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von ratz

Vor 50 Jahren: István Szabó mit frischem ungarischen Wind

Stichwörter: 1960er Bálint Drama Jubiläum Klassiker Nouvelle-Vague Spielfilm Szabó Ungarn

Apa (1966)

Die Bewegung der jungen Filmemacher, die in den 60er Jahren das Kino zu erneuern begann, mag in Frankreich ihren Anfang und dabei ihren prägenden Namen Nouvelle Vague erhalten haben, sie erfaßte jedoch bald ganz Europa, auch und vor allem jenseits des damals noch nicht ganz so undurchlässigen Eisernen Vorhangs. Etwas weniger präsent als die tschechoslowakischen und polnischen Vertreter jener Jahre sind heute die Filme aus Ungarn, doch gerade der vielleicht bekannteste ungarische Regisseur, István Szabó („Mephisto“, 1981), konnte bereits 28-jährig mit seinem zweiten Langfilm „Apa“ („Vater“) internationale Aufmerksamkeit auf sich ziehen. Am 8. Dezember 1966 kam „Apa“ in die ungarischen Kinos und verblüffte durch seine unkonventionelle Formsprache sowie die originelle Weise, autobiographische Reflexion und Generationenportrait zu verbinden.

„Apa“ ist der Mittelteil einer Filmtrilogie über einen jungen Mann, der zugleich Szabós Alter Ego ist und stets von András Bálint gespielt wird, der als Halbwaise im Nachkriegs-Ungarn aufwächst und seinen Platz in der Gesellschaft zu finden versucht. Dabei schöpft Szabó aus seiner eigenen Familiengeschichte: Wie Takós Vater im Film starb auch Szabós Vater 1945 und hinterließ damit für den Heranwachsenden eine empfindliche Leerstelle – ein Schicksal, das viele Kinder dieser Zeit traf. Der kleine Takó versucht nun, diese Leerstelle zu füllen, einerseits mit den wenigen Erinnerungen, die ihm geblieben sind, andererseits mit Fantasievorstellungen darüber, was für ein Mensch der Vater wohl gewesen sein mag: ein Held im Kampf gegen die Faschisten, natürlich. Szabó verzichtet eine stringente narrative Struktur und setzt Schlaglichter auf ausgewählte Situationen, die wie Vignetten nebeneinanderstehen und sich erst in der Gesamtschau zusammenfügen. Er gliedert seinen Film in zwei gleich lange Teile: der erste spielt unmittelbar nach Kriegsende und ist dominiert von meist vergnüglich-actionreichen Episoden aus dem (von Takó imaginierten) Leben des Vaters, der zweite springt in Takós bewegte Studentenzeit, in der eine langsame Bewußtwerdung über den abwesenden und doch ständig präsenten Vater stattfindet. Wie im Vorbeigehen streift Szabó dabei den Ungarischen Volksaufstand und die Auseinandersetzung mit dem Holocaust (Szabós Familie hat ebenfalls jüdische Wurzeln). Die manchmal fast essayistisch wirkende Erzählweise wird durch verschiedenste filmische Gestaltungsmittel umgesetzt, etwa durch eingefügtes dokumentarisches Material, einen Off-Erzähler und Point-of-View-Einstellungen. Die Kameraarbeit unterscheidet sich auffällig in beiden Teilen von „Apa“: während sie in der ersten Filmhälfte oft Dolly-Kreisfahrten und 360°-Schwenks vollzieht, dominieren im zweiten prägnante vertikale Fahrten. Das Zusammenspiel dieser scheinbar heterogenen narrativen und visuellen Mittel, oft unterlegt mit Mahlers erster Sinfonie, erzeugt eine fragmentierte und doch kohärente Introspektive, die zuweilen nachdenklich, oft komisch und immer optimistisch gefärbt ist.

István Szabós zugleich persönliches wie allgemeingültiges Bildungs-Mosaik ist zwar nicht in Deutschland, aber immerhin in Großbritannien beim verdienstvollen Label Second Run als DVD mit englischen Untertiteln und informativem Booklet erschienen (Fassungseintrag).


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