Beitrag

von PierrotLeFou

Vor 75 & vor 50 Jahren: Luis Buñuel, erstmals in Mexiko & endgültig zurück in Frankreich

Stichwörter: 1940er 1970er Audran Bunuel Carrière Cassel Drama Frankreich Groteske Komödie Lamarque Literaturverfilmung Mexiko Musikfilm Negrete Ogier Piccoli Rey Satire Seyrig Spielfilm Veber Vukotic

Gran Casino (1947) & Le charme discret de la bourgeoisie (1972)

Luis Buñuel, der Spanier, drehte seine ersten Filme in Frankreich: "Un chien andalou" (1929) und "L'âge d'or" (1930) sind Klassiker des surrealistischen Films und der filmischen Avantgarde insgesamt. Danach folgte eine kurze Phase in den USA, in der Buñuel lediglich Erfahrungen sammelte, und eine etwas längere Phase des Filmemachens in Spanien, wo er auch für die Synchronabteilung von Warner Bros. tätig war. Der Spanische Bürgerkrieg und der Zweite Weltkrieg sorgen für eine längere Pause. Dann ist Buñuel wieder in Hollywood, wo er diesmal immerhin am Buch zu "The Beast With Five Fingers" (1946) von Robert Florey mitwirkte (der in den späten 20er Jahren ebenfalls der Avantgarde zugerechnet werden konnte).
Mit dem am 12. Juni 1947 uraufgeführten "Gran Casino" nach literarischer Vorlage von Michel Veber beginnt er dann – nachdem sich zuvor eine geplante mexikanische Produktion nach García Lorca schon früh im Enttstehungsprozess erledigt hatte – seine erste lange Phase eines kontinuierlichen Schaffensprozesses unter zunehmend vertrauten Umständen: Mexiko wurde naheliegenderweise seine Wahlheimat, in der er Klassiker wie "Los olvidados" (1950), "Él" (1953) oder "Nazarín" (1958) drehte. An diesen Status reichte sein mexikanisches Debüt "Gran Casino" nicht heran: eine Produktion, die an Buñuel herangetragen worden war, nachdem seine Lorca-Verfilmung gescheitert war; und eine Produktion, die zugkräftig auf die Bekanntheit der Sängerin Libertad Lamarque und des Sängers Jorge Negrete setzte. Ein dramatisches Musical ist dann auch herausgekommen, angesiedelt in der vorrevolutionären Phase und angefüllt mit einigen Ungerechtigkeiten, welche das Zustandekommen der Mexikanischen Revolution als positive Errungenschaft feiern. Den großen Erfolg konnte Buñuel damit nicht verbuchen, nicht einmal beim mexikanischen Publikum.
Ein Vierteljahrhundert später war die mexikanische Phase dann endgültig abgeschlossen: Sieht man von "Cela s’appelle l’aurore" (1956) ab, waren Buñuels Filme bis 1962 stets zumindest mexikanische Koproduktionen (wenn nicht gar rein mexikanische Produktionen, was meistens der Fall war). Ab "Le journal d'une femme de chambre" (1964) entstehen dann vermehrt französisch-italienische Produktionen: Sein "Simón del desierto" (1965) entsteht dann nochmals in Mexiko, sein "Tristana" (1970) wird dann nochmals in Spanien gedreht. Danach bleibt Buñuel dann endgültig in Frankreich, wo er eine letzte Schaffensphase beginnt, ein Spätwerk im Spätwerk quasi, das sich durch surreale, absurde Töne und eine episodenhafte Dramaturgie auszeichnet (und von "La voie lactée" (1969) bereits angestimmt worden war): Der am 15. September 1972 uraufgeführte "Le charme discret de la bourgeoisie" mit Fernando Rey, Delphine Seyrig, Bulle Ogier, Stéphane Audran, Jean-Pierre Cassel, Milena Vukotic, Michel Piccoli und anderen machte den Anfang und ließ seine Bourgeoisie nach einem gemeinsamen Dinner streben, das auf immer abwegigere Weise abgebrochen werden muss. In "Cet obscur objet du désir" (1977) wird es dann eine angestrebte Beziehung sein, die immer wieder unerreichbar scheint, kaum dass sich eine Nähe abgezeichnet hat. Und in "Le fantôme de la liberté" (1974) sind es dann die Erwartungen des Publikums an abgeschlossene Geschichten, die permanent unterlaufen werden. Alle Bücher schrieb Buñuel mit dem großen Jean-Claude Carrière; und alle Filme sind hochgradig sehenswert... aber "Le charme discret de la bourgeoisie" ist doch vielleicht der schönste dieser Filme, der genüsslich das gehobene Bürgertum (bis hin zu Diplomaten) vorführt. Die Zielscheibe seines Spottes sieht sich noch in ihren Alpträumen vorgeführt und findet sich mitten im Dinner plötzlich auf einer Theaterbühne wieder, ehe man sodann nachts im Bett hochschreckt. Hier verstellt man sich, belügt man sich, betrügt man – und bemerkt nicht einmal, wie wenig man der eigenen Überheblichkeit und dem eigenen Selbstbild letztlich gerecht wird... was auch für die Kirche gilt... oder für das Militär... Weder werden sich die Figuren hier gerecht noch bekommen sie den Hals voll: das Leitmotiv des Wanderns auf endloser Landstraße und die Nummernrevue permanent abgebrochener Dinner setzen das auf erheiternde Weise ins Bild. Das ist freilich alles auch recht polemisch, aber man sollte hier auch Buñuels Erfahrungen mit Franquismus und Katholizismus berücksichtigen, um die Schärfe seiner Attacken als adäquate Reaktion genießen zu können.
Beide Filem sind in der alten Luis Bunuel Edition von Arthaus auf DVD erhältlich: Fassungseintrag von Bretzelburger


Kommentare und Diskussionen

  1. Noch keine Kommentare vorhanden

Um Kommentare schreiben zu können, müssen Sie eingeloggt sein.

Registrieren/Einloggen im User-Center

Details
Ähnliche Filme