Rape (1969)
"Woman Is the Nigger of the World" nannte John Lennon einen Song, der auf Yoko Onos Äußerung im Jahr 1968 zurückgeht. Diese Nähe zum Feminismus, die bei Lennon und seinen Groupie- und Prostituierten-Erfahrungen etwas vordergründig anmutet, ist auch in ihrem Filmprojekt "Rape" zu entdecken, welches – vom ORF produziert – am 31. März 1969 in Österreich uraufgeführt worden ist. "Rape" basiert (wie später "Fly" (1970)) auf Yoko Onos Kurzfilm-Konzepten, die im Dunstkreis ihrer Teilnahme an der Fluxus-Bewegung entstanden waren, erreichte aber letztlich die stattliche Länge von beinahe 80 Minuten. Kein Kurzfilm mehr, sondern ein Langfilm: der sich allerdings weder an Spielfilm-, noch an Dokumentarfilm-Konventionen orientiert, sondern irgendwo zwischen Avantgarde, Experimtalfilm und Essayfilm pendelt.
In "Rape" heftet sich ein kleines Kamerateam an die Fersen von Eva Majlata, ein ungarisch-stämmiges Model, damals eine junge Mittzwanzigerin, die erst Österreich lebte und später nach Großbritannien übersiedelte. Die deutsch und italienisch sprechende Frau kann sich dem Kameramann nicht mitteilen, glaubt zunächst an eine Verwechslung: sie sei ja schließlich keine Berühmtheit. Aber die Kamera verfolgt sie weiterhin, klebt regelrecht an ihr und wird nur während der Rollenwechsel kurzzeitig abgehängt von der jungen Frau, die anfangs auf einem Friedhof, im Mittelteil auf offener Straße und letztlich in ihrer eigenen Wohnung von der Kamera bedrängt wird.
Der Film, Yoko Ono und zahlreiche Besprechungen erwecken den Eindruck, die junge Frau sei nicht informiert gewesen; Kameramann Knowland gab an, er habe nicht gewusst, inwieweit die Frau informiert gewesen ist; daran wurden allerdings schon frühzeitig Zweifel geäußert. Es mag aber (wie später im ganz anders gelagerten Horrfilm "The Blair Witch Project" (1999)) gerade dieser etwas naive Glaube gewesen sein, der die Effektivität des Werkes gehörig steigerte. Im penetranten, übergriffigen Kamerablick, gegen den sich die zunächst amüsierte, zunehmend aber verunsicherte und verärgerte Frau nicht zu behaupten versteht, sah man schnell einen Verweis auf den Medienrummel, dem sich Stars – wie z.B. Ono und Lennon – ausgesetzt sehen: auf den verletzenden, indiskreten, aufdringlichen, vergewaltigenden, aber auch mächtigen, einschüchternden Blick der Sensationsmedien, Jahre später auch auf die Selbstverständlichkeit der Überwachungskameras im öffentlichen Raum.
Und noch später dominierte der Feminismus die Lesart des Films, der ja im Titel ein Sexualdelikt ankündigt: Dass Männer meist Frauen (und seltener Frauen Männer) filmen und dass Frauen zu wenig emanzipiert agieren, sind bloß zwei der Aspekte des Films, der vor allem den männlichen Blick und den weiblichen Körper als Ware (wider Willen) thematisiert.
Dass im Gegensatz zu Eva Majlata die Passanten, die keine Notiz vom Geschehen nehmen und keinen Beistand leisten, tatsächlich nicht eingeweiht gewesen sein dürften, verleiht dem Film noch heute etwas Beklemmendes. Dass Majlata keine vierzig Jahre später verschwand, da sie ermordet, zerstückelt und beseitigt worden war, macht "Rape", ihren einzigen Filmauftritt, zu einer ganz besonders unverdaulichen Meditation über männliche (Blick-)Gewalt. Dass indes ausgerechnet ein Model gefilmt wird, dass es eine isolierende Sprachbarriere gibt, dass das Geschehen auf einem Friedhof beginnt – das alles wirkt heute nur allzu konstruiert. Eine Dekade nach dem Voyeurismus-Horrorfilm "Peeping Tom" (1959) ist "Rape" neben Milton Moses Ginsberg "Coming Apart" (1969) aber sicher der beachtlichste Streifen über Film, Voyeurismus und Gewalt.
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