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von PierrotLeFou

Vor 75 Jahren: Ein Noir in Technicolor?

Stichwörter: 1940er Drama Jubiläum Klassiker Kriminalfilm Liebesfilm Literaturverfilmung Newman Noir Price Spielfilm Stahl Thriller Tierney USA Wilde Williams

Leave Her to Heaven (1945)

Großstädte bei Nacht, Gangster, Schnüffler der Marke hard-boiled im zerknautschten Trenchcoat, bildschöne femme falates, Schießereien und kriminalistische Fälle, durch welche die Helden oft genug ohne ausreichenden Überblick streifen; dazu scharfe Kontraste und vor allem viele Schatten; und vielleicht noch ein voiceover, in dem die Hauptfigur etwas schnodderig durchs Geschehen führt. So ungefähr sieht wohl das Bild aus, das man geheimhin im Kopf hat, wenn der film noir erwähnt wird. Doch herrscht immer wieder Uneinigkeit, was der film noir letztlich "wirklich" ist: ein Genre, ein Stil? Zeitlich gebunden an das Classical Hollywood und später allenfalls noch ein neo noir oder tech noir? Tatsache ist, dass sich der noir weder auf das Gebiet des Kriminalfilms begrenzen lässt, noch auf den s/w-Film. Es gibt bloß einen Kern, den das kollektive Gedächtnis fest mit dem noir verbindet, dessen Rand aber (zer)fließend und unscharf in alle möglichen Richtungen läuft...
Der am 25. Dezember 1945 uraufgeführte "Leave Her to Heaven" nach einem Roman von Ben Ames Williams ist ein Paradebeispiel für einen film noir, der auf Anhieb kaum den Erwartungen gerecht wird: ein sattes Melodram in Technicolor liegt hier vor, mit Thriller-/Kriminalfilmelementen durchsetzt, ohne dass es hier einen Schnüffler oder einen Gangster geben würde... aber es gibt die femme fatale und ihr ahnungsloses Opfer, das sich in den tödlichen Obsessionen einer wahrhaft pathologischen Frau verfängt. Ellen (Gene Tierney) ist verlobt mit  dem Anwalt Russell (Vincent Price), heiratet aber nach nur kurzer Bekanntschaft den Schriftsteller Richard (Cornel Wilde), den sie so derartig voller fanatischer Eifersucht begehrt, dass sie nicht bloß den Tod eines vermeintlichen Eindringlings in ihre Beziehung in Kauf nimmt, sondern die Beziehung selbst in die Krise stürzt. Für sie wird es kein Happy End geben, aber noch nach ihrem Ableben wirkt die krankhafte Eifersucht weiter und garantiert gegen Ende ein kleines, reißerisches Gerichtsdrama... Der für die beste Kamera oscarprämierte Klassiker von John M. Stahl, der nach Premingers "Laura" (1944) (Anniversary-Text von ratz) nochmals Price und Tierney zusammenbringt, schaffte es mit diesen inhaltlichen Versatzstücken, von vielen als noir betrachtet zu werden. Die prächtigen Technicolor-Bilder sind bisweilen giftig oder düster genug, um im Verbund mit einer teilweise beachtlich unheilvollen Filmmusik von Alfred Newman eine Art tonalen Ersatz für die s/w-Bilder typischerer noirs zu fungieren. Vielleicht könnte man sagen, "Leave Her to Heaven" verbinde Technicolor-Melodramen mit noir-Elementen wie so manche Val-Lewton-Horrorthriller noir-Ästhetiken mit Horrorfilminhalten verbanden.
Die schmucke, aber mager ausgestattete 20th-Century-Fox-DVD auf der Reihe Große Film-Klassiker ist für Sammler durchaus zu empfehlen, aber – da vergriffen – nur noch hin und wieder für annehmbare Preise zu erwerben: Fassungseintrag von Ronny C.


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