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von PierrotLeFou

Vor 50 & vor 25 Jahren: Streben nach Qualität bei Woody Allen

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Play It Again, Sam (1972) & Everything You Always Wanted To Know About Sex, But Were Afraid To Ask (1972) & Deconstructing Harry (1997)

"What's New, Pussycat" (1965) war sein Durchbruch, sein Sprung von Bühne und Bildschirm auf die Leinwand. "What's Up Tiger Lily?" (1966) war dann seine erste Regiearbeit, die weitestgehend fremdes Bildmaterial verwendete und neu synchronisierte. Erst "Take the Money and Run" (1969) war dann die erste echte eigene Regiearbeit, die wie der anschließende "Bananas" (1971) noch etwas durchwachsen ausfiel: ulkig und albern, einigermaßen kurzweilig und durchaus schon auf merkliche Weise recht eigen, aber eben auch episodisch, ohne funktionierenden Spannungsbogen; gerade im erstgenannte Fall fast schon eine Reihung von Sketchen.
Mit dem am 6. August 1972 uraufgeführten "Everything You Always Wanted To Know About Sex, But Were Afraid To Ask" machte Allen dann aus seinem Makel eine Qualität. In einer Zeit, in der seit einer guten Dekade die Episoden- bzw. Omnibusfilme gerade im europäischen Kino boomten, lieferte er gleich einen ganz offenen Episodenfilm ab, der sich an den dokumentarischen Streifen der jungen Sexfilm-Welle orientiert: Rund um das Thema der Sexualität reiht Allen somit sieben Episoden, sieben eigenständige Kurzfilme gewissermaßen, die zum einen weniger auf einen gewöhnlichen Spannungsbogen angewiesen sind, zum anderen aber teilweise aufgrund der Kürze viel eher eine klare Dramaturgie hervorbringen: In "Do Aphrodisiacs Work?" macht sich Allen als Hofnarr mit einem Liebestrank an die Königin heran, um letztlich voll und ganz den Kopf zu verlieren. In "What Is Sodomy?" verliebt sich Gene Wilder als Psychoanalytiker in das Schaf eines Sodomiten, woraus sich ein Liebesdrei- bzw. -viereck entwickelt, wie man es aus Melodramen gewohnt ist; bloß dass hier ein Schaf in Strapsen im Zentrum steht. In "Why Do Some Women Have Trouble Reaching an Orgasm?" liefert Allen eine italienische Episode über die Lust in der Öffentlichkeit ab, die gerade den unterkühlten Stil Michelangelo Antonionis persifliert. In "Are Transvestites Homosexuals?" droht die Vorliebe eines betagten Ehemannes für Frauenkleider aufzufliegen. In "What Are Sex Perverts?" orientiert sich Allen am TV-Show-Konzept und lässt eine TV-Raterunde die Perversionen der Studiogäste erraten. In "Are the Findings of Doctors and Clinics Who Do Sexual Research and Experiments Accurate?" lässt Allen John Carradine als mad scientist lobotomierte Pfadfinder und eine Milch verspritzende Riesenbrust auf das Heldenpaar los, das sich in sein old dark house verirrt hat. Und in "What Happens During Ejaculation?" sind es Samenzellen, die sich wie in Flieger- oder Weltraumfahrtsfilmen auf den Absprung vorbereiten. (Dionysos blickt in seinem Review ausführlich auf diesen Komödienklassiker.) Auch wenn der Film in sieben Episoden zerfällt, so fallen diese Episoden doch meist konzentrierter aus als die früheren Regiearbeiten; "Sleeper" (1973), so scheint es, sollte davon profitieren.
Aber schon in dem am 4. Mai 1972 uraufgeführten "Play It Again, Sam" (1972) war Allen in einem konzentrierten Spielfilm mit konventionell funktionierender Dramaturgie zu sehen: dort allerdings noch unter der Fremdregie durch Herbert Ross, allerdings nach eigenem Drehbuch und Theaterstück. Mit Tony Roberts und Diane Keaton als wichtige Co-Stars seiner frühen Phase an der Seite begibt sich Allen hier in eine Beziehungsgeschichte, die ihn vor allem ab "Annie Hall" (1977) immer mehr beschäftigen sollte. Allen ist hier freilich wieder ein Underdog, der sich nach der Trennung von seiner Frau nach einer neuen Beziehung sehnt; sein großes Vorbild ist ausgerechnet Humphrey Bogart, dem er jedoch weder äußerlich noch vom Habitus her gleicht. Insofern sind die Tipps, die ihm Bogart in seinen Imaginationen gibt, wenig hilfreich – und seine Flirts zum Scheitern verurteilt. Bis er sich in die Frau seines Freundes verliebt, der mehr und mehr in seine Karriere verstrickt ist, als beide dem Freund und Single beistehen wollen. Auch die Arbeit als Darsteller nach eigenem Buch unter fremder Regie mag dazu beigetragen haben, dass "Sleeper" etwas dichter werden sollte als frühere Filme.
Ein Vierteljahrhundert später hatte Allen seine Hochphase nicht bloß erreicht, sondern selbige (die von "Annie Hall" in die Mitte der 80er-Jahre reichte) bereits hinter sich. Nicht nur Diane Keaton war nicht mehr seine Stamm-Partnerin vor der Kamera, sondern auch Mia Farrow – lange Zeit der ideale Ersatz – war es nicht mehr. Schlimmer noch: Die Trennung mit öffentlicher Schlammschlacht und die bis heute nicht bewiesenen, aber jüngst wieder diskutierten Kindesmissbrauchvorwürfe lenkten die Wahrnehmung der Öffentlichkeit vom Œuvre auf die Person. Dennoch war ihm, was heute verwundern mag, das Weiterarbeiten im verlässlichen Jahrestakt weiterhin möglich. In "Manhattan Murder Mystery" (1993) löste Diane Keaton Farrow noch einmal ab, manch einer sieht darin eine Art "Annie Hall"-Fortführung. Doch diese Kriminal-Beziehungskomödie mit noir-Verweisen war im direkten Vergleich merklich generischer, was auch für die Beziehungs-Tragikomödie "Mighty Aphrodite" (1995) mit Anleihen beim griechischen Drama galt. "Everyone Says I Love You" (1996) neigte sich dem Musical zu, folgte aber trotz der Songs und der originellen Einfälle einem etwas festgefahrenen Stil, vom Allen auch nie mehr ganz abrücken konnte. Der am 27. August 1997 uraufgeführte "Deconstructing Harry" indes bemüht sich sichtlich, es doch einmal ganz anders zu machen: 10 Jahre nach dem kuriosen Zwischenspiel zwischen Woody Allen und Jean-Luc Godard setzt Allen auf krude jump cuts, die man einst mit Godard verband, und irritierende Zeitsprünge; und der Titel könnte im Grunde auch "Deconstructing Woody" lauten, denn der Humor gibt sich ein wenig obszöner als üblich, Allen spielt eine Figur mit zahlreichen weniger edlen Seiten – und wird doch auch ein bisschen verdrängt vom namhaften Cast, zu dem Demi Moore, Robin Williams (der stets nur unscharf zu sehen ist), Bob Balaban, Billy Crystal, Judy Davis, Elisabeth Shue oder Tobey Maguire zählen. Die Handlung, die er zu Beginn seiner Karriere erst nach und nach in einen konventionellen Fluss zu bringen vermochte, zerfasert hier zwischen verschiedenen Figuren und der Realität und den Texten, die der titelgebende Harry als Autor teils nach realen Erfahrungen verfasst – worüber nicht alle in seinem Umfeld erfreut sind. Das ist überbordend, teils aberwitzig, ein wenig lärmend und hat den einen oder anderen Allen-Fan leicht vor den Kopf gestoßen. Zusammen mit den zwei folgenden Filmen, "Celebrity" (1998) und "Sweet and Lowdown" (1999), in denen Allen selbst nicht mitspielte, gehört "Deconstructing Harry" zu den kleinen Überraschungen in Allens Spätphase, die zwar die Handschrift des Filmemachers erkennen lassen, aber doch zumindest eigene Akzente in einem sehr, sehr einheitlich gewordenen Werk setzten.


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