Krajobraz po bitwie (1970) & Brzezina (1970)
Für sieben Jahrzehnte prägte Andrzej Wajda den polnischen Film, war vermutlich dessen größtes internationales Aushängeschild in den 60er, 70er und 80er Jahren und avancierte noch zu Lebzeiten zu einer der großen Kinolegenden, darin vielleicht anderen Giganten wie Hitchcock, Bergmann, Godard oder Fassbinder vergleichbar. Im Zentrum seines filmischen Schaffens steht der Historienfilm, der sich durch seine Spiel- und Dokumentarfilme, durch seine autobiografischen Filmessays oder seine Künstler-Porträtfilme zieht. Als eine Art Triptychon des (Welt-)Kriegsfilm zählen seine ersten langen Arbeiten "Pokolenie" (1955), "Kanal" (1957) und "Popiól i diament" (1958), welche die Jahre 1944/45 verarbeiten. Auch der folgende "Lotna" (1959), Wajdas erster Farbfilm, widmet sich dem Anfang des Zweiten Weltkriegs und dem Beginn der Okkupation; mit "Samson" (1961) blickte Wajda dann auf das Schicksal der polnischen Juden – und ähnlich wie später in "Korczak" (1990) lässt er die zunächst sichere Hauptfigur den sicheren Untergang an der Seite seiner früheren Mitmenschen suchen. Nach einer Verhandlung von Kriegsverbrechen durch einen General und einen Journalisten im kurzen TV-Film "Wywiad z Ballmeyerem" (1962) folgte das ausufernde Historienepos "Popioly" (1965) über die Teilung Polens im späten 18. Jahrhundert, das den zugrundeliegenden Roman Stefan Zeromskis in vier Stunden wiedergibt. Die internationale Produktion "Vrata raja" (1968) verhandelte dann – nach einem Roman von Jerzy Andrzejewski – einen Kinderkreuzzug im 13. Jahrhundert: Zeitlich wie räumlich war Wajda in seinen Historienfilmen vom gegenwärtigen Polen abgerückt. 1970 fand er dann wieder zwei neue Zugänge zu diesem Genre.
"Krajobraz po bitwie", der im Mai 1970 in Cannes zu sehen war und ab September in die polnischen Kinos gelangte, knüpft wieder an den Zweiten Weltkrieg bzw. die unmittelbare Nachkriegszeit an, was Vergleiche mit "Popiól i diament" heraufbeschwören sollte. Aber hier geht es um das Traumata der KZ-Erfahrung, die den Polen Tadeusz – großartig gespielt von Daniel Olbrychski, der als zarter, nervöser Jan Bronski in "Die Blechtrommel" (1979) immense Bekanntheit erreichte – wie seine Leidensgenossen nach der Befreiung nicht loslassen sollte. Grundlage des Films war eine Vorlage des Schriftstellers Tadeusz Borowski, der den Aufenthalt im Konzentrationslager Auschwitz-Birkenau sowie die Unterkunft in einem DP Camp am eigenen Leib erfahren hatte. Trotz beruflichen und privaten Erfolges brachte sich Borowski kurze Zeit nach der Geburt seiner Tochter um; er ewar gerade 29 Jahre alt. Mutmaßungen, dass die Erfahrung von Entmenschlichung, die er literarisch festhielt, auch ihn selbst letztlich einholte, lagen nahe. Wajda lässt gerade gegen Ende des Films deutlich werden, dass die Erfahrung des Zweiten Weltkriegs samt Befreiung für die polnische Identität der Gegenwart identitätsstiftend war – vergleichbar dem Sieg über den Deutschritterorden in der Schlacht bei Grunwald Jahrhunderte zuvor: Diesen Sieg reinszenieren die Überlebenden im DP Camp als patriotisches Bühnenspiel. Die Linie dieses Films, die Identitätsstiftung in der Gegenwart durch die Erfahrung von Geschichte, radikalisierte Wajda bald darauf in "Wesele" (1973) (und setzte sie auch in "Kronika wypadków milosnych" (1986) nochmals deutlich, wenn auch etwas aufgesetzt und bemüht, um). Zuvor jedoch entstand unter anderem noch ein gänzlich anderer Zugang zum Historienfilm.
Mehr über den Film ist im Review von Ännchen von Tharau zu erfahren...
Nach einer Novelle von Jaroslaw Iwaszkiewicz entstand direkt nach "Krajobraz po bitwie" das kleine Drama "Brzezina", das ab November 1970 in Polens Kino lief. Teils Idylle, teils Kammerspiel blickt der Film auf ein kleines, privates Drama in den 20er oder frühen 30er Jahren, das von großer Weltpolitik scheinbar gar nicht berührt wird. Ein junger Witwer, der mit Tochter und Hausmädchen in einem kleinen Häuschen am titelgebenden Birkenhain lebt, erhält Besuch vom sterbenden, todkranken Bruder, der in seinen letzten Tagen noch eine lebensfrohe Liebelei mit einer hübschen Nachbarin beginnen wird. Den Witwer stört solche Lebensfreude zunächst, aber während sein Bruder erwartungsgemäß untergeht, wird er selbst dann doch neuen Lebensmut schöpfen. Zu Iwaszkiewicz, dessen "Matka Joanna od Aniolów" (1946) von Jerzy Kawalerowicz 1961 mit großem Erfolg verfilmt worden ist, kehrte Wajda später noch einmal mit "Panny z Wilka" (1979). Dort wie in "Brzezina" spielte abermals Daniel Olbrychski in tragenden Rollen und blieb seit "Popioly", wo er von Wajda seine erste große Filmrolle enthielt, ein Stammschauspieler des Regisseurs bis ins 21. Jahrhundert hinein.
Beide Filme sind mit knapp der Hälfte aller Filmarbeiten Wajdas enthalten in der polnischen Wajda Antologia Filmowa vom Label CRF, die zum fairen Preis erhältlich ist und mangels guter Alternativen im deutsch- und englischsprachigen Raum (wenngleich "Krajobraz po bitwie" auch als US-DVD vorliegt) mit ihren englischen Untertiteln durchaus zu empfehlen ist: Fassungseintrag von PierrotLeFou
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