft zu immer mehr „Effizienz“ verdonnern. Dass Studenten mit ihren Megaphonen vor dem Werksgelände, in das sich die Arbeiter jeden Tag im Morgengrauen schleppen, lautstark protestieren und die Menschen aufzurütteln versuchen, interessiert ihn genauso wenig wie sein desolates Privatleben. Wenn er nach Hause kommt, ist er viel zu erledigt, um sich einem Sexualleben mit seiner attraktiven Frau hinzugeben. Doch abschalten und erholsamen Schlaf finden kann er auch nicht so recht. Er ist ein Mensch geworden, der nur noch im Rhythmus der Maschinen funktioniert, anstatt zu leben. In daraus resultierender schlechter körperlicher wie geistiger Verfassung und allgemeiner Hektik passiert ihm jedoch eines Tages ein Arbeitsunfall, der ihn einen Finger kostet und ausschlaggebend dafür ist, dass er den Studenten zunächst einmal zuhört und sich kurze Zeit als Arbeiterführer an ihre Spitze stellt…

Vordergründig ist „Die Arbeiterklasse kommt ins Paradies“ ein Polit-Drama, das vor historischem Hintergrund ein Einzelschicksal unterschiedliche Stationen zwischen den Polen unterwürfiges Arbeitstier und rebellischer Aufständischer durchlaufen lässt. Petri thematisiert den alten Konflikt zwischen von ihren Tätigkeiten abhängigen Arbeitern und vorlauten Studenten, die sich Dummheit und andersherum Weltfremdheit vorwerfen. Und mittendrin gemäßigte Gewerkschaften, die an den Symptomen herumdoktern, dadurch jedoch schnelle Teilerfolge erzielen wollen. (Achtung, Spoiler bis zum Absatzende!) Als es doch zu einer Zusammenarbeit kommt, ist es Massa, der Leidtragender ist, denn er wird als einziger entlassen. Er erklärt sich weiterhin solidarisch mit den Studenten, doch an seinem Einzelschicksal zeigen diese wenig Interesse und widmen sich anderen Dingen. Massas Privatleben zerbricht vollends und er steht vor dem absoluten Nichts. Statt seinen Film derart pessimistisch enden zu lassen, lässt Petri seine Protagonisten bei Verhandlungen durchsetzen, dass Massa seinen Job wiederbekommt und die Arbeitsbedingungen sich zumindest ein wenig verbessert haben, selbst seine Frau kehrt zu ihm zurück. Was in Hollywood zu einem klassischen „Happy End“ gereicht hätte, bekommt unter Petri jedoch eine bedrückend-fatalistische Note: Massa scheint, nachdem sich die Ereignisse derart überschlugen, verwirrt und apathisch und kehrt in seinen alten roboterhaften Trott zurück.

Für seinen Film bedient sich Petri eines realistischen Stils, der einzelne Elemente jedoch besonders stark betont und hervorhebt, durchaus auf fremd erscheinende oder vielmehr befremdliche Weise. Eine unruhige Kamera unterstreicht die allgemeine Unrast, den Stress, die Angespanntheit, die der Handlung innewohnt. Der aufpeitschende Soundtrack Ennio Morricones klingt kühl, amelodisch und mechanisch, womit er perfekt die unwirtliche Fabrikszenerie sowie die Entmenschlichung ihrer Lohnsklaven unterstreicht. Eine beinahe permanente Geräuschkulisse lässt den Zuschauer nicht zur Ruhe kommen, ständig wird geschrien und durcheinandergeredet. Massa wirkt gehetzt und getrieben, wie ein Herzinfarktpatient. Und bei allen scheinen die Nerven blank zu liegen. Die Dialoge sind scharfzüngig, Beleidigungen und Flüche keine Seltenheit. Dadurch gelingt es Petri, auf empathischer Ebene sein Publikum zu erreichen, spürbar zu machen, was diese Art von Arbeit für den einzelnen bedeutete, wie sie sich angefühlt haben muss. Der Wahnsinn der Fabrik-Akkordarbeit überträgt sich auf den Zuschauer, dessen innere Unruhe nur eines der Symptome ist, die Petri vermittelt. Folgerichtig ist „Die Arbeiterklasse kommt ins Paradies“ auf seine Weise anstrengend zu gucken, für einen entspannten Filmabend ungeeignet, und das ist genauso gewollt.

Nicht unerwähnt bleiben darf in diesem Zusammenhang indes die satirische Note, die bei aller Ernsthaftigkeit dem Film anhaftet. Durch seine gezielten Überzeichnungen streift er dieses Stilmittel, andere Szenen wie das Sinnieren über wertlosen Konsumplunder oder vor allem die unglaubliche Sexszene zwischen Massa und einer jungfräulichen Fabrikangestellten, die unter widrigen Umständen und viel Gequatsche hochgradig unerotisch in einem italienischen Kleinwagen vonstattengeht, sind mit ihrem bitteren Humor unschwer erkennbar satirisch angelegt worden.

Sicherlich ist Petris Film manipulativ, so manipulativ wie ein mitreißender Film eben sein kann, jedoch ideologisch keine Lösungen offerierend. Zwar richtet man sich unzweideutig gegen die Ausbeutung des Menschen, verzichtet aber dankenswerterweise darauf, ein alternatives Gesellschaftssystem o.ä. lobzupreisen. In seiner kritischen Sichtweise auf die Dinge macht Petri keinen Halt vor dem politischen Aktivismus mehr oder weniger radikaler Gruppen, schärft den Blick für das Einzelschicksal, statt unreflektiert Kollektivismus zu beschwören und regt an zum Nachdenken über bestehende Konflikte und Zustände, statt blinden Aktionismus zu idealisieren.

Unterm Strich ist „Die Arbeiterklasse kommt ins Paradies“ damit ein wertvoller Beitrag zu einem wichtigen gesellschaftlichen Diskurs, intelligent, aber nicht geschwollen-intellektuell, die Möglichkeiten des Mediums Film in vielerlei Hinsicht ausnutzend, insbesondere durch seinen Hauptdarsteller: Volonté beweist einmal mehr, dass er zu den besten italienischen Schauspielern gehörte, indem er eine unfassbar intensive, manische Leistung abliefert, sich in seine Rolle bis in die Haarspitzen hineinsteigert, alles in sie hineinlegt, was er hat. Das ist kein klassisches Overacting, das ist 100%ige Identifikation gepaart mit exzentrischer Ausstrahlung und dem Ausdruck eines temperamentvollen, lebendigen, hungrigen, wütenden Geistes. Grandios!


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