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von ratz

Vor 50 Jahren: ein DDR-Film mit Nachruhm

Stichwörter: 1970er Brauer Carow DDR DEFA Deutschland Domröse Drama Glatzeder Jubiläum Klassiker Komödie Kultfilm Liebesfilm Plenzdorf Spielfilm Tragikomödie

Die Legende von Paul und Paula (1973)

Das Prädikat „Kultfilm“ hat seine Tücken, denn es sagt nicht viel über die Qualität, sondern eher über die Wirkung oder Beliebtheit eines Films bei einer bestimmten Zielgruppe aus. Noch schwieriger ist ein „DDR-Kultfilm“, denn dieser hat die „Ostalgie“ inklusive und damit die rückwirkende Verklärung und Romantisierung der Lebensumstände in einem undemokratischen Staat. Fragt man die Suchmaschine, ist jedoch „Die Legende von Paul und Paula“ nun der eine oder sogar einzige „DDR-Kultfilm“, und es ist schwer ermittelbar, ob er das schon seit seiner Uraufführung am 14. März (laut imdb) bzw. 29. März 1973 (laut DEFA-Stiftung) war oder erst ab der gesamtdeutschen Wiederaufführung im Jahr 1993.

Unbestreitbar ist, daß schon die Erstaufführung der bittersüßen Tragikomödie ein großer Erfolg war, das Drehbuch des Autoren und Dramaturgen Ulrich Plenzdorf traf (wie schon andere seiner Werke zuvor) genau den Nerv des jugendlichen Kinopublikums in der DDR. Und wirklich mutet „Die Legende von Paul und Paula“ sehr viel frischer, mutiger und spontaner an als viele der üblichen freudlosen, unspektakulären Alltagsgeschichten aus den staatlichen DEFA-Studios. Plenzdorf schildert in losen Szenenfolgen und mittels knapper, lakonisch-poetisch verdichteter Dialoge die euphorische und zugleich dramatische Liebesgeschichte zwischen einer alleinstehenden Supermarktkassiererin (Angelica Domröse) und einem aufsteigenden Personalreferenten in diplomatischen Diensten (Winfried Glatzeder), die erst zueinanderfinden, nachdem ihre Lebenswege teils parallel zueinander liefen oder sich unerwartet kreuzten. Da die Figuren völlig unterschiedlich angelegt sind (sie ist spontan und bedingungslos lebensdurstig, er dagegen bedächtig, zurückhaltend und auf äußere Erscheinung bedacht) und aus entgegengesetzten Milieus stammen, kommt es zu teils urkomischen Momenten, aber auch zu tragischen Entwicklungen. Der Regisseur Heiner Carow bettet diese Momente in hintersinnig symbolische Bilder (Paula wohnt in einem maroden Altbau, er im neuen Plattenbau, sie schläft in einem halben Ehebett, eine Traumszene rückt den Film in die Nähe des magischen Realismus) und läßt Angelica Domröses offenes, verletzliches Spiel zum Ereignis und zum Mittelpunkt von „Paul und Paula“ werden. Schnittmeisterin Evelyn Carow (die Ehefrau des Regisseurs) setzt auf harte Übergänge und elliptische Montagen der Handkamera-Bilder von Jürgen Brauer, während die melancholischen Songs der Puhdys (deren Texte ebenfalls von Plenzdorf stammen) die passende Untermalung bieten. Ganz nebenbei werden kritische Themen zur Sprache gebracht, etwa die marginalisierte Rolle von alleinerziehenden und arbeitenden Müttern, deutliche soziale Gegensätze in der angeblich doch klassenlosen Gesellschaft oder die allgegenwärtige Mangelwirtschaft.

Mit diesen Qualitäten hat sich „Die Legende von Paul und Paula“ nicht nur im ostdeutschen kollektiven Gedächtnis verewigt, sondern funktioniert weiterhin als mitreißendes Liebesdrama, als Berlin-Film, als Zeitfenster in die 70er Jahre und nicht zuletzt als Beispiel einer besonderen Alltags-Filmtradition, die bis heute etwa von Andreas Dresen oder Thomas Stuber weitergetragen wird. Zwar war die 2016 erschienene Bluray (Fassungseintrag) schnell vergriffen, doch die großen Streamingplattformen haben den DEFA-Klassiker im Angebot. Die kompakte OFDb-Kritik von buxtebrawler bietet eine gute Inhaltszusammenfassung und begründet außerdem, warum dieser Kultfilm über jeden Ostalgie-Verdacht erhaben ist.


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