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von PierrotLeFou

Vor 25 Jahren: DerparDIEU & GODard – Von Menschen und Göttern

Stichwörter: 1990er Depardieu Drama Essayfilm Frankreich Giraudoux Godard Jubiläum Klassiker Liebesfilm Literaturverfilmung Molière Phantastik Schweiz Spielfilm

Hélas pour moi (1993)

Mit dem halblangen "Les enfants jouent à la Russie" (1993) beginnt Godard Anfang/Mitte der 90er Jahre damit, kleinere, unkonventionellere Werke zu drehen, die sich wieder weiter vom Spielfilm entfernten, dem er sich nach seiner "unsichtbaren" Phase in den 70ern mit "Sauve qui peut (la vie)" (1979) wieder verstärkt gewidmet hatte: Subjektive Essayfilme über die Kunst und ihre Beziehungen zum Politischen. "For Ever Mozart" (1996) ist unter diesen Werken vielleicht noch das spielfilmischste, verzichtet aber auf die großen Namen, die Godard in den fühen 90er Jahren in seinen Filmen untergebracht hatte: Alain Delon in "Nouvelle Vague" (1990), Eddie Constantine in "Allemagne année 90 neuf zéro" (1991) und Gérard Depardieu in "Hélas pour moi". Es entstehen fortan ein essayistischer Foto-Film mit "Je vous salue, Sarajevo" (1993), eine filmische Autobiografie über das Wesen des Selbstporträts mit "JLG/JLG - autoportrait de décembre" (1994), eine semidokumentarische Bestandaufnahme zum 100. Geburtstag des Kinos mit "Deux fois cinquante ans de cinéma français" (1995), ein eigenwilliger France-Gall-Musik-Kurzfilm mit "Plus Oh" (1996), eine filmische Briefbotschaft an junge Studierende mit "Adieu au TNS" (1998), reine Essayfilme wie "Old Place" (1998) und natürlich der Hauptteil seiner "Histoire(s) du cinéma" (1989, 1997/1998).
"Hélas pour moi" – im August 1993 uraufgeführt – ist dagegen ein letzter seiner prestigeträchtigen Star-Filme der frühen 90er Jahre: Das Filmplakat spielt bereits recht provokant mit diesem Star-Status und hebt "God" in Godard und "Dieu" in Depardieu hervor. Das ist aber keinesfalls Größenwahn, sondern eine verspielte Annäherung an das Thema. Denn "Hélas pour moi" verhandelt mehr oder weniger den altbekannten "Amphitryon"-Stoff: Zeus, der Göttervater, schlüpft in die Gestalt des Amphitryon, um mit dessen Partnerin Alkmene zu schlafen – und dabei Herakles zu zeugen.
Diese bekannte Geschichte erzählt Godard aber freilich nicht bloß ein weiteres Mal. Stattdessen entspinnt er einen kunsttheoretischen, medienreflexiven, philosophischen Thesenfilm, der in seiner essayistischen Form aber vielmehr poesievoll und weniger nüchtern & trocken geraten ist.
Abraham Klimt ist Verleger und sammelt als solcher gewissermaßen Geschichten. Um einen fragmentarischen Roman zu rekonstruieren, begibt er sich in einen Dialog mit den Figuren, die Aufschluss darüber geben sollen, was in einer Julinacht des Jahres 1989 am Genfer See geschehen ist. Womöglich ist Gott in die Rolle von Simon Donnadieu geschlüpft, um Rachel Donnadieu zu schwängern. Aber auch bloß vielleicht, denn die Figuren erinnern sich allesamt anders. So ist "Hélas pour moi" nicht bloß eine "Amphitryon"-Neuauflage, sondern auch die Rekonstruktion einer ganz irdischen Liebesgeschichte eines Paares. Und natürlich erschöpft sich der Film nicht in solch einem Entweder-oder... "Hélas pour moi" ist nämlich in erster Linie die Reflexion des Erzählens in Sätzen und Bildern. im Film wird davon gesprochen, was nicht in Bildern auszudücken ist, während zugleich gezeigt wird, was sich nicht adäquat in Wörter fassen lässt. Aber Godard verfällt hier nicht in die sprachphilosophischen Fragestellungen einiger Frühwerke zurück, sondern bringt ein sehr gefestigtes Kunstverständnis zum Ausdruck. "Hélas pour moi" umgeht die klassische Dramaturgie mit ihrem Aktions-Reaktionsschema, mit ihren monokausalen Abläufen – hier wird klargestellt, dass Geschichten nur über Verkürzungen möglich sind und sie daher nichts Wahres, zumindest nicht in seiner Gesamtheit, vermitteln können. Indem Gott und Mensch, Schöpfer und Geschöpf untrennbar verschwimmen, lassen sich Ursprung und Schöpfung nicht länger annehmen – womit Godard eben das Erzählen von Geschichten thematisiert, die sich nicht bloß nie ohne Lügen in Anfang, Mitte und Ende ordnen lassen, sondern auch niemals vollständig von der Inspirationsquelle der Realität getrennt gedacht werden können. Die schwierigen Komplikationen des letzten Punktes klingen schon zu Beginn des Films an, wenn frei nach Elie Wiesels Geschichte vom Großrabbi Israel-Baal-Schem-Tow vom Wert des Geschichtenerzählens gesprochen wird (wobei sich die Geschichte als einzige Überlieferung vergangener Vorbilder und Lebenspraxen präsentiert).
Herausgekommen ist ein ausgesprochen spiritueller, möglicherweise mystischer Godard, der sich zugleich sehr melancholisch als Rückblick auf die Kunstgeschichte ausweist: Die Bibel, Giraudoux, Molière, Giacomo Leopardi, Stendhal, Jacques Rivière, Elie Wiesel, Goya, Klimt, Bach, Beethoven, Holliger, Schostakowitsch, Tschaikowsky, Kantscheli, Hitchcock, eine Bibliothek, eine Videothek voller Thriller, Action- und Horrorfilme, Godard himself... alles Mögliche wird aufgegriffen und zur selbstreflexiven Filmerzählung verdichtet, die weniger als Narration, sondern viel eher als fragmentarisches, brüchiges Gedankenspiel funktioniert, das im Grunde um die erhabene, uralte Frage von der Beziehung des Einen zum Absoluten kreist und alle klugen Gedanken diesbezüglich auf das Feld der Kunst überträgt.
Das mag ein elitäres Kino sein – zumal nicht ganz klar ist, ob die Szene in der Videothek nicht doch eine Abwertung des Genrefilms enthält –, aber auch bei einer völlig überforderten Erstsichtung stecken genug Humor, Staunen, Schönheit und Formstrenge in dem Werk, um ausreichend zu beeindrucken, ohne dass die vielen Diskurse auch bloß annähernd erahnt worden wären. Und in seiner Fülle und Komplexität schafft "Hélas pour moi" etwas, was nur wenige Filme von sich behaupten können: Er wird sich niemals vollständig konsumieren lassen, sondern bei jeder weiteren Sichtung immer noch weitere, neue Facetten zeigen...
Recht günstig liegt der Film seit über zehn Jahren in Großbritannien bei Studio Canal/Optimum auf DVD vor, ist aber - trotz existierender Synchronisation - hierzulande noch immer nicht erhältlich: Fassungseintrag von PierrotLeFou


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