Eine Kritik von Vince (Bewertung des Films: 5 / 10) eingetragen am 27.05.2022, seitdem 102 Mal gelesen
Warum in alten Detektivfilmen immer so viel Nebel herrscht? Der Detektiv ist ja schließlich auf das passende Ambiente angewiesen, um seine Fälle aufzudecken. Würde er bei eitel Sonnenschein und freier Sicht ermitteln, könnte der zuschauende Laie ja womöglich noch eher über das große Ausrufezeichen stolpern als der Profi…
Da dachte sich Drehbuchautor Robert King kurzerhand: Was wäre denn eigentlich, wenn sich der Nebel diesmal nicht am Tatort ausbreitet, sondern direkt im Gehirn des Detektivs? Sherlock Holmes hat uns immerhin beigebracht, dass seine schärfste Waffe, die Schlussfolgerung, das Ergebnis einer Kette von Axiomen ist. Unterbrichst du diese Kette, nimmst du dem Kerl also das halb gelöste Puzzle weg, dann verfolgen wir doch sicher alle mit Spannung, was er mit dem verbliebenen Puzzleteil in seiner Hand Interessantes anstellt.
Einem Privatschnüffler seine Erinnerung zu nehmen und jeden Tag praktisch bei Null anfangen zu lassen, ist für eine recht unbekannte Komödie der 90er eine unerwartet originelle Prämisse, die aber wohl nicht zufällig im Jahr nach „Und täglich grüßt das Murmeltier“ für die Kinosäle aufbereitet wurde. Selbst Valeria Golino („Hot Shots“) schaut auf dem Plakat von weitem aus wie Andie McDowell. Dabei verhält sich der Stoff als solcher eigentlich eher neutral in Bezug auf seine potenzielle Genre-Zugehörigkeit, so dass man sich ebenso gut einen Thriller oder Krimi darunter hätte vorstellen können. Aus heutiger Sicht erinnert man sich, sofern es das Langzeitgedächtnis zulässt, jedenfalls gleich an die Tattoo-Notizzettel in Christopher Nolans „Memento“, wenn M.L. Pogue in seinem Bett mit Kopfhörern auf den Ohren aufwacht und eine von ihm selbst eingesprochene Kassette ihn darüber aufklärt, dass er an Amnesie leidet, die er sich bei den Ermittlungen an einem gefährlichen Fall zuzog.
Es ist aber eben diesmal kein wortkarger Noir-Antiheld mit Schweizer Käse im Kopf, sondern Natur-Dussel Dana „Garth“ Carvey, der durch die Dunstschwaden seines Verstandes stolpert und dabei versucht, sich einen Reim aus den Botschaften und den Visagen zu machen, die ihn schon zum Frühstück heimsuchen. Sein bester Buddy ist zu allem Überfluss diesmal nicht etwa Mike Myers, sondern ein Jack-Russell-Terrier, der nicht mehr räumlich sehen kann – ein typisches Comedy-Accessoire der 90er, das die Handlung fortlaufend mit optischen (pun intended) Running Gags auflockert, auch wenn sie in diesem speziellen Fall fast mehr Mitleid als Belustigung erzeugen.
Gerade im Bereich Kriminalfilm ist die Amnesie natürlich eine alte Bekannte, die bis zu Hitchcock und darüber hinaus stets dafür sorgte, dass es mysteriös blieb, selbst wenn die Nebelmaschinen mal Pause hatten. Insofern versteht sich „Blackout – Ein Detektiv sucht sich selbst“ in Teilen durchaus als kalifornische Schönwetter-Parodie auf den Film Noir, die in leicht überdrehter Manier dessen Motive aufgreift und durch Überzeichnung Komik aus ihnen zu ziehen versucht. Wenn Golino mit Schlafzimmerblick in die Bürowohnung des Detektivs gleitet und ihn mit einem Kuss überrumpelt, dann weiß man jedenfalls, dass die Femme Fatale ihre einschüchternde Aura vor allem dem Umstand verdankt, dass man im Grunde nichts über sie oder ihre Absichten weiß.
„Bodyguard“-Regisseur Mick Jackson inszeniert die Schnitzeljagd in dem beschwingten Stil einer groß angelegten Spielberg-Produktion mit dem Anspruch auf Massenunterhaltung, und würden hier und da ein paar Toons über die Straßen hüpfen, wäre sogar die Stimmung eines „Roger Rabbit“ nicht mehr fern. An jeder Ecke sieht man vertraute Gesichter, die entweder damals schon Marken waren (James Earl Jones, Michael Gambon) oder zuvor wenigstens neben Carvey in den „Wayne’s World“-Filmen aufgetreten sind (Kevin Pollack, Olivia d’Abo, Bob Odenkirk). Andere wiederum machten sich im Verlauf ihrer späteren Karriere einen größeren Namen (Bryan Cranston, Christopher Meloni). Mit Angela Paton ist sogar der Missing Link zu „Und täglich grüßt das Murmeltier“ dabei. Im Cast wuseln jedenfalls bis in die kleinsten Nebenrollen hinein lauter „kenn’ ich doch“-Kandidaten umher, die es besonders leicht machen, sich auf Carveys fragenden Blick einzulassen, zumal der Hauptdarsteller mit höchster Comedy-Präzision durch allerhand schräge Situationen navigiert.
Getarnt ist „Blackout – Ein Detektiv sucht sich selbst“ also als mainstreamtaugliche Big-Budget-Comedy, doch anders als die wahren Vertreter dieser Sparte, die seither in Erinnerung geblieben sind, tritt dieser leider im entscheidenden Moment immer auf die Bremse. Ständig hat man das Gefühl, gleich kommt die große Erlösung in Form einer mächtigen Lachbombe, wenn die sich zuspitzende Verknüpfung von absurden Situationen endlich eskaliert, doch das Gas entweicht einfach wieder ohne Peng-Geräusch aus dem Ballon. Exemplarisch dafür steht die Szene, in der Pogue eine Rede vor all seinen Polizeifreunden halten muss, in der persönliche Anekdoten von ihm erwartet werden, auf die er wegen seines Gedächtnisverlusts keinen Zugriff hat. In der unangenehmen Stille des Rampenlichts wird die Sequenz vortrefflich eingeleitet, dann aber in einer unentschlossenen Mischung aus peinlicher Improvisation und wortgewandter Ablenkungsrhetorik aufgelöst, die jeglicher Kanten entbehrt, mit denen eine Komödie üblicherweise langfristig in Erinnerung bleibt.
So kann man es dem Zuschauer dann auch nicht wirklich verdenken, wenn er schon einen Tag später selbst an Amnesie leidet und sich kaum mehr an die Eckdaten der Story rund um einen Mafia-Prozess erinnern kann. Wenn eben nichts Einprägsames geboten wird, dann ist Kinogeschichte generell sehr vergesslich. Gewisse Besonderheiten lassen sich bei genauem Blick dennoch finden, und zwar unauffällig versteckt zwischen den laut gespielten Noten. Der Künstler beispielsweise, der über den ganzen Film versucht, ein Portrait der Mona Lisa auf eine Klinkerwand zu malen, könnte glatt einem Spike-Lee-Joint entsprungen sein. Dass er es immer wieder voller Verdruss mit weißer Farbe übermalt, weil sein ignorantes Publikum die Dame auf dem Gemälde trotz offensichtlicher Brillanz des Künstlers nicht wiedererkennt, ist eine stille und doch kraftvolle Visualisierung der zentralen Prämisse und zugleich ein wunderbarer Kommentar zur Kunst, die stets den Kontext benötigt, um Kunst zu sein.
Aufgrund solcher Details versprüht „Blackout – Ein Detektiv sucht sich selbst“ nach fast 30 Jahren Reifezeit immer noch ein wenig Charme, auch wenn es sich eben nüchtern betrachtet um eine maximal mittelmäßige Komödie handelt, die ironischerweise nicht nur Gedächtnisschwund thematisiert, sondern einen solchen auch selbst zu erzeugen weiß. Das muss aber ja nicht immer etwas Schlechtes sein. Die Wiederentdeckung jedenfalls ist ein überraschend angenehmes Vergnügen, nicht zuletzt wegen des sympathisch wirkenden Leinwandpaars Carvey / Golino – und natürlich wegen der gut abgehangenen 90er-Patina.
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