Eine Kritik von Moonshade (Bewertung des Films: 7 / 10) eingetragen am 08.05.2010, seitdem 848 Mal gelesen
Wer schon einmal in den vergangenen zwei Jahrzehnten das seltene Vergnügen hatte, Helmut Berger einen Auftritt in einer Talkshow abservieren zu sehen, der wird das sicherlich kaum vergessen: einen leicht aufgedunsenen Playboy, der sich agressiv aufgeladen unter Einfluß von Koks und jeder Menge Alkohol so lange in Rage redet, bis man ihn genervt, aber der Schlagzeilen sicher, endlich aus dem Studio wirft.
Um so überraschter wird der Filminteressierte sein, wenn er dann Bergers Einfluß auf die Filme Viscontis konstatieren muß, die eindeutig zu den vieldiskutiertesten und angesehensten Europas in den 70ern zählen, dort zeichnet sich der heute unkontrollierte Jetsetter durch eine Menge schauspielerischer Präsenz aus.
Dennoch ist anhand der generell erhaltbaren Presse seine Mitwirkung in einer Neuauflage von Oscar Wildes "Das Bildnis des Dorian Gray" nicht unbedingt ein Erlebnis, sich diesen, wie es öfters heißt, minderwertigen Film überhaupt anzutun, gilt die Verfilmung von 1945 weithin als die Maßgebenste.
Doch angesichts so mißlungener Beiträge wie die jüngste, 2009 entstandene britische Fassung, die zwar zeitgenössisch viktorianisch angestrichen war, ihr Unheil aber in allerlei überflüssigem Horrorschnickschnack suchte, erscheint Massimo Dallamanos Film von 1969 erheblich unterschätzt. Sicherlich, der Film war ein Produkt seiner Zeit, tickt noch immer zum Sound des "Swinging London" der späten Sechziger und wirkt bisweilen anämisch, bemüht zeigefreudig und gesellschaftskritisch unterentwickelt, besitzt dafür aber ungeahnte Fähigkeiten, wenn es darum geht, der Vorlage einen modernen Anstrich zu geben.
Heutzutage (beginnendes 21.Jahrhundert) funktioniert eine modernisierte Version des Romans kaum noch, weil die schonungslose mediale Offenlegung aller möglichen Perversionen zum öffentlichen Volkssport geworden ist, während die Visualisierung in einer 130 Jahre zurückliegenden Epoche inzwischen hinreichend harmlos wirkt. Um 1970 herum aber befreite sich der Film gerade wirksam von den moralischen Restriktionen, zeigte Haut, erste Offenheit, brach mit Tabus im großen Stil und wußte noch zu schocken.
Dallamano enthüllt nun nicht gerade das, was sonst immer bieder nur im Gespräch angedeutet wurde, sondern behandelt die Figur des nicht alternden Narzis, der seiner selbst irgendwann überdrüssig wird, mit ansprechender Natürlichkeit.
Das einzige übernatürliche Element des Films ist dabei das Portrait an sich geworden, daß anstelle von Gray moralisch altert, jedoch ist dies nur ein simpler Spiegel seiner eigenen inneren Verfassung und Persönlichkeit.
Heutige Zuschauer werden durchaus einen Anknüpfpunkt zum modernen Leben finden, denn der Personenkult, der Wille zur ewigen Jugend und dem steten Begehren sind auch heute noch topaktuell und so gerät Bergers Gray weniger zu einer Person, die sich mittels endloser Ausschweifungen verausgabt und seine Seele abtötet, sondern mehr zu einem umtanzten goldenen Kalb einer zunehmend degenerierten (reichen) Gesellschaft, die sich an ihm, seinem Ruhm und seiner Schönheit delektiert, während sie mit ihrer eigenen Sterblichkeit hadert.
In geschickten Montagen zeigt Dallamano, wie sich Gray durch die Reihen ihn begehrender Frauen arbeitet, schläft und diese dann irgendwann im Zeichen des Alters zunehmend vernachlässigt, hinter sich läßt, in eine Kammer sperrt, wie sie auch sein eigenes Unterbewußtsein für ihn bereit hält. Dieses Verhaltensmuster mit ihm als zentraler Figur läuft sich natürlich nach einiger Zeit tot (weswegen der Film auch gewisse Probleme hat, 90 Minuten wirklich zu füllen) - Wildes Text dient hier als Basis und Grundlage, doch die Inhalte von damals sind in dieser Version tot: nichts mehr wird unter die Teppiche gekehrt, verschwiegen, verheimlicht; die Gier regiert ganz offen (auch am Buffet), der Partnertausch ist allgegenwärtig (wenn auch genauso zerstörerisch wie in der Verschwiegenheit).
Berger ist dabei vielleicht der beste Gray-Darsteller überhaupt, der sein tatsächliches Leben im Jetset in dieser Figur spiegelt. Selbst das Portrait ist mehr die Verbildlichung reiner Äußerlichkeit, aus dem lebensechten Bildnis wird ein Posterboy mit nacktem Oberkörper, feschem Halstuch und Jeans - Attitüde bedeutet mehr als Darstellkunst. Insofern kann man Berger auch nur streckenweise Talent zum Spielen nachsagen, aber das ist seit jeher das Problem der Gray-Darsteller, die Jugend, Schönheit und Abgründigkeit in einer Figur bündeln mußten und meistens nur bei dem einen oder anderen Punkt Erfolg hatten. Berger dagegen bringt die Selbstverliebtheit und die Getriebenheit des modernen Gray (der Film spielt definitiv in der damaligen Spät-68er-Epoche, auch wenn einige altmodische Anzugschnitte Marke Dandy noch die Verbundenheit zur viktorianischen Ära in Erinnerung rufen) sehr präzise auf den Punkt; kein Softie, der sich irgendwann bemüht in einen Arsch verwandelt, hier brodelt es von der ersten Sekunde an - zwar höflich, aber doch arrogant, unerfahren aber willfährig wenn es um die Hingabe zum Genuss geht. Etwas unpassend albern dazu übrigens das strikte Bemühen, ja keine männlichen Geschlechtsteile ins Bild zu lassen (da wird trotz gelebter Nacktheit, Sexualität, Promiskuität und gleichgeschlechtlicher Liebe beiderseits immer noch schnell ein Händchen vorgehalten), aber das ist ggf. der Freigabe und dem Zeitgeschmack geschuldet.
Je weiter der Film jedoch voran schreitet, desto mehr dringt der angewiderte Selbstekel Grays an die Oberfläche, der es eher ertragen kann, ständig weiter durch die Reihen zu vögeln, als ständig vorgezeigt zu bekommen, was für ein edles, unsterbliches Unikat der Jugend er doch ist. Sicher kommt dabei keine tiefschürfende Abhandlung über die menschliche Leere im Inneren heraus, aber mimisch ist Berger sehr treffend. So wirkt der Schluß dann nur folgerichtig, an dem er die Waffe nicht in rasender Verzweiflung, Wut, Ekel und Hoffnungslosigkeit gegen das Portrait richtet (wie sonst üblich), sondern von vornherein gegen sich selbst.
Stilistisch bleibt der Film Geschmackssache, trotz sehr gelungener Sequenzen, wie etwa das Theaterstück seiner Angebeteten, das ein Reinfall sondergleichen bleibt oder die Festsequenz mit dem Buffet, hat der Film auch sehr viele leere Stellen und manche Episoden scheinen eingefügt, um den Plot noch etwas zu strecken, ohne dem Bisherigen noch wirklich etwas beifügen zu können. Die Startsequenz ist an Krimis Marke Edgar Wallace oder Giallos angelehnt, mit ihrer POV-Kamerafahrt, dazu dudelt ein wenig zu betont TV-Krimi-Musik. Später ergibt sich der Film häufig dem Banalen im Ausschweifenden, liegt damit aber inhaltlich durchaus im Trend (wobei man sein Publikum jedoch nicht langweilen sollte).
In Sachen Darsteller ist besonders Herbert Lom herauszuheben, der als Henry Wotton mal ein paar bösartige Akzente setzen kann und die ganze Szenerie um ihn mit bissiger Herablassung kommentiert - zu oft wird an ihn nur wegen der "Pink Panther"-Filme gedacht. Richard Todd hätte man aber etwas mehr Biss als Maler Hallward gewünscht.
Aber generell funktioniert der Film eh mehr als eine Bebilderung temporären Lebensgefühls, die auch heutzutage noch ihre Berechtigung hat - mag auch der Look sich geändert haben, der Wahn ist der gleiche geblieben und da trifft Dallamano das Zeitkolorit sehr trefflich und präzise. Den Film jedoch als schmuddelig oder "sleazig" zu bezeichnen, ist schlichtweg zu tief gegriffen, die Hohlheit ist teils bewußt mitinszeniert, teils passend, ansonsten ist der Film schon fast zu klinisch rein, um zwischen den übrigen härteren Gangarten dieser Zeit zu bestehen. Kein Film zum Genießen, aber im Kontext Wildes würdig gewesen. (7/10)
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