Dead of Night (1945)
Die Geschichte des klassischen Horrorfilm verlief in zwei Wellen, deren erste ab 1931 mit Universal-Produktionen begann, um alsbald noch durch RKO-Klassiker abgerundet zu werden, derweil die zweite Welle um 1960 einsetzte: ab 1957 in Großbritannien, ab 1960 in Italien und den USA. In dieser zweiten Welle setzte zunehmend eine Art Boom an Episodenfilmen im Genre ein, nachdem im Rahmen des Erfolgs von Roger Cormans Poe-Verfilmungen unheimliche Kurzgeschichten der Weltliteratur in zumeist dreiteiligen Film-Anthologien adaptiert worden waren: "Tales of Terror" (1962) nach Poe, "Twice-Told Tales" (1963) nach Hawthorne und "I tre volti della paura" (1963) nach Maupassant und Tolstoi gehören zu den wichtigsten Beispielen, ehe dann in Großbritannien in der Amicus-Schmiede (derweil sich die Hammer-Studios diesbezüglich ziemlich zurückhielten) Episodenfilme wie "Dr. Terror's House of Horrors" (1965), "Torture Garden" (1967), "The House That Dripped Blood" (1970), "Tales from the Crypt" (1972), "Asylum" (1972), "In the Vault of Horror" (1973) oder "From Beyond the Grave" (1974) entstanden, in denen sich zögerlich auch eine Hinwendung zum modernen Horrorfilm erkennen ließ. Der italienisch-französische Autorenfilmer-Omnibusfilm "Histoires extraordinaires" (1968) sollte in diesem Kontext nicht unterschlagen werden...
Die erste Welle des Horrorfilms blieb von diesem Phänomen erstaunlicherweise weitestgehend frei, gleichwohl Stummfilmklassiker wie "Hoffmanns Erzählungen" (1916), "Unheimliche Geschichten" (1919), "Der müde Tod - Ein deutsches Volkslied in sechs Versen" (1921) oder "Das Wachsfigurenkabinett" (1923) hierzulande schon von solchen Strukturen Gebrauch gemacht hatten. Das Tonfilm-Remake "Unheimliche Geschichten" (1932) beendete hierzulande dann nicht bloß die Tradition des unheimlichen Episodenfilms, sondern gleich des unheimlichen Films insgesamt. In den USA etablierte sich dagegen der unheimliche Episodenfilm gar nicht erst, nachdem Verfilmungen literarischer Marksteine innerhalb der phantastischen Literatur wie "Dracula" (1931) und "Frankenstein" (1932) den Horrorfilm erst als eigenständiges Genre aus der Taufe gehoben hatten. Dass kein Bedarf für Episodenfilme bestand, mag der Beliebtheit von Double Features und den zunächst oftmals bloß einstündigen Laufzeiten einserseits geschuldet sein, dem Streben der Studios nach Serialisierbarkeit andererseits. 1945, als mit dem Ende des Zweiten Weltkriegs die US-Horrorfilmproduktion abrupt endete, entstand dann in Großbritannien – wo Horrorfilme einge ganze Weile lang nicht produziert worden waren – ein Film, der zu den ganz großen Klassikern des Horror-Episodenfilms zählt und der die Amicus-Produktionen gewissermaßen vorwegzunehmen scheint...
Der am 9. September 1945 in London uraufgeführte "Dead of Night" (1945) ist nicht einfach bloß ein Episodenfilm, sondern – anders als die frühen deutschen Filme oder die späteren Werke der zweiten Welle – auch ein früher Omnibusfilm, der Kurzfilme verschiedener Regisseure miteinander verknüpft: Alberto Cavalcanti, Charles Crichton, Basil Dearden und Robert Hamer haben – teils nach Vorlagen von E. F. Benson und H. G. Wells – pointierte unheimliche Geschichten in Szene gesetzt, die durch eine Rahmenhandlung miteinander verknüpft werden. In fünf Geschichten und einer vergleichsweise bedeutsamen, sorgfältigen Rahmenhandlung verbinden sich klassische Versatzstücke des Phantastischen zu einer Sammlung, die tonal eher an die RKO-Produktionen als an die Universal-Produktionen erinnert und vor allem auf Andeutungen setzt. Georges Auric stattete diesen Klassiker des britischen Horrorfilms mit einer wirkungsvollen Filmmusik aus – und die teils kraftvollen Bilder des Films gehen unter anderem auf Kameramannlegende Douglas Slocombe zurück, der hier noch am Anfang seiner Karriere stand, über "Kind Hearts and Coronets" (1949) oder "The Servant" (1963) bis "Indiana Jones and the Last Crusade" (1989) als Kameramann Karriere machte und vor knapp vier Jahren 103jährig infolge eines Sturzes verstorben ist.
Ausführlich nimmt sich Moonshade in seinem Review des Films an...
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