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von PierrotLeFou

Vor 25 Jahren: Kieslowski beendet seine Trilogie

Stichwörter: 1990er Delpy Drama Frankreich Jacob Jubiläum Kieslowski Klassiker Polen Schweiz Spielfilm Trilogie Trintignant

Trois couleurs: Blanc (1994)
Trois couleurs: Rouge (1994)

"Trois couleurs: Bleu" (1993) war bereits im September 1993 erstmals aufgeführt worden. Krzysztof Kieslowski, der seit Mitte der 60er Jahre Kurzfilme drehte, seit Mitte der 70er Jahre auch Langfilme ablieferte und ab Mitte der 80er Jahre zunehmend internationale Aufmerksamkeit erregte, war zu diesem Zeitpunkt vor allem für sein "Dekalog"-Projekt (1987/88) bekannt: zehn etwa einstündige Filme, welche die zehn Gebote als Aufhänger nahmen und von denen zwei als längere Fassungen auch im Kino liefen. Dieses Konzept, gewissermaßen einen Themenkomplex aus verschiedenen Perspektiven zu untersuchen, war bereits in "Przypadek" (1987) vorhanden: Ein und derselbe Mann durchlebt drei alternative Entwicklungen seines Lebens. Zwischen der "Dekalog"-Reihe und der "Trois couleurs"-Trilogie kam noch "La double vie de Véronique" (1991) heraus, in dem eine Variation des Doppelgänger-Motivs durchgespielt wird: Auch hier spiegeln und kommentieren sich zwei Existenzen – vor allem aber tritt auch der Gedanke einer Seelenverwandschaft in den Vordergrund.
"Trois couleurs" wird – ausgehend von den Farben der Trikolore und der Freiheit, der Gleichheit und der Brüderlichkeit – diesen Gedanken fortsetzen und erneut drei Perspektiven auf die Gesellschaft (und die aufklärerischen Ideale in ihr) bieten (wobei es geringfügige Überschneidungen der Handlungen gibt). Die Freiheit in "Trois couleurs: Bleu" war die Freiheit der Frau, die Mann und Kind bei einem Unfall verloren hat: die Freiheit der Wahl (sich umzubringen oder weiterzuleben), die Freiheit der Identitätsfindung und des Aufbaus eines neuen Lebens. (Freiheit ist hier nicht allein ein erhebender Gedanke.)
"Trois couleurs: Blanc", der am 26. Januar 1994 erstmals zu sehen war, widmet sich hingegen der Gleichheit. Gleichheit wird hier weniger angestrebt, indem man alle auf dieselbe Stufe erhebt, sondern indem man sie eher auf die eigene Stufe herunterzieht: Ein verlassener Ehemann steht nach der Scheidung vor dem Nichts und rächt sich an seiner Frau (Julie Delpy); erst ihr Abrutsch ins Gefängnis hat dann die Liebe scheinbar wiederhergestellt.
Nach den kalten Blautönen in "Trois couleurs: Bleu" überwiegen in "Trois couleurs: Blanc" triste Weiß- und Grautöne, die gemeinsam mit einem spitz-satirischen Witz für ein etwas unwirtliches Filmerlebnis sorgen. Der Mittelteil der Trilogie wird meist auch als der schwächste eingestuft, zumal man das Motto der Gleichheit hier bloß sehr willkürlich und unverbindlich behandelt sah.
"Trois couleurs: Rouge", der ab dem 16. Mai 1994 zu sehen war und Kieslowskis letzter Film bleiben sollte, versinkt freilich in warmen Rottönen, lässt aber auch der nun thematisierten Brüderlichkeit einen zynischen Anstrich zukommen: Die Nähe zum Anderen verdankt sich oftmals der Telekommunikation, die zugleich ausspioniert wird, und den Verkehrsmitteln, die Hunde anfahren oder im Meer versinken. Jean-Louis Trintignant agiert als als ehemaliger Richter, der die Telefonate seiner Mitmenschen belauscht: Der gutmütigen jungen Frau (Irène Jacob), deren Bekanntschaft er macht, legt er ihren Altruismus als Egoismus aus – man helfe lediglich, um ein schlechtes Gewissen zu meiden. Diese zynische Perspektive ist aber letztlich nicht die des Filmemachers: In der Einsamkeit des Menschen, im Trauern und Leiden erblickt er eine gemeinsame Grundlage seiner Figuren, auf der er zu Momenten berührenden Mitgefühls gelangt. Fast schon könnte man von schopenhauerschen Filmen sprechen – zumal "Trois couleurs: Bleu" der Musik (manchmal vor bildlosen Schwarzbildern) die erhabendsten Wirkungen zuweist.
Mehr über die Filme verraten die Reviews von Porcupine (Bleu), Bubimann (Blanc) und Arminowitsch (Rouge).
Die gesamte Trilogie ist bei Concorde auf BluRay erhältlich: Fassungseintrag von Muhagl


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