Der Golem - Wie er in die Welt kam (1920)
Zu den unbestrittenen Klassikern des deutschen expressionistischen Stummfilms zählt Paul Wegeners „Der Golem – Wie er in die Welt kam“, der am 29. Oktober 1920 seine Berliner Premiere feierte. Dieser dritte von Wegeners Golem-Filmen ist der einzig erhalten gebliebene und auch filmhistorisch einflußreichste, bildet er doch eine direkte Inspiration für James Whale‘s „Frankenstein“ (1931) und weitere Monsterfilme der 1930er Jahre, vornehmlich aus den amerikanischen Universal-Studios.
Doch nicht allein seine Eigenschaft als Horrorfilm-Urahn hat den „Golem“ berühmt gemacht, es ist vor allem das außergewöhnliche Szenenbild von Bühnenbildner Hans Poelzig und der ungenannten Marlene Moeschke. Sie haben dem Prager Ghetto des 16. Jahrhunderts die Gestalt eines von Mauern umschlossenen Mikrokosmos verliehen, der aus asymmetrischen, schmalen Häusern besteht, die wie aneinandergekauerte Organismen aus Lehm, Stroh und schiefen Dachschindeln wirken. Entsprechend erinnern die Innenräume an Erdhöhlen, mit Treppen, die von den spiraligen Windungen von Schneckenhäusern inspiriert scheinen. Mit dieser Filmarchitektur schufen Poelzig und Moeschke einen markanten Gegensatz zu den abstrakt-geometrischen, spitzwinkligen Kulissen von „Das Cabinet des Dr. Caligari“, der wenige Monate zuvor erschienen war und tiefe Eindrücke hinterlassen hatte. Paul Wegener, der die Titelrolle des Golem selbst spielt, verleiht dem durch Magie zum Leben erweckten Lehmgeschöpf ambivalente Züge, die zwischen Tolpatschigkeit und Aggression schwanken und es unberechenbar machen. Der legendäre Kameramann (und späterer „Mumie“-Regisseur) Karl Freund sorgt für eindrückliche Beleuchtung, während Ko-Regisseur Carl Boese für die Szene einer Geisterbeschwörung alle Register der damals zur Verfügung stehenden Filmeffekte zieht.
Pünktlich zum Jubiläum ist „Der Golem“ im letzten Jahr von der Murnau-Stiftung digital restauriert und als Blu-ray in einer schönen Ausgabe veröffentlicht worden (Fassungseintrag). Doch, wie so häufig bei Stummfilmen mit komplizierter Materialgeschichte, ist eine endgültige Fassung noch nicht in Sicht: gerade vor wenigen Wochen wurde in Weimar eine vom Filmmuseum München ergänzte Version präsentiert, die 17 Minuten länger als die der Murnau-Stiftung ist und von der Original-Filmmusik begleitet wurde. Das letzte Kapitel zum „Golem“ und seiner (Film-)Geschichte ist also noch nicht geschrieben.
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