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von PierrotLeFou

Vor 50 Jahren: Internationaler Erfolg von Shôhei Imamura

Stichwörter: 1960er Drama Imamura Japan Jubiläum Klassiker Nuberu-bagu Satire Spielfilm

Jinruigaku nyumon (1966)

Imamura, der in den frühen 50er Jahren bei Ozu assistierte - gleichwohl er eigentlich Kurosawa bevorzugt hätte -, zählt längst zu den erfolgreichsten Vertretern der Nuberu Bagu, der Neuen Welle des japanischen Kinos, ist aber heutzutage vor allem auch für seine Filme bekannt, die deutlich nach den 60er Jahren entstanden sind: der Thriller "Fukushû suru wa wareniari" (1979), die Literaturverfilmung "Narayama bushiko" (1983) - deren Vorlage 1958 bereits von Keisuke Kinoshita umgesetzt worden war! -, die Hiroshima-Aufarbeitung "Kuroi ame" (1989) und das verstörende Liebesdrama "Unagi" (1997) zählen mittlerweile zu seinen populärsten Werken, während die frühen Filme von "Nusumareta yokujô" (1958) bis zum großartigen, dreistündigen, fast schon monumentalen "Kamigami no fukaki yokubô" (1968) - Imamuras erster Farbfilm! - eher von Komplettisten und eingefleischten Cineasten wahrgenommen werden. Der Wechsel von der s/w-Ästhetik zum Farbfilm und der immer expliziter & verstörender ausgearbeitete Umgang mit Sexualität & Gewalt & Tod mögen - neben der zeitlichen Distanz - hauptverantwortlich dafür sein: Das Verstörungspotential der Filme Imamuras - der noch in einer vermeintlich harmlosen Liebeskomödie wie "Akai hashi no shita no nurui mizu" (2001) davon erzählt, wie sich aus einer Frau zu ihrem erotischen Vergnügen wahre Sturzbäche ergießen - durchzieht aber nicht bloß sein expliziteres Spätwerk, welches allerdings weit von effekthascherischen Schockeffekten entfernt ist, sondern durchzieht mehr oder weniger seine gesamte Karriere: Denn im Gegensatz zu seinem Lehrmeister Ozu - den er bald verließ um sich Yuzu Kawashima zuzuwenden, dem er sich etwas näher fühlte - verortete Imamura seine Stoffe stets am Rand der Gesellschaft, an den Randgebieten der menschlichen Psyche, an Schwellräumen zwischen Ordnung und Abweichung. Imamura erzählte immer wieder von der (Zwangs-)Prostitution, dem Inzest, von Serienkillern, dem Sterben, dem Totschlag, der Krankheit, der Lust... Nicht die bei Ozu so entscheidende Tradition und der Bruch mit ebendieser, sondern der Verstoß jeglicher Ordnung ist Imamuras Gebiet: und in diesen Zuständen des Chaos findet er immer wieder ganz einfühlsam zu echten, tiefen Gefühlen und humanen Werten; "Narayama bushiko" (1983) ist in dieser Hinsicht vielleicht sein Meisterwerk...

"Jinruigaku nyumon" - am 12. März 1966 uraufgeführt - ist nicht nur ein gelungenes Beispiel für Imamuras Stoffwahl, sondern zugleich jenes seiner Nuberu Bagu-Werke, das international mit dem größten Interesse aufgenommen worden ist: Dieser Film, der - vielleicht auch wegen des englischen Titels "The Pornographers" - eine Art Durchbruch für Imamura im Westen bedeutete, erzählt auf absurd humorige, bisweilen etwas gallige Weise von einem Filmemacher, der sich und seine Familie mit pornografischen Streifen über Wasser hält und privat ein Auge auf seine Stieftochter wirft, derweil sich die Partnerin immer stärker einem Karpfen zuwendet, in welchem sie eine Reinkarnation ihres verstorbenen, ersten Mannes vermutet... Die Lust, das Verbot, das Tabu, das Geld, der Wahnsinn: Es ist ein grimmiges, wenngleich schwarzhumorig gewendetes Gesellschaftsporträt, das Imamura hier entwirft; mit diesem Faible für das Tabu zählt er gewissermaßen zum Kern der Nuberu Bagu, in der Sexualität und Revolte zu den populärsten Themengebieten zählten. Auch stilistisch bildet "Jinruigaku nyumon" mit extremen, bisweilen äußerst ungewöhnlichen Perspektiven, mit eingefrorenen Bildern und mit bisweilen minimalistischen Kompositionen voller Leerstellen typische Nuberu Bagu-Kost, gleichwohl er nicht übermäßig oft Gebrauch von solchen Eindrücken macht.
Bei eye see movies liegt Imamuras Nuberu Bagu-Klassiker auf DVD vor: Fassungseintrag von Fleischsalatmitgurken


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