Wild at Heart (1990)
Das lodernde Flammenmeer im Titelvorspann deutete dem Premierenpublikum am 19. Mai 1990 in Cannes bereits an, daß der nun folgende Film in mancher Hinsicht explosiv sein würde, und tatsächlich spaltete „Wild at Heart“ sowohl Zuschauer als auch Kritiker in seiner unvorhersehbaren Mischung aus Gewalt, Sex und absurdem Humor, die spätestens seit „Blue Velvet“ (1986) zum Markenzeichen des Drehbuchautoren und Regisseurs David Lynch geworden waren. Die Goldene Palme, mit der „Wild at Heart“ schließlich prämiert wurde, führte zwar zu kontroversen Diskussionen in der Fachpresse, verhalf dem Film in den USA jedoch nicht zu nennenswertem kommerziellen Erfolg. Erst mit den Jahren und Lynchs wachsender Anerkennung fand er seinen Platz im Kanon, heute bezweifelt niemand mehr ernsthaft die radikalen Qualitäten dieses grenzüberschreitenden, mit Popkulturzitaten gespickten Thrillers, der zugleich ein – wenn auch spezielles – Amerika-Porträt der späten 1980er Jahre ist.
David Lynch hatte es dem (Mainstream-)Publikum noch nie leicht gemacht, und „Wild at Heart“ mag in seiner formalen Anlage, scheinbar disparate Filmgenres zu verknüpfen, manches Kopfschütteln und pure Ablehnung verursacht haben (ganz zu schweigen vom provokativen Potential der offenherzigen Sexszenen, graphisch expliziten Gewaltdarstellungen und gelegentlichen, scheinbar sinnlosen, „lynchesken“ Momente und Vignetten). Zunächst ist die Geschichte vom Kleinkriminellen Sailor (Nicholas Cage) und seiner blonden Geliebten Lula (Laura Dern), die vor Lulas dominanter, psychisch instabiler Mutter Marietta (Diane Ladd) fliehen, ein klassisches Roadmovie. Doch Mariettas Verbindungen zu einem Verbrechersyndikat lassen bald Auftragskiller des klassischen Mafiafilms auf den Plan treten, Lulus Vergewaltigung als junges Mädchen und die Mutter-Tochter-Beziehung evozieren ein familiäres Drama, Sailors Elvis-Verehrung führt zu unerwarteten Musicalnummern (Cage singt die Songs selbst). Auch vor Märchenelementen macht Lynch nicht halt und zitiert dabei mehrfach, sowohl visuell als auch in den Dialogen, den Märchen-Musical-Klassiker „The Wizard of Oz“ (1939). Als wäre all dies nicht genug, spielt Lynch mit dem Doppelgängermotiv (die mörderischen Schwestern in New Orleans und Texas) und benutzt leitmotivisch Feuer bzw. Flammen: Neben dem erwähnten Vorspann gibt es immer wieder Rückblenden zum Flammentod von Lulus Vater, in Groß- und Zeitlupenaufnahmen werden zäsurartig Streichhölzer angezündet oder brennende Zigaretten glühen auf, die Farbe Rot verleiht Schlüsselobjekten oder, durch Farbfilter, ganzen Szenen eine besondere Bedeutung. Daß der Zuschauer bei dieser formalen, oft ironisch gebrochenen Virtuosität trotzdem einen emotionalen Zugang zum naiv-extrovertierten Liebespaar findet, liegt nicht zuletzt an der fantastischen Chemie zwischen Cage und Laura Dern sowie an vielen schauspielerischen Akzenten, die eine veritable Starriege in Nebenrollen setzen kann (dem Lynch-Fan werden etliche Ensemblemitglieder der zeitgleich gedrehten „Twin Peaks“-Serie auffallen).
„Wild at Heart“ liegt seit längerem in guter Qualität auf Blu-ray vor (Eintrag von Hamires), allerdings ohne die Extras der älteren DVD-Collector‘s-Edition (Fassungseintrag von Karm). Über Zensurbelange, die nach der Cannes-Fassung im angloamerikanischen Raum und inzwischen auch bei uns zum Tragen gekommen sind, kann man hier nachlesen. Das profunde Review von Andreas Thomas auf filmzentrale.com nimmt eine gründliche Herausarbeitung der hier genannten Aspekte vor.
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