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von PierrotLeFou

Vor 50 Jahren: Feministischer Klassiker von der Großmutter der Nouvelle Vague

Stichwörter: 1960er Drama Frankreich Jubiläum Klassiker Nouvelle-Vague Spielfilm Varda

Le bonheur (1965)

Als Agnès Varda 1954 "La Pointe-Courte" ablieferte, war diese vage an Rosselini erinnernde Geschichte in ihrer eigenwilligen Inszenierung nicht nur ein großes Vorbild für Ingmar Bergman, sondern zugleich der früheste Bezugspunkt für die Nouvelle Vague. Der Nouvelle Vague blieb Varda treu: ihr "Cléo de 5 à 7" (1961) zählt zu den bedeutendsten Vertretern dieser Strömung - und setzt Vardas Interesse an weiblichen Hauptfiguren, das im Debut noch im Rahmen eines Beziehungsdramas eingebettet war, konsequent fort. Auch in "L’une chante, l’autre pas" (1977) und "Sans toit ni loi" (1985) verfolgte sie dieses Interesse weiter, ebenso in diversen Kurzfilmen - darunter vor allem "Réponse de femmes" (1975) - und natürlich in ihren Essayfilmen, allen voran der Portraitfilm "Jane B. par Agnès V." (1987).

"Le bonheur" jedoch war ihr Film, der am stärksten eine feministische Lesart nahelegte, gleichwohl er jede Bewertung der Ereignisse zu entbehren scheint und sich in erster Linie einer männlichen Hauptfigur widmet, die zwischen zwei Frauen steht. Der deutsche Titel macht im Gegensatz zum zurückhaltenden Originaltitel ganz besonders auf die Frage nach den Geschlechterrollen aufmerksam, die im Film verhandelt werden: Glück aus dem Blickwinkel des Mannes verweist auf einen (vermeintlich) männlichen Blickwinkel des Films, während die Originalversion offen ließ, ob Varda eine vermeintlich männliche Perspektive mit ironischen Überspitzungen übernahm, oder ob sie vielleicht doch nur einen einfachen (wenngleichen irritierenden) Film über das Glück drehen wollte. "Le bonheur" schildert die Zwickmühle eines Familienvaters, der zwischen seiner Ehefrau und einer Geliebten steht. Der plötzliche Tod der Gattin - womöglich Unfall, womöglich Suizid - gerät dann jedoch nicht zur alles verschärfenden Krise, sondern zu einem Ereignis, dem dann doch noch (oder: gerade deswegen) eine glückliche Wendung nachfolgt: Die Geliebte wird zur neuen Lebensgefährtin und akzeptierten Stiefmutter, das Glück scheint perfekt zu sein. Angesichts der eher fröhlichen Farbgebung des Films und seiner leichtfüßigen Dramaturgie, die den Schrecken des plötzlichen Todesfalls auf irritierende Weise weitgehend ausspart, mag man dieser Schilderung des Glücks als Zuschauer(in) nicht ganz folgen.
Mit "La Pointe-Courte", "Cléo de 5 à 7" und "Sans toit ni loi" liegt "Le bonheur" in der schönen Edition 4 by Agnès Varda bei Criterion vor: Fassungseintrag von savethegreenplanet (Leichter zu greifen ist womöglich die britische Varda Collection No. 1 von Artificial Eye.)


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