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von PierrotLeFou

Vor 50 Jahren: Ironischer Genre-Klamauk von jungen Newcomern

Stichwörter: 1970er Horror Jubiläum Kanada Klassiker Komödie Landis Reitman Spielfilm USA

Cannibal Girls (1973) & Schlock (1973)

New Hollywood gilt als die wohl richtungsweisendste Entwicklung im US-amerikanischen Film der 60er Jahre. Kurz zuvor gab es das weniger breitenwirksame, dafür radikalere und mindestens ebenso ambitionierte New American Cinema. Und zeitlich dazwischen könnte man die Corman-Schule ansiedeln, die mit kostengünstigen, kommerziellen Genrefilmen und einer Nähe zur Exploitation daherkam und lange vernachlässigt worden ist, aber doch zahlreiche Filmschaffende prägte, die in diesem Rahmen ihr Handwerk erlernten, sich erprobten, ihre Kunst verfeinerten: Martin Scorsese, Francis Ford Coppola, James Cameron, Jonathan Demme, Peter Bogdanovich oder Joe Dante wären vor allem zu nennen, wobei Bogdanovich und insbesondere Dante früh einen Hang erkennen ließen, bekannte Muster des populären Films mit Ironie aufzubereiten. Der Ernst, mit dem man in der Corman-Schule – in der Folge des Sci-Fi-Films, der gerade von seiner Ära origineller Klassiker in die Ära der Wiederholungen, Klischees und Plagiate übergegangen war – häufig weniger ernsthafte Stoffe mit kleinem Geld für eine jugendliche Zielgruppe produzierte, mag den Anstoß gegeben haben für die ironischen Distanzierungen Bogdanovichs und Dantes, der sich zudem William Castle und Frank Tashlin als Leitplanken wählen sollte.
Man könnte sich aber auch noch eine breiter gefasste Corman-Schule denken, die auch jene Filmemacher umfasst, die mit Corman und vermeintlichen Niederungen sozialisiert worden sind: etwa Ivan Reitman und John Landis, die nicht bloß ähnlich alt wie Dante sind, sondern ebenfalls eine große ironische Tönung aufweisen, mit der Elemente des populären und lange Zeit geringschätzig wahrgenommenen Films aufbereitet worden sind, welcher inmitten einer frischen Jugendkultur immer stärker zu boomen begann.
John Landis gab mit dem 1971 gedrehten und am 6. April 1973 uraufgeführten "Schlock" sein Regiedebüt: In diesem treibt der Banana Killer sein Unwesen, der sich bald als Affenmensch entpuppt. Mordende Affen und Affenmenschen lassen sich bis in die Stummfilmzeit zurückverfolgen, Landis setzt jedoch auf jüngere Phänomene aus den 50er Jahren à la Ewald André Duponts "The Neanderthal Man" (1953) oder Jack Arnolds "Monster on the Campus" (1958), durchsetzt aber die dünne Handlung mit direkten Verweisen auf große Klassiker des phantastischen Films und einem teils schon "The Kentucky Fried Movie" (1977) vorwegnehmenden Humor: so werden etwa die Untaten in der Welt dieses Films medial auf eine reißerische Weise aufbereitet, die den Sensationsjournalismus auf absurde Weise übersteigert (und sich auch auf Woody Allens "Bananas" (1971) oder andere humoristische Varianten der modischen Massenmedienkritik wie auch "Das Millionenspiel" (1970) zurückführen ließe). Der eher billige als bloß günstige Film hält der Macht der Bilder den Spiegel vor, indem er mit ikonischen Bildern spielt und medienkritische Klischees darbietet, derweil er seine 08/15-Monsterfilm-Handlung entfaltet. Das skurrile Frühwerk ist vor knapp 5 Jahren bei Turbine als schmuckes Mediabook erschienen: Fassungseintrag von Unicorn
Ivan Reitman lieferte dagegen im April 1973 mit dem ebenfalls 1971 gedrehten "Cannibal Girls" bereits seinen zweiten Film ab... dessen kanadische Originalversion noch etwas weniger absurd daherkommt als die US-amerikanische Version, der vom Vertrieb AIP eine Art William-Castle-Gimmick hinzugefügt worden war: eine Glocke, welche alle kruden Gewaltakte warnend ankündigte. Aber schon die Originalversion lässt einen bizarren Humor erkennen, der hier mit dem seit wenigen Jahren boomenden Kannibalismus-Motiv einhergeht: Zbynek Brynych, der wie Reitman aus der Tschechoslowakei stammte, drehte etwa die Satire "Die Weibchen" (1970), in der die titelgebenden Männerfresserinnen gehörig die Geschlechterrollen durcheinanderschütteln. Mehr noch als "Bloodthirsty Butchers" (1970), "Three on a Meathook" (1972) oder der italienische "Il paese del sesso selvaggio" (1972) ähnelt Brynychs Film Reitmans "Cannibal Girls"... Noch ganz klassisch führt eine Wagenpanne die Hauptfiguren in die Fänge dreier Frauen und eines Reverends – nichtsahnend, dass die Gastgeber(innen) ihre Gäste im wahrsten Sinne des Wortes zum Fressen gern haben. Reitman führt dabei seinen gender-switch aus "Foxy Lady" (1971) fort: ein Leitmotiv, das man über die "Ghostbusters"-Filme und "Junior" (1994) bis "My Super Ex-Girlfriend" (2006) antreffen durfte. Und so hat man hier drei attraktive, feminine, zierliche Frauen, bei denen das Schälen einer Karotte schon einmal als Kastrationsdrohung gewertet werden darf: Unterlegen sind ihnen die Männer, die – ihre Sinne von der Lust ziemlich vernebelt – den Frauen als leichte Beute zum Opfer fallen. Solcherlei Erzählungen machen auf die Hauptfiguren allerdings wenig Eindruck: der männliche Part wird das jedoch mit seinem Leben bezahlen müssen, derweil seine Partnerin ihren Hunger stillen wird (was an Godards "Week End" (1967) mit seinem kannibalische endenden Ehekrach erinnert); und es wird auch nicht das letzte Pärchen sein, dass in den Bann der Cannibal Girls gerät. Zwar wird diesen mit einem Reverend im Dracula-Aristokraten-Anzug und einem entstellten Faktotum (à la "Dance of the Vampires" (1967) oder "Scars of Dracula" (1970)) sowohl männliche Verstärkung als auch ein zarter gothic-Bezug an die Seite gestellt, aber Titel und Mordszenen setzen vor allem die Frauen in Szene, die über die Männer triumphieren. Das lässt sich als eine männliche Abwehrreaktion auf die Frauenbewegung sowie als Desavouierung der Feministinnen lesen, allerdings auch als schwarzhumorige Feier weiblicher Durchsetzungsfähigkeit, welche die Schwachstellen von Männern auszunutzen weiß. Wie später in "Ghostbusters" oszilliert Reitman uneindeutig zwischen den Lesarten, was hier aber am ehesten einer Unausgegorenheit geschuldet zu sein scheint.
Seit über 9 Jahren ist "Cannibal Girls" nun schon als Mediabook von Anolis zu bekommen: Fassungseintrag von SpeedyGonzales76


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