Posle smerti (1915)
Bloß fünf Jahre dauerte sie, die Karriere des Regisseurs Yevgeni Bauer, der zu den großen russischen Filmpionieren zählt, welcher von 1913 bis 1917 - mit 70, 80 Filmen (darunter 26 noch erhaltene Werke) - die Filmsprache innovativ vorangetrieben und den sowjetischen Film der 20er Jahre stark beeinflusst hat. Dabei ist es weniger die Montage, die bei Bauer eine geringere Rolle spielt als etwa bei D. W. Griffith, sondern vielmehr das Zusammenspiel von Beleuchtung, Kameraführung und detailliert geplanten Bildkompositionen, welches Bauers Filme auszeichnet: Mit all diesen Mittel erwirkt Bauer eine Mise en image, in der alles mit gutem Grund seinen Platz hat, in der noch das Dekor und die Bewegung der Kamera die Aussage der Handlungen stützen. Und wenn auch die Montage vergleichsweise spärlich genutzt wird, so wird sie doch mit Bedacht eingesetzt: Extreme Gegenschüsse und Doppelbelichtungen machen sichtbar, was in den einzelnen Einstellungen unbemerkt bleibt. Zwei Bilder ergeben gemeinsam ein drittes Bild - das sollte Kuleschow bald darauf erkennen, der 1917 eine eigene einflussreiche Regiesseurs-Karriere startete und zuvor bei Bauer assistierte. Die Aufdröselung einer Szene in verschiedene Einstellungsgrößen und geringfügig voneinander abweichenden Perspektiven, wie man sie in der eher organischen Montage Griffiths finden kann (etwa beim Lincoln-Attentat in "Birth of a Nation" (1915)), spielen dagegen eine allenfalls untergeordnete Rolle: Bauers Montage nimmt eher die sowjetische Schule vorweg, anstatt der amerikanischen Schule zu folgen.
"Posle smerti" ist ein hervorragendes Beispiel für Bauers Stil: mit seinem einminütigen Kameraschwenk, der eine sich verbreitende Kunde enthält, mit kleineren Rückwärtsfahrten, die immer mehr von der Räumlichkeiten enthüllen, mit seiner sorgsam gerahmten, klaustrophobischen Präsentation des Wohnzimmers der Hauptfigur und mit seinen Traumbildern und Wahnvorstellungen, die Bauers Spätwerk von "Gryozy" (1915, Tagträume) bis "Umirayushchii Lebed" (1917) prägen, gilt der Film als ausgesprochen charakteristisch für Bauers Schaffen. Noch dazu kommt die auf Turgenjews gleichnamige (und später umgetaufte) Novelle zurückgehende Geschichte mit interessanten Beobachtungen der Fotografie daher: Die Fotografie, die schon bei Turgenjew eine Rolle spielt, wird hier noch deutlicher angesprochen - auch deshalb, weil die Hauptfigur hier nicht mehr explizit als ein belesener, an Chemie, Botanik, Medizin usw. interessierter Gelehrter eingeführt wird, sondern lediglich beim Entwickeln und Betrachten von Fotografien gezeigt wird, sobald sie ihren Tätigkeiten nachgeht. Es ist diese Fixierung auf das starre Bild (der toten Mutter, der alsbald verstorbenen Verehrerin), welches eine fatale Konzentration des Protagonisten auf das Vergangene und das Tote - welches in Wahn- & Traumbildern wieder lebendig wird - erkennen lässt: eine ungesunde Haltung, die das um (vermeintliche oder tatsächliche) Schuld und Reue kreisende dramaturgische Geschehen konsequent untermalt und ins unausweichliche Ende gleiten lässt. Filmhistorisch interessant, für Bauer charakteristisch, zugleich Anreiz zur Reflexion des Wesens von Fotografie und der kollektiven Träumerei in Filmbildern... und nicht zuletzt ein gelungenes Beispiel für realistisch geerdete Phantastik.
Gemeinsam mit zwei weiteren Filmen Bauers und mit einem anschaulichen, hilfreichen Videoessay Yuri Tsivians liegt "Posle smerti" als Mad Love - Three films by Evgenii Bauer beim BFI auf DVD vor: Fassungseintrag von pm.diebelshausen
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