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von PierrotLeFou

Vor 50 Jahren: Enden des gothic horror

Stichwörter: 1970er Drama Großbritannien Hammer Horror Jubiläum Klassiker Newbrook Phantastik SciFi Spielfilm Sykes Young

Demons of the Mind (1972) & The Asphyx (1972)

Während man bei Hammer den Grafen Dracula ins 20. Jahrhundert transportierte und ihn unter jenen Jugendlichen sein Unwesen treiben ließ, die zur Zielgruppe der Filme zählten, entpuppte sich der gothic horror als Auslaufmodell. Dort, wo er nicht an die längst plakativ geratenen Figuren wie Dracula oder Frankensteins Monster gebunden, fanden sich in der Endphase des gothic horror-Booms aber auch wesentlich subtilere Spielarten eines gothic horrors, der dabei war, sich selbst zu überholen.
Bei Hammer erschien etwa am 5. November 1972 Peter Sykes' "Demons of the Mind": Wie im Fall von  Roger Cormans "House of Usher" (1960) nach E. A. Poes "The Fall of the House of Usher" (1839) geht es hier um den Untergang eines Hauses, eines Geschlechts, wobei ein Familienfluch am Werk sein könnte. Sykes setzt seine Geschichte aber mit wesentlich graphischerer Gewalt um, zu der sich gegen Ende ein Zynismus und Pessimismus gesellt, der an Michael Reeves' "Witchfinder General" (1968) geschult zu sein schien. Es ist der alte Baron Zorn, der hier in österreichischer Gegend im frühen 19. Jahrhundert seine Kinder drangsaliert, um sie vor dem erblichen familiären Wahnsinn zu bewahren, dem einst bereits ihre Mutter anheim gefallen sein soll; derweil häufen sich in den Wäldern die Leichen von Dörfler(inne)n, die einem Dämon zum Opfer gefallen sein sollen. Ein Arzt und ein Richter werden bald ahnen, dass weder die Kinder des Barons noch ein mordender Dämon wirken... Und auch, wenn titelgemäß die Dämonen des Geistes ins Zentrum der Aufmerksamkeit (und den Film in die Nähe zum modernen Psychothriller) rücken, belässt Sykers Inszenierung dem Stoff doch noch eine Aura des Übernatürlichen, die durch geheimnisvolle Perspektiven und seltsame Zufälle wabert. Hier werden bekannte Versatzstücke des gothic horrors mit populären Elementen des Post-"Psycho"-Thriller-Kinos und dem grimmigen 1968er-Tonfall vermengt, derweil die Phantastik hier minimalistischen Definitionen gehorcht und das Übernatürliche somit weder eindeutig bestätigt, noch eindeutig beseitigt wird. Man findet viele Motive klassischer gothic novels hier wieder (die psychologische Motiviertheit, die Grausamkeit, das Setting, das Unheimliche), aber die Melange und insbesondere der Einfluss von Psychoanalyse einerseits und Selbstjustiz-/Lynchmobdiskursen der 68er-Ära andererseits geben diesem gothic horror-Auslaufmodell doch einen erheblichen Drall in ein modernes Horrorkino.
In der vor 5 Jahren erschienenen Hammer Film Edition von Studicanal liegt der Film mit sechs weiteren Hammer-Klassikern auf Blu-ray vor: Fassungseintrag von XenoHead04
Auch der britische, nicht von Hammer produzierte Horrorfilm "The Asphyx", der am 5. Dezember 1972 ins Kino kam, schlägt – geklammert von einer höchst knappen Rahmenhandlung in der Gegenwart – den Bogen vom gothic horror in die Moderne: Peter Newbrook inszenierte dieses von Freddie Young gefilmte Science-Fiction-Horrordrama in einem vagen Zeitraum der späten viktorianischen und beginnenden edwardianischen Ära, als die Technik längst das Hinrichten revolutioniert hatte und in der die (Para-)Wissenschaft an einer Erforschung des Todes, der Seelen und der Geistererscheinungen arbeitete. Die Handlung spielt vor allem Mitte der 1870er-Jahre, scheint aber auch die Jahre bis zur Jahrhundertwende, ja teils noch der 10er Jahre mit aufzusaugen, um eine Ära zu verhandeln, in der nicht zuletzt auch Fotografie und Film die Welt veränderten. Erzählt wird die alte Geschichte wissenschaftlicher Anmaßung, die sich an den letzten Geheimnissen verhebt: Auf der Suche nach einer Art Totengeist mutiert ein Forscher letztlich zum ewigen Wanderer, der alles verliert – bloß sein Leben nicht. Das Umfeld technischer Neuerungen, die Parallelen zum Okkultismus, zu den Geisterfotografien und zu den Parawissenschaften um 1900 nehmen hier weit mehr Raum ein, als man es gewohnt ist: anders als Mary Shelleys gothic novel "Frankenstein or The Modern Prometheus" (1818) über die (titelzusatzgebende) Anmaßung eines Wissenschaftlers, Gott zu spielen, oder Bram Stokers nach der Erfindung des Kinos entstandener und von den neueren Medien geprägter victorian gothic novel "Dracula" (1897) wird hier die Entzauberung der Welt durch die Wissenschaften und Techniken thematisiert, die im frühen 20. Jahrhundert attestiert worden war. Die unterdrückten Triebe der viktorianischen Ära spielen hier – anders als in vielen Hammer-Horrorfilmen – keine Rolle in diesem erstaunlich zugeknüpften, prüden Films; aber es geht um eine Phase des Umbruchs in die Moderne... wobei "The Asphyx" etwas anachronistisch eine Prämisse bemüht, die in den 1970er Jahren hanebüchen war, aber in den 1870er Jahren der konkret erwähnten Handlungszeit als steile These und als solche zumindest in guter Gesellschaft stehend betrachtet werden kann. Etwas ausführlicher habe ich das in meinem Review ausgeführt...


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