Review

Die außergewöhnlichen Umstände erfordern es zunächst einmal, der eigentlichen Filmkritik - in diesem Fall der Kritik am Film - einiges voranzustellen, denn man kann schließlich nur mit dem Material arbeiten, das man zur Verfügung hat. Das ist in diesem Fall die DVD von MIB, und die gibt, das sieht jeder Laie, eindeutig nicht das Bild- und auch Tonmaterial wieder, das ursprünglich von den Machern des Films zur Verfügung gestellt wurde. Bewertet werden kann daher nur das, was auch zu sehen ist - was nicht mehr als ein 4:3-formatiger Detailausschnitt eines Komplettwerks ist, das ich nie zu Gesicht bekommen habe. Die Erklärung liefert MIB selbstverständlich nicht auf dem Backcover, damit der potenzielle Kunde vor dem Kauf gewarnt ist, sondern auf einer Texttafel vor Filmbeginn:

Der Film “Brutal Boxer / Blood Finger” wurde von Jackie Chan Fans schon seit langem gesucht. Wir freuen uns, Ihnen diese lange als verschollen geltenden Film nun zu präsentieren. Das dieser DVD zugrundeliegende Master ist eine thailändische MAZ, die nicht unserem Qualitätsstandart [sic] entspricht. Da es weltweit keine Kinokopie mehr gibt, auch das Originalnegativ ist verschollen, ist diese MAZ die einzige Möglichkeit, Ihnen den Klassiker zu präsentieren. Daher kann diese DVD nicht den üblichen Standarts [sic] entsprechen.

So kommt es dann auch, dass das Bild mal einen Untergebenen und die Tochter des Gangsterbosses in der Halbnahen an einem Tisch sitzend zeigen soll, wir aber nur den Tisch sehen, nicht jedoch die beiden Personen zur Linken und Rechten des Tisches. Da Regisseur Kwan Shan offenbar auch insgesamt mit relativ vielen Naheinstellungen arbeitete, kommt man sich oftmals vor wie mitten im Kunstprojekt einer Schulklasse, wo gerade Bildkomposition anhand von Detailschnitten gelehrt wird.

Weiterhin ist vorab auf den Etikettenschwindel in Sachen Jackie Chan hinzuweisen, der mal wieder bei einem Film betrieben wurde, an dem der Meister selbst in einer wie auch immer gearteten Weise teilgenommen hat. Das Cover zeigt einen riesigen Jackie lange nach 1973, während die Wahrheit der Inhaltsangabe soweit gedehnt wurde, wie es nur ging. Tatsache ist, dass ich Jackie nur in einer kurzen Szene wahrgenommen habe, in der er bei einem Kampf Dresche bekommt und dann den Boden entlangrutscht, bis er sich an einem Hindernis den Kopf stößt. Danach kann man ihn höchstens mal irgendwo erahnen, aber kaum mehr direkt identifizieren. Sollte also jemand erwogen haben, wegen Jackie Chan über den Erwerb oder Konsum des Films nachzudenken, so darf ich abraten.

Das darf ich aber sowieso in so ziemlich jeder Hinsicht. Denn all die schlampigen Fragmente, die von dem angeblichen brutalen Klassiker des Kung Fu-Films noch übrig sind, können in ihrer Unvollständigkeit eines nicht verbergen:
Ist das ein mieser Film. Gott, ist der mies!

Räumen wir zu Beginn mal mit dem Irrglauben auf, den der Titel verbreitet und der mit dem Ruf verbunden ist, nämlich “Blood Fingers - Brutal Boxer” (uhh, ich schaudere) sei ein kompromissloses und äußerst brutales Stück Film. Nun... tatsächlich fließt die rote Kunstsuppe (immer als solche zu erkennen) deutlich öfter als bei den meisten Genrekollegen. Da wird dann auch mal jemand mit dem Strick erdrosselt, es bekommt jemand das Gesicht matschig gehauen oder eine Axt in die Brust. Derart billig, wie das aber daherkommt, rechtfertigt die gezeigte Gewalt zwar noch die KJ-Einstufung (zumindest in Relation zu anderen 70er-Jahre-Eastern; aktuelle ab 16 Jahren erhältliche Filme aus den USA und Europa zeigen inzwischen deutlich mehr Gewalt), nicht jedoch den angeblichen Ruf, “einer der blutigsten des Genre zu sein” (O-Ton Klappentext von MIB). Von Idee und Darstellung her schockierender wäre alleine schon die Häutungssache aus “Red Dragon”einzustufen.
Was die Kampfchoreografie betrifft, ist natürlich zu sagen, dass ein Streetstyle ohne erkennbar einstudierte Bewegungen sicherlich bezweckt wurde; die Fights sehen jedenfalls allesamt sehr nach “Druff uff den Nebenmann!” aus und sind kaum irgendwie überlegt, geschweige denn ästhetisch anzuschauen. Das mag auch mit dem trotz allem hohen Gewaltgrad wunderbar zusammenpassen. Auch ergeben sich dann meist eher zufällig als gewollt ganz nette Einlagen der Darsteller, die ja sicherlich auch was auf dem Kasten haben. Nur wirklich filtern kann man daraus nix, und so bleibt es den Herren allesamt auch verwehrt, sich mit ihren Künsten zu profilieren und für höhere Aufgaben zu empfehlen. Hat man die Wahl zwischen den “Story”-Abschnitten und den Fights, so wird man sich selbstverständlich für letztere entscheiden und diese möglicherweise in diesem einen Moment sogar für kurzweilig erachten. Um tolle Choreografien mitzuerleben, aber auch um wirklich konsequente Straßenkämpfe zu sehen, schaut man sich woanders um.
Diesbezüglich will also vorgewarnt sein... auf dass allen die Motivation vergehe, sich mit diesem Machwerk auseinanderzusetzen.

Wofür es noch mehr als genug andere Gründe gibt. Das Drehbuch will so eine Art Gangsterszenario mit zwei sich rivalisierenden Banden zeichnen, scheitert darin aber in jeder Sekunde. Nicht genug damit, dass die Fights scheinbar vollkommen ohne Sinn und Verstand in den nicht vorhandenen Handlungsrahmen eingebaut wurden, in einer Masse, die nur als Kompensation für die Story zu verstehen sein kann; nein, auch treibt nichts und wieder nichts die Handlung weiter. Die Dialoge handeln von absoluten Nichtigkeiten. Wer nun glaubt, das sei auf die deutsche Synchronisation zurückzuführen, mag damit womöglich sogar Recht haben - nur folgen den Dialogen ebenso tumbe Handlungen der Akteure, die uns einfach nicht weiterbringen. Soll heißen, wir schauen gut 70 Minuten zu, wie sich ein paar Chinesen verkloppen oder unterhalten. Zu Anfang stehen die einzelnen Darsteller in einer bestimmten Beziehung zueinander, welche aber sehr schwammig bleibt (meist weiß man gar nicht, wer da jetzt überhaupt gegen wen kämpft) und sich dann auch nicht weiter entwickelt.

Der Cast hat auch nichts weiter zu bieten - erwähnenswert ist der heute recht erfahrene, aber auch nicht weiter bekannte Chen Sing in einer seiner frühen Rollen. Er bleibt wenigstens im Gedächtnis, was aber keinesfalls kohärent zu einer guten Schauspielleistung zu verstehen ist. Eine solche bietet er nicht (um Gottes Willen, wer würde das denn auch erwarten), aber wenigstens erkennt man ihn wieder... wer sich eher selten mit asiatischem Kino beschäftigt, wird hier nämlich sonst keinen Tim Lei, Raymond Liu oder Corey Yuen (oder Mars, der soll ja wohl auch irgendwo herumwuseln) sehen, sondern Chinese A, B und C. Hätte man wenigstens auf sehenswerten Schauplätzen gedreht, so wäre auch darüber noch hinwegzusehen, doch muss man sich hier mit irgendwelchen Vorgärten und Wiesenflächen begnügen. Was insofern halb so wild ist, dass man durch die viel zu seltenen Wide Angles sowieso nicht viel von der Umgebung mitbekommt. Chargierende Nobody-Gesichter sind es, die zuhauf in Nahaufnahme gezeigt werden.

Was mir persönlich den Tag gerettet hat, das war dann die außerordentlich erbärmliche deutsche Synchronarbeit, die wirklich dermaßen abscheulich gelangweilt ausgefallen ist, dass Ronaldo im gestrigen WM 2006-Erstspiel der Brasilianer dagegen übermotiviert wirkte (man möge einem Fußballfreund den aus der Luft gegriffenen, aber noch frischen Zusammenhang verzeihen). Es ist aber nicht zu leugnen, dass die künstliche Bemühtheit der eindeutigen Synchro-Amateure gerade in der zweiten Filmhälfte immer wieder belustigt. Der Big Boss klingt ein bisschen wie Bushido an einem schlechten Tag und ist dabei noch am besten von allen synchronisiert. Nuff said, würde ich mal sagen...

Fazit: Vollkommen dilettantischer, uninteressanter, überseh- und übergehbarer Kung Fu-Schinken, der weniger über eine Story als vielmehr über ein stillstehendes Szenario verfügt, das sich nicht im Mindesten aus seinem Erststadium schälen kann. Die Fights mögen halbwegs blutig sein, sind aber dann ihren Gewaltgrad betreffend letztendlich doch nicht der Rede wert und auch sonst nicht gerade die Sternstunde, die das Genre erlebt hat. Jackie ist im Grunde nicht dabei und der Rest ist ein keifender, kämpfender, kichernder, jammernder, nörgelnder, fuchtelnder, dumm dreinschauender Haufen ohne Identität. Immerhin wird mit Kämpfen nicht gegeizt, denn für jede Minute ohne Storybemühungen ist man dankbar, und die deutsche Synchro ist ein wahrlich hörenswertes Kuriosum.

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