The Paradine Case (1947)
Nachdem Produzent David O. Selznick Alfred Hitchcock für sein erstes Meisterwerk "Berüchtigt" noch an RKO ausgeliehen hatte, nahm er ihn für den am 29. Dezember 1947 uraufgeführten "Der Fall Paradin" nach einem Robert-Hichens-Roman wieder ganz unter seine Fittiche. Es sollte das letzte Mal sein. Danach gingen sie getrennte Wege.
Schon bei "Rebecca", der ersten Zusammenarbeit zwischen den beiden Männern, waren Hitchcock und Selznick immer wieder aneinandergeraten, denn während sich der Regisseur seinerzeit immer wieder inhaltliche Freiheiten von Daphne du Mauriers beliebter Romanvorlage nehmen wollte, bestand der Produzent auf eine möglichst detailgetreue Umsetzung – und setzte sich damit letztendlich als derjenige, der die Geldmittel zur Verfügung stellte, auch durch. In "Der Fall Paradin" lief der Produktionsprozess ähnlich kompliziert, weil die grundlegend unterschiedlichen Arbeitsweisen stets kollidierten: Wo Hitchcock das fertige Drehbuch nur noch abfilmen wollte und dabei feste Vorstellungen davon hatte, welche Einstellung in welcher Szene die vorteilhafteste sein würde, hatte Selznick gern die Wahl aus mehreren Einstellungen und schreckte auch vor eigenhändig vorgenommenen kurzfristigen Änderungen im Skript nicht zurück. Das kostete ebenso viele Nerven, wie es dazu führte, dass das ursprüngliche Budget bei Weitem nicht eingehalten werden konnte. So lag am Ende eine fast dreistündige Version vor, die auf kinotauglichere zwei Stunden heruntergekürzt werden musste. Mit insgesamt über vier Millionen Dollar sollten die Kosten schließlich nicht weit von denen von "Vom Winde verweht" entfernt sein. Der beträchtliche Aufwand zeigt sich dabei vor allem in den Gerichtsszenen, für die der Zentrale Gerichtshof Old Bailey opulent nachgebaut wurde. Außerdem wurden mehrere Kameras gleichzeitig eingesetzt, die jeweils auf die Gesichter der Hauptakteure gerichtet waren und bis zu zehnminütige Einstellungen ermöglichten.
Es wäre schön gewesen, wenn man hätte sagen können, dass sich die Kosten und Mühen am Ende gelohnt hätten, aber tatsächlich wurde "Der Fall Paradin" weder ein Publikums- noch ein Kritikererfolg und zählt auch heute noch zu Hitchcocks schwächeren Werken. Die Darsteller leisten dabei tadellose Leistungen, auch wenn der Regisseur sich andere Darsteller in den Hauptrollen gewünscht hätte (Laurence Olivier statt Gregory Peck, Greta Garbo statt Alida Valli), aber insgesamt leidet das Justizdrama, in dem sich ein verheirateter Strafverteidiger in seine des Mordes angeklagte Mandantin verliebt, unter seiner Langsamkeit, die den Film niemals richtig ins Rollen bringt. Dabei ist offensichtlich, dass Hitchcock hier mehr an den inneren Konflikten der Figuren gelegen ist als an dem, was gemeinhin mit ihm assoziiert wird: dem Suspense. So bleibt auch die nach außen hin gefühlskalte Angeklagte Anna Paradin bis kurz vor Schluss ein Mysterium und die Frage offen, ob sie schuldig oder unschuldig ist.
Dadurch erscheint "Der Fall Paradin" sperriger und unzugänglicher als die in schöner Regelmäßigkeit gelieferte hitchcocksche Unterhaltungsware, wobei gern übersehen wird, dass der Mann in seiner langen Karriere seinem Publikum auch immer wieder härtere Brocken zu kauen gegeben hat (siehe "Vertigo").
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